MIT Technology Review 7/2019
S. 12
Aktuell

INTERVIEW

„Viele Crowdworker kommen aus Venezuela“

TR: Algorithmen für selbstfahrende Autos benötigen hochwertige Trainingsdaten. Diese werden in der Regel von freien „Crowdworkern“ bereitgestellt. Wie sieht deren Arbeit aus?

Florian A. Schmidt ist Professor für Designkonzeption und Medientheorie an der HTW Dresden. In einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung hat er untersucht, welche Rolle Crowdwork beim Trainieren autonomer Autos spielt. Foto: HTW Dresden

Schmidt: Es geht beispielsweise darum, bei einer Aufnahme aus dem Straßenverkehr jedes Element klar zu definieren, ob Busch, Oma mit Rollator oder Postfahrzeug – mit der Position im Raum, damit die Maschine lernen kann, wie sich die Objekte bewegen.

Wie hat sich die Rolle der Crowd-Plattformen durch den hohen Datenbedarf der Autoindustrie verändert?

Früher boten die Plattformen ihren Kunden lediglich Zugriff auf die Crowdworker an, und die Kunden mussten selbst den restlichen Prozess managen. Heute verkaufen die Plattformen fertige Datensätze. Dabei sichern sie auch eine Mindestqualität zu, beispielsweise 99 Prozent Genauigkeit.

Wie ändert sich dadurch die Arbeit des Einzelnen?

Viele machen die Arbeit lieber als vorher. Sie können sich spezialisieren und bekommen bessere Werkzeuge. Weil sie ihr Geld direkt von der Plattform erhalten, ist die Bezahlung verlässlicher, wenn auch nicht höher. Und sie werden menschlich besser behandelt. Die Plattformen wollen ihre Spezialisten schließlich an sich binden.

Woher stammen die Crowdworker typischerweise?

Die Tendenz geht weg von den Hobbyisten in westlichen Ländern und hin zu einer Professionalisierung mit großen Auftragsvolumina, aber sehr schlechter Bezahlung in Schwellenländern. Eine meiner überraschendsten Erkenntnisse ist, dass auf mehreren Plattformen die meisten Arbeitskräfte aus Venezuela kommen. Dort gibt es eine relativ gut ans Internet angebundene Mittelschicht. Innerhalb der desolaten Situation in Venezuela stehen sie sehr gut da, haben mit Stundenlöhnen von ein bis zwei Dollar aber auch komplett die Preise ruiniert.

Haben Sie Ansätze für eine gemeinsame Interessensvertretung beobachtet?

Eher nicht. Für Arbeit, die überall erledigt werden kann, ist das sehr schwer zu realisieren.

Wird diese Art von Arbeit zunehmen, oder ist das nur eine Übergangsphase?

Künstliche Intelligenz lernt zwar ständig, neue Aufgaben zu lösen, aber es kommen auch immer mehr Aufgaben hinzu. Und dann braucht man wieder Menschen, um sie zu trainieren. Zudem wird die Validierung immer wichtiger: Menschen müssen nachträglich die Entscheidungen von Maschinen überprüfen. INTERVIEW: GREGOR HONSEL

MEDIZIN

Impfen per Pflaster

Forscher vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam haben Transportermoleküle entwickelt, die Impfungen über die Haut ermöglichen könnten. Die Nanopartikel bestehen aus Fettbläschen, auf deren Oberfläche Moleküle verankert sind, die auf speziellen Zuckern basieren. Diese docken direkt an Langerhans-Zellen in der Haut an. Das sind Immunzellen, die mit ihren beweglichen Fortsätzen Erreger und andere Fremdkörper erkennen, aufnehmen und Teile davon wie ein Fahndungsfoto auf ihrer Oberfläche präsentieren, sodass andere Immunzellen ein Bild vom Eindringling abspeichern können.

Die Fettbläschen ließen sich später über Mikronadelpflaster in die oberste Hautschicht einbringen, wo die Langerhans-Zellen sitzen. „Das funktioniert auf Hautstücken im Labor bisher gut“, sagt Forschungsleiter Christoph Rademacher.

Langerhans-Zelle mit grün gefärbter Membran und roten Fettbläschen. Foto:Medizinische Universität Innsbruck

Das Pflaster-Impfen hätte gegenüber der Spritze in die Muskeln oder unter die Haut mehrere Vorteile: „In der Haut befinden sich viel mehr Immunzellen als in den Muskeln“, erklärt Rademacher, deshalb sei für einen effektiven Impfschutz wahrscheinlich eine geringere Wirkstoffdosis nötig. Zudem schmerzt ein Mikronadelpflaster nicht. Vor allem für Impfprogramme in Entwicklungsländern wären Pflaster eine gute Alternative, weil sie einfach anzuwenden und günstig sind.

VERONIKA SZENTPÉTERY-KESSLER