Technology Review Special 2020
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Uff, ein schweres Jahr liegt hinter uns. Will man da wirklich noch eine Rückschau lesen?

Wir finden: Ja – Covid hin, Covid her. Schließlich sind 2020 noch mehr Dinge passiert, und zwar durchaus wichtige und spannende. In diesem Heft wollen wir die Pandemie – so wenig man ihr journalistisch aus dem Weg gehen kann – nicht alles dominieren lassen. Stattdessen geben wir Themen ­einen breiten Raum, die durch den Blick auf Inzidenzwerte und Infektionskurven oft vernachlässigt wurden.

Dazu gönnen wir Ihnen und uns den Luxus, andere ausführlich zu Wort kommen zu lassen – Autoren und Denker, denen wir zutrauen, unseren ­Rückblick zu schärfen und uns eine umfassendere Sicht auf das Jahr 2020 zu vermitteln.

Einige Themen könnten in Zukunft eine ebenso existenzielle Bedeutung entfalten wie das Coronavirus heute. Zum Beispiel die Frage, ob Maschinen ethisch handeln können. Der Philosoph Richard David Precht behandelt sie ab Seite 16. Oder was es für die menschliche Sprache bedeuten würde, wenn wir unsere Gehirne per Neurochips zusammenschalten könnten. Wie der Kommunikationswissenschaftler Mark Dingemanse schreibt, ist das eine weit weniger utopische Vorstellung, als viele vermuten würden (S. 10).

Andere Essays bürsten gängige Gewissheiten gegen den Strich. Tot ist tot? Nicht unbedingt, argumentiert Bioethiker Arthur Caplan und erklärt, wie sich unsere Definition vom Tod mit der Zeit ändert (S. 36). Der Glaube an eine flache Erde ist ein Ausbund an Realitätsverleugnung? Mag sein, aber auch eine Folge von Mechanismen, vor denen keiner von uns gefeit ist, so Schriftsteller Cory Doctorow (S. 44). Zu viel Verkehr ist vor allem eine Folge verfehlter Stadtplanung? Stimmt so nicht. Er basiert laut Verkehrswissenschaftler Martin Randelhoff auf aktuellen Trends, die sich eher noch verstärken werden (S. 80).

Und zum Schluss noch etwas Optimismus: Wachstum und Ressourcenverbrauch lassen sich durchaus entkoppeln, berichtet Wirtschaftsforscher Andrew McAfee (S. 70).

In diesem Sinne: Lassen Sie sich von 2020 nicht unterkriegen!

Gregor Honsel