MIT Technology Review 10/2020
S. 97
Fundamente
Rückschau/Vorschau

Umbruch von oben

An dieser Stelle blicken wir zurück auf Artikel, die vor fünf Jahren in Technology Review erschienen sind. Diesmal: Blockchains.

Die Bitcoin-Technologie mag als Kapitalismuskritik begonnen haben – ihr gesellschaftsveränderndes Potenzial entfaltet sie nun Seit an Seit mit dem alten Feindbild“, schieb TR vor fünf Jahren. Damals zeichnete es sich ab, dass Kryptowährungen aus ihrem libertären Milieu herauswachsen und sich in der klassischen Finanz­welt einnisten werden.

Die treibende Kraft dabei war vor allem die zugrunde liegende Blockchain-Technik, die sich als digitales Vielzweckwerkzeug entpuppte. Der Bitcoin selbst war ­damals angezählt: zu langsam, zu energieaufwendig, zu umständlich – und von Abspaltungen („Forks“) bedroht. Als Zahlungsmittel hat er sich in der Tat nicht durchgesetzt. Doch ansonsten erwies er sich als erstaunlich robust: Nachdem er 2018 von 17000 auf 3000 Euro abgestürzt war, steht er heute wieder bei knapp 10000 Euro – rund 42-mal so hoch wie 2015.

Technology Review 10/2015: Der Staat mischt wieder mit.

Dass Facebook 2019 mit seinem Versuch scheiterte, eine eigene Kryptowährung namens Libra zu etablieren, hatte wohl eher etwas mit dem Ruf von Facebook als mit dem von Bitcoin und Konsorten zu tun (siehe TR 13/2019, S. 56). Staaten und Zentralbanken verfolgen jedenfalls weiterhin das Ziel, ­eigene Kryptowährungen zu schaffen (siehe TR 1/2020, S. 38). China etwa hat zu den Olympischen Winterspielen 2022 eigenes Digitalgeld angekündigt. Und im September 2019 präsentierte die Bundesregierung ihre Blockchain-­Strategie. Darin geht es nicht nur um Zahlungsverkehr, sondern auch um auto­matisierte Geschäftsprozesse, etwa in der Energiewirtschaft oder der Logistik.

Im August 2020 stellten das Finanz- und das Justizministerium das erste konkrete Vorhaben vor: Anleihen sollen künftig nicht nur als Urkunde auf Papier, sondern auch auf Basis einer Blockchain ausgegeben werden können. Der Blockchain-Bundesverband lobte dies als „großen Wurf“ und „historischen Schritt“. Wenn der Entwurf durchgeht, wären Emittenten von Anleihen nicht mehr auf den bisherigen Zentralverwahrer für Urkunden angewiesen, die zur Deutschen Börse gehörende Firma Clearstream. Dies wäre dann die berühmte „Abschaffung der Intermediäre“, von der libertäre Blockchain-Fans immer geträumt haben – allerdings angestoßen vom Staat. Gregor Honsel