Technology Review Special 2020
S. 32
Gesundheit

Covid-19: Die Gratwanderung mit der Impfpflicht

Können und sollten Staaten Schutz vor Viren vorschreiben? Eine Analyse der Situation in Deutschland und den USA.

Von Lauren Tonti

Da es zur raschen Eliminierung der Krankheit notwendig ist, (…) wird hiermit angeordnet, dass alle Einwohner der Stadt (…) geimpft werden.“ Angesichts des weltweiten Wartens auf ­einen Impfstoff gegen Covid-19 ist ein solches Edikt heutzutage ebenso denkbar wie 1902, als es zur Eindämmung eines Pockenausbruchs in Cambridge, Massachusetts, erlassen wurde. Die Aussicht auf einem wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 wurde für Millionen Menschen zu einer leuchtenden Hoffnung. Diese potenzielle Fahrkarte zurück zur Normalität veranlasste beinahe 25000 Menschen, sich als freiwillige Test­personen zu melden, und Regierungen zu enormen ­Investitionen in die Impfstoffforschung. Gleichzeitig erhoben sich Proteste gegen die Impfung. Diese Reaktion war zu erwarten, rückt das Coronavirus doch ein viel diskutiertes Thema in den Vordergrund – die Impfpflicht.

Eine allzu starke Konzentration auf die Entwick-lung von Therapien kann aber von den komplizierten Sachverhalten rund um die Verabreichung ablenken. Kontroverse Debatten über individuelle Freiheit und Verfassungsmäßigkeit werden die Einführung des Impfstoffs unausweichlich begleiten, denn es bleibt die Frage: Wenn eine Impfung erst einmal zur Verfügung steht – wer wird sie zwingend erhalten müssen? Schon jetzt sind die Meinungen darüber geteilt. So befürwortet der Präsident des Weltärztebundes eine Pflichtimpfung, während die Regierungskoalition in Deutschland Spekulationen über Zwang zurückwies. Angesichts dessen müssen die Interessenvertreter schon jetzt die rechtlichen Verpflichtungen und Schutzvorkehrungen verstehen, um eine praktikable Verteilung zu gewährleisten, sobald ein Impfstoff verfügbar ist.