MIT Technology Review 3/2020
S. 76
Fokus
Neurotechnologie
Der Brasilianer Miguel Nicolelis schürte mit seinem Experiment, Affen nur per Gedankenkraft einen Roboter steuern zu lassen, große Hoffnungen. Foto: Gabriel Rinaldi/Redux/Laif

Von Visionen und Illusionen

Ob Steuerung von Prothesen oder Auslesen von Gedanken: Elon Musk, Facebook oder die Militärforschungsbehörde Darpa setzen große Hoffnungen in Computer-Hirn-Schnittstellen. Wie weit ist die Technologie?

Von Christian Wolf

Miguel Nicolelis sorgte 2003 weltweit für Schlagzeilen: Der brasilianische Hirnforscher von der Duke University ließ einen Rhesusaffen einen Roboterarm steuern – nur mit der Kraft von Gedanken. Elektroden hatten die Signale im Affenhirn registriert und an einen Steuercomputer weitergeleitet. Damals schien es nur eine Frage der Zeit, bis Menschen mit schweren Lähmungen mittels solcher Computer-Hirn-Schnittstellen (BCI) Prothesen und Rollstühle würden steuern können. Zudem haben in den letzten Jahren Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley wie Facebook die Technologie für sich entdeckt. Mit der Verschmelzung von Gehirn und Computer sollen User etwa allein über Gedanken ihr Smartphone steuern können (siehe Seite 80).

Doch wie weit ist die Technik heute wirklich? „In der Grundlagenforschung gab es bei BCI-Geräten in den letzten 15 Jahren durchaus Fortschritte“, sagt Philipp Kellmeyer, Neurologe am Universitätsklinikum Freiburg und BCI-Spezialist. „So etwa wurde die Decodierung von Gehirnsignalen stetig ­genauer.“ Erst kürzlich berichteten Forscher um den Neurochirurgen Alim Louis Benabid von der University of Grenoble von einem Exoskelett, durch das ein querschnittsgelähmter Patient erstmals über Gedanken alle vier Gliedmaßen steuern konnte. Die Wissenschaftler haben dem Mann dazu Elektroden unter die Schädeldecke implantiert – aber nicht ins Gehirn. Der Eingriff ist weniger invasiv, und doch sind die Signale wesentlich klarer als bei einem EEG. Wenn der Patient sich darauf fokussiert, eines der gelähmten Beine zu bewegen, zeichnen die Elektroden die Hirnströme in den Bereichen des Gehirns auf, die Empfindung und Motorik steuern. In Tierversuchen ließen sich sogar nur über Stimulation des Rückenmarks Gehbewegungen auslösen (siehe Seite 90).