MIT Technology Review 10/2020
S. 98
Kolumne
Der Futurist
Illustration: Mario Wagner

Der Futurist

Wolke sieben

Okay. Überraschung gelungen. Du willst also einen Fallschirmsprung mit mir machen.“

Eva und er saßen in der Transportkabine der Maschine. Sie sah ihn kopfschüttelnd an, schien aber cooler zu sein als er, dem gerade das Herz in die Hose sackte. Aber ein Zurück kam nicht mehr infrage. Es ging um ihre Zukunft!

Der Fallschirm-Guide grinste sie an. „Wir sind gleich auf 4000 Metern. Ihr springt im Tandem, ich bleibe neben euch. Nach 50 Sekunden freiem Fall öffnet ihr auf mein Signal hin den Fallschirm. Okay?“

David nickte. Der Guide war in seinen Plan eingeweiht.

Während er Eva mit Gurten an David anhakte, warf David einen unauffälligen Blick auf den Ring am Mittelfinger. Der kleine glitzernde Knopf zeigte nach oben. Unauffällig drehte er den Ring so, dass er den Knopf problemlos mit dem Daumen erreichen konnte.

Es durfte nichts schiefgehen.

Sie sprangen und rasten mit 200 Stundenkilometern gen Erde.

Nervös fummelte David an seinem Ring. Dann endlich hob der Guide den Daumen. David presste auf den Knopf. Ein Gefühl erfasste ihn, als würde er nach einem Sprung vom Drei-Meter-Turm in Wasser eintauchen. Der Zerograv des Rings war aktiv, sein Feld kompensierte die Schwerkraft.

Sie standen reglos eintausend Meter über dem Erdboden. Er musste schnell machen. Jede Sekunde Anti-Schwerkraft kostete ihn 500 Euro.

„Eva“, sagte David hastig. „Willst du meine Frau werden?“

„Was ist los?“, stammelte Eva. „Wieso fallen wir nicht mehr?“

„Ich wollte dich überraschen. Ich wollte dir in der Luft einen Heirats­antrag machen. Dafür habe ich einen Zerograv besorgt. Eva, willst du meine Frau werden? Bitte antworte schnell. Der Zerograv kostet sehr viel Geld.“

Eva verstand gar nichts mehr. „Ähh…äh…“

David blickte nervös auf die Uhr. Vierzehn Sekunden waren schon vergangen. 7000 Euro.

„Eva. Schnell! Willst du mich heiraten?“

„David, ich…“ Sie schüttelte den Kopf. „Das geht mir zu schnell. Wie soll ich das denn jetzt entscheiden?“

21 Sekunden. 10500 Euro.

„Bitte! Ich brauche eine Antwort!“

„Ich, ich… kann nicht.“

Er seufzte. Dann drückte er den Knopf, und sie fielen wieder. Eva schrie erschreckt auf. Dann zog er die Reiß­leine des Fallschirms.

Eva war wütend auf ihn. Sie konnte ihm nicht verzeihen, dass er sie im Wortsinn hatte fallen lassen. Sie so unter Druck zu setzen, sei unfair gewesen. Das Geld sei ihm wichtiger gewesen als ihre Gefühle.

Sie schlug seinen Heiratsantrag aus und verließ ihn wenige Tage später.

Ein halbes Jahr später sah er sie zufällig am Ufer eines Sees – mit einem anderen Mann. Vorsichtig näherte er sich den beiden. Sie schliefen, innig umarmt. An der rechten Hand des Mannes sah er etwas funkeln: einen Zerograv-Ring.

David hatte eine Idee.

Er pirschte behutsam näher und drückte ganz vorsichtig den Knopf. Man sah es ihnen nicht an, aber beide Körper waren nun schwerelos. Es würde ein ­teurer Traum werden.

„Viel Spaß auf Wolke sieben“, murmelte David.

Jens Lubbadeh ist Autor mehrerer Wissenschafts-Thriller. Sein aktueller Roman heißt „Transfusion“. Jens Lubbadeh