MIT Technology Review 5/2019
S. 16
Aktuell

UMWELT

Tomatengrün statt Plastik

Teller aus Pflanzenfasern. Foto: Oliver Ristau

Die Teller riechen nach Zuckerrohr, wenn sie frisch aus der Presse kommen. Sie sehen aus und fühlen sich an wie Pappteller, bestehen aber ausschließlich aus Fasern von Pflanzenresten wie Bananenstauden, Ananas- und Zuckerrohrblättern. Im indischen Bangalore produziert die Hamburger Firma Bio-Lutions daraus Verpackungen, Einweggeschirr und Nierenschalen für den dortigen Markt. Die Pflanzenreste stammen von Bauern, die das Material bisher verbrannt haben.

„Wir nutzen die kompletten Pflanzenfasern, ohne sie vorher chemisch aufzuschließen, wie das in anderen Verfahren üblich ist, etwa zur Gewinnung von Zellulose aus Holz und Stroh“, sagt Firmengründer Eduardo Gordillo. Dabei werden die Pflanzenreste mechanisch so bearbeitet, dass sich Fibrillen in Nano- und Mikrogröße wie Härchen aufstellen und ähnlich einem Klettverschluss miteinander verhaken. Die Masse wird mit Wasser zu einem Brei vermengt und anschließend von Pressmaschinen geformt, wie sie auch in der Papierindustrie zum Einsatz kommen. Der Wasserverbrauch liege mit fünf Litern pro Kilogramm bei einem Bruchteil des Bedarfs klassischer Verpackungen.

Hierzulande plant die Firma eine Fabrik, die Fasern von Tomatenpflanzen und der Energiepflanze Silphie zu Verpackungen und Einweggeschirr pressen will – etwa hitzefeste Kartons als Alternative zu den Einweg-Plastikverpackungen der Essenslieferdienste. Gordillo sieht in Deutschland mehrere Hundert Millionen Tonnen an geeigneten Reststoffen. OLIVER RISTAU

ENERGIE

Elastisch kühlen

Das bunte Licht signalisiert die warmen und kalten Bereiche des Geräts. Foto: Oliver Dietze/ Uni Saarland

Das Gerät erinnert an eine Drehleier, allerdings mit sehr viel mehr Saiten: 24 Bündel mit je 30 Drähten rotieren im Kreis. Eine Wellenscheibe streckt und entlastet sie periodisch. Dabei entsteht keine Musik, sondern Wärme beziehungsweise Kälte. Die Saiten bestehen aus einer elastokalorischen Formgedächtnislegierung, die beim Dehnen warm wird. „Die Phasenumwandlungen in der Kristallstruktur des Materials setzen sogenannte latente Wärme frei“, erläutert Stefan Seelecke, Professor für Intelligente Materialsysteme der Saar-Universität. Wird diese Wärme abgeführt und der Draht wieder entspannt, kann er die Umgebung kühlen.

Die Forscher haben auf der Hannover Messe einen Prototyp vorgestellt. Lüfter blasen warme und kalte Luft aus den beiden Kammern, welche die Drähte durchlaufen. Das Gerät kann nach Angaben der Forscher bis zu 30-mal mehr Wärme- oder Kühlleistung erzeugen, als zu seinem Antrieb nötig ist. Damit sei es etwa doppelt so effizient wie eine herkömmliche Wärmepumpe und dreimal so effizient wie ein Kühlschrank. Zudem braucht es kein umweltschädliches Kältemittel.

Bisher haben die Drähte bereits 1,2 Millionen Dehnungszyklen überstanden. Beim Prototyp bestehen die Drähte aus einer Nickel-Titan-Kobalt-Legierung aus der Medizintechnik. Künftig wollen die Forscher mit speziell entwickeltem Titan-Nickel-Kupfer-Vanadium arbeiten, was nicht nur effizienter ist, sondern auch ohne Kobalt auskommt.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen auch magnetokalorische Kühlgeräte. Bei ihnen werden Legierungen durch ein Magnetfeld erwärmt. Dadurch sind mechanische Belastung und Aufwand geringer. Als zentralen Vorteil des elastokalorischen Ansatzes nennt Mitentwicklerin Susanne-Marie Kirsch den höheren „Temperaturhub“: Die Formgedächtnislegierungen schaffen in jedem Zyklus plus/minus 20 Grad Temperaturdifferenz, bei Magnetmaterialien müssten dazu mehrere Elemente in Reihe geschaltet werden. GREGOR HONSEL