MIT Technology Review 11/2020
S. 98
Kolumne
Der Futurist
Illustration: Mario Wagner

DER FUTURIST

Heißzeit

S preche ich mit David Demain?“, fragte eine freundlich klingende Frauenstimme.

„Am Apparat“, sagte er.

„Bitte entschuldigen Sie, Herr Demain. Angelika Martzinek von Odgers Berndtson Recruiting. Sind Sie interessiert an einem Jobangebot?“

Zwei Wochen später reichte David seine Kündigung bei Facebook ein. Odgers Berndtson hatte ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte.

„Ich kann es noch gar nicht glauben“, sagte David zu seinem Freund Andi. „Dass ich mal bei RWE arbeiten würde. Aber, hey, vierfaches Gehalt. Firmenwagen. Wer kann da Nein sagen?“

„Und das ist dein Firmenwagen?“, fragte Andi ungläubig, als David ihn stolz in die Garage führte. „Ein Porsche 911 Carrera? Lecko mio! Du hast ja wohl den Jackpot geschossen. Na ja, war abzusehen...“

David runzelte die Stirn. „Abzusehen? Wieso?“

„Guckst du keine Nachrichten? ­Klimawandel? Energiewende? Hallo? Die Bundesregierung hat das neue ­Klimapaket verabschiedet. Über eine Billion Euro wollen die in neue Kohlekraftwerke investieren, um die Emis­sionssteigerungsziele aus Brüssel zu erfüllen.“

David hatte die Nachrichten tatsächlich nicht verfolgt. Er war vier Wochen auf Digital Detox in einem bayerischen Kloster gewesen und gerade erst zurückgekehrt.

„Kennst du diesen alten Roland-Emmerich-Film? Der Golfstrom versiegt jetzt tatsächlich. Die Eiszeit kommt, wenn wir nicht handeln. Jetzt heißt es, CO2 rauszupusten, was das Zeug hält, um die globale Abkühlung zu bremsen.“

Einige Wochen später war nichts mehr wie vorher. Herz des Klimapakets war die Einführung der CO2-Prämie. Jede Tonne Klimagas bedeutete bares Geld. Jeder sollte mithelfen, die Emissio­nen zu steigern. Elektroautos wurden verboten, ab sofort mussten Fahrzeuge mindestens 450 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Für den Kauf eines Neuwagens erhielt man 10000 Euro staatlichen Zuschuss, wer sein Fahrrad gleich mit verschrottete, bekam 15000.

David konnte nicht klagen, er verdiente einen Haufen Geld in der Kohleindustrie. Aber sein Job erfüllte ihn nicht wirklich. Er rief seinen Freund an, von dem er einige Wochen nichts mehr gehört hatte. Der klang ver­zweifelt.

„Es ist zum Heulen“, jammerte Andi. „Ich habe mein Depot zu spät umgeschichtet. Weißt du, wie viel Geld ich verloren habe mit meinen ganzen Sustainable ETFs? Alle abgestürzt.“

„Was hältst du davon, wenn wir was Neues machen?“, fragte David. „Mein Job ist öde, du brauchst Geld.“

„Und was willst du machen?“

„Alle reden nur über CO2. Dabei ist Methan 28-mal so klimapotent!“

„Aber woher kriegen wir Methan?“

„Na ja, von den Kühen. Wir machen eine Viehzucht auf!“

„Das ist nicht dein Ernst!“, sagte Andi. „Du willst Bauer werden?“

„Ja! Unsere Kühe produzieren Methan, das sie in die Atmosphäre furzen – wofür wir die 28-fache CO2-Prämie kassieren. Und aus der Gülle machen wir Biogas, das wir auch in die Atmosphäre blasen und noch mal kassieren.“

Andi überlegte einen Moment. Dann sagte er nur: „Genial. Aus Scheiße Gold machen und dabei die Welt retten. Das gefällt mir.“

Jens Lubbadeh ist Autor mehrerer Wissenschafts-Thriller. Sein aktueller Roman heißt „Transfusion“. Jens Lubbadeh