MIT Technology Review 2/2019
S. 62
TR Mondo

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China

Überraschendes Zögern bei genveränderten Pflanzen

Oben: Maisöl mit der Aufschrift „GV-frei“. Unten: Arbeiter laden Sojamehlsäcke um. Foto: Getty Images
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Ob mobiles Bezahlen, digitale Gesichtserkennung oder autonomes Fahren – bei fast allen neuen Technologien scheint China in die Zukunft zu stürmen. Nur in einem Bereich ist man überraschend zögerlich: bei genveränderten (GV) Nahrungsmitteln.

Dabei war China auch in diesem Zukunftsbereich einst weltweit führend. 1992 erlaubte es als erstes Land der Welt den kommerziellen Anbau einer genmanipulierten Nutzpflanze, einer virusresistenten Tabaksorte. Die Euphorie war groß. Bis 2010 wollte man Reis, Weizen und Mais mehrheitlich aus genmanipulierten Erbstämmen anpflanzen. Hinter den weit reichenden Plänen steckt ein gravierendes Problem: China hat 1,4 Milliarden Einwohner, 20 Prozent der weltweiten Bevölkerung. Allerdings verfügt das Land nur über sieben Prozent der globalen Agrarnutzfläche. Immer wieder kam es in der Geschichte des Landes zu schweren Hungersnöten. Es lag also nahe, die vorhandenen Feldfrüchte widerstandsfähiger zu machen gegen Schädlinge und harsche Wetterbedingungen. Die Machthaber in Peking hofften, mit der neuen Technologie das alte Problem der Nahrungssicherheit endlich zu lösen.

Doch Mitte der 2000er-Jahre kippte die Stimmung. Zahlreiche Lebensmittelskandale erschütterten das Land und sorgten innerhalb der Bevölkerung für große Aufregung. Mal ging es um vergiftetes Milchpulver, mal um verunreinigte Öle und Fette. Zwar stand keiner dieser Vorfälle in direktem Zusammenhang mit genveränderten Nahrungsmitteln, doch innerhalb der chinesischen Bevölkerung herrschte fortan eine Atmosphäre des Misstrauens. In diese Atmosphäre hinein platzen immer wieder Meldungen, die die Ablehnung gegenüber GV-Lebensmitteln verstärken. „In den vergangenen Jahren sind Chinas führende Wissenschaftler, Forschungsinstitutionen der Medizin- und Militärmedizin zu dem Schluss gekommen, dass genmodifizierte Sojabohnen nicht sicher sind. Wir sollten achtsam sein“, sagte der Vizevorsitzende der Sojabohnen-Vereinigung der staatlichen Zeitung „Heilongjiang Daily“. Im Dezember behauptete ein bekannter Fernsehmoderator, dass selbst in der Kantine des Landwirtschaftsministeriums GV-Essen untersagt sei. Den Berichten wurde zwar widersprochen, viele Chinesen sahen sich dennoch in ihrem Misstrauen bestätigt.

„Die Mehrheit der Chinesen glaubt, genveränderte Nahrungsmittel seien gesundheitsgefährdend“, erklärt Even Pay vom Pekinger Thinktank China Policy. Eine Umfrage des renommierten Wissenschaftsmagazins „Nature“ vom Juni 2018 zeigt, dass lediglich zwölf Prozent der Chinesen positiv auf GV-Nahrung blicken. Die große Mehrheit hingegen ist zögerlich bis ablehnend. 14 Prozent sehen in der neuen Technologie sogar eine Art Bio-Terrorismus gegen China.

So befindet sich Chinas Regierung in einer Zwickmühle zwischen staatlicher Unterstützung und gesellschaftlicher Ablehnung. Einerseits fördern die Behörden Forschung und weiträumige Testgebiete für genmanipulierte Nutzpflanzen großzügig. „Chinas Forscher gehören zu den besten der Welt“, erklärt Agrarexpertin Pay. Andererseits ist der kommerzielle Anbau genmanipulierter Pflanzen fast komplett verboten, lediglich für Baumwolle und Papaya gibt es Ausnahmegenehmigungen.

Weil die Diskrepanz zwischen der wachsenden Bevölkerung und zu knappen Anbauflächen immer wieder zu Hungersnöten geführt hat, will Chinas Regierung die Nahrungsmittelversorgung unabhängig von der öffentlichen Meinung angehen. Das Ergebnis ist ein kurioser Mittelweg: massenhafter Import genveränderter Nutzpflanzen, von Getreide und Rüben bis Rote Bete und Soja. Kein anderes Land kauft so viel genveränderte Sojabohnen wie China, vor allem aus den USA. Diese müssen in China klar gekennzeichnet sein.

MICHAEL RADUNSKI

Kanada

Bundesregierung führt CO₂-Steuern ein

Ölsand-Förderanlage im kanadischen Bundesstaat Alberta. Foto: action press

Während sich die USA immer mehr vom Klimaschutz verabschieden, zieht Kanada die Zügel bei den Kohlendioxid-Emissionen gerade an. Der nördliche Nachbar führt zwei CO2-Steuern zur Senkung der Treibhausgasemissionen ein.

Die erste ist die sogenannte Brennstoffsteuer: Sie müssen Produzenten und Händler fossiler Kraftstoffe wie Benzin oder Kohle ab Juli auf ihre Ware zahlen. Sie bemisst sich daran, welche Treibhausgasmengen ihr Verbrennen später verursachen würde. Für das Treibhausgas Kohlendioxid beträgt die Abgabe zunächst 20 kanadische Dollar (rund 13 Euro) pro Tonne. Sie steigt jährlich um zehn Dollar an, bis sie 2022 schließlich bei 50 Dollar gedeckelt wird. Andere Gase wie Methan werden gemäß ihrer Klimaschädlichkeit in CO2 umgerechnet. Davon ausgenommen sind Treibstoffe zur Energieerzeugung in weit abgelegenen Orten sowie etwa Kraftstoffe für die Landwirtschaft und Fischereien, da viele der Betriebe die Mehrkosten vermutlich nicht stemmen können.

Mit der Steuer steigen voraussichtlich die Energiepreise, da betroffene Unternehmen ihre Kosten an den Kunden weitergeben dürften. Kanadas Bundesregierung rechnet damit, dass sich etwa Benzin bis 2022 um rund sieben Eurocent pro Liter verteuert und Erdgas um 6,4 Eurocent pro Kubikmeter. Zum Ausgleich müssen die kanadischen Provinzen 90 Prozent ihrer Brennstoffsteuer-Einnahmen an Privathaushalte auszahlen. Der Bund nimmt an, dass fast zwei Drittel aller Haushalte dadurch mehr Geld erhalten, als sie zusätzlich für Energie ausgeben müssen.

Die zweite ist die sogenannte Klimagassteuer. Sie ist genauso hoch wie die Brennstoffsteuer und gilt für alle anderen Unternehmen. Sie wird fällig, wenn eine Firma über der für ihren Industriezweig festgelegten Emissionsgrenze liegt. Diese beträgt je nach Branche zwischen 80 und 90 Prozent des Durchschnitts der kanadischen Treibhausgasemissionen. Liegt ein Unternehmen darüber, muss es für die zusätzlichen Emissionen Steuern bezahlen. Unterschreitet es den Grenzwert, bekommt es eine Gutschrift. Steigt sein CO2 -Ausstoß in den kommenden Jahren über den Branchengrenzwert, kann das Unternehmen seine Klimagassteuer damit verrechnen.

Die kanadische Bundesregierung nimmt an, dass die Treibhausgasemissionen des Landes durch die Maßnahmen bis 2022 um bis zu 2,9 Prozent gegenüber 2005 sinken. Das wäre allerdings nicht genug, damit Kanada seine Klimaziele erreicht. Verpflichtet hatte es sich im Pariser Klimaabkommen zu 30 Prozent weniger Emissionen bis 2030. Die kanadischen Umweltökonomen David Sawyer und Chris Bataille sowie Gutachter des Umweltministeriums halten daher eine Verschärfung für notwendig. Sogar bis zu 300 Dollar pro Tonne für 2030 sind im Gespräch.

Doch schon das jetzige System zieht heftige Kritik auf sich. Vier der zehn Provinzen haben es nur unter Protest umgesetzt, weil sie eine unverhältnismäßige Belastung der Wirtschaft fürchten. Zwei davon, Saskatchewan und Ontario, haben bei ihrem jeweiligen höchsten Provinzgericht Klage eingereicht. Ein erstes Urteil wird für Februar erwartet.

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