MIT Technology Review 10/2020
S. 28
Horizonte
Physik

Letzte Fragen

Trotz ungeheurer Fortschritte in der Wissenschaft warten die größten Rätsel der Physik noch immer darauf, gelöst zu werden. Doch jetzt stehen die Chancen für den nächsten Durchbruch besser als je zuvor.

Von Wolfgang Stieler

Bei Genf wollen sie einen hundert Kilometer langen, kreisförmigen Tunnel graben. Zehn Jahre wird das dauern, schätzen die Wissenschaftler vom internationalen Kernforschungszentrum Cern. Der Schritt ist in ihren Augen logisch und folgerichtig. Am Large Hadron Collider (LHC), dem weltgrößten Beschleuniger am Cern, wurde zwar 2012 erstmals das noch fehlende Higgs-Teilchen nachgewiesen, aber um „neue Physik“ zu entdecken, reicht die Energie des LHC nicht aus. Die nächste Generation des Beschleunigers, der „Future Circular Collider“ (FCC), soll Elementarteilchen mit zehnmal mehr Energie zusammenschmettern – und das braucht nun mal mehr Strecke und stärkere Magnete. 2060 soll die Endausbaustufe des FCC fertig sein. Kostenpunkt: rund 20 Milliarden Euro, mindestens.

Zu viel Geld für ein Experiment mit ungewissem Ausgang, sagen Kritiker wie die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder vom Frankfurt Institute for Advanced Studies. „Das Standardmodell der Teilchenphysik funktionierte ohne das Higgs-Teilchen nicht. Deswegen wusste man, dass man da etwas finden muss, und deswegen war es eine gute Idee, den LHC zu bauen. Eine ähnliche Motivation gibt es für den FCC nicht“, sagt Hossenfelder. Stattdessen sollte sich die Physik auf Fragen konzentrieren, die „wissenschaftlich vielversprechend sind“ – also solche, „die tatsächliche Probleme in der Theorie lösen“.