MIT Technology Review 5/2020
S. 48
Horizonte
Textilien
Foto: Shutterstock

Das XXL-Problem

Nicht einmal ein Prozent aller Kleidung wird bisher hochwertig recycelt – und das, obwohl die Textilbranche als schmutzig und ressourcenintensiv gilt. Weltweit tüfteln Forscher und Start-ups daher an neuen Recyclingverfahren.

Von Katja Scherer

Laura Kunze verteilt mit beiden Händen einen Haufen Kleiderfetzen auf dem Tisch: Stoffe in bunten Farben, manche grob gestrickt, manche fein gewebt, alle fein säu­berlich in gürtelbreite Streifen gerissen. Die Reste einer ­Nikolausmütze sind zu erkennen, ein bunter Strickpulli, ein Schal in mattem Olivgrün. Auf den ersten Blick wirkt der Haufen, als sei er gerade noch gut genug für einen Patchwork-Kurs. Aber Kunze hat damit mehr vor. Die Textildesigningenieurin arbeitet bei der Entwicklungs- und Designfirma imat-uve in Mönchen­gladbach und sucht nach einem neuen Verfahren zum Klei­derrecycling. Die gerissenen Stoffstreifen sind die Basis dafür. „Bisher hat sich kaum jemand Gedanken da­rüber gemacht, wie man Altkleider aus Mischfasern sinnvoll wiederverwerten kann“, sagt sie. Das gelte auch für Kleider, die gar nicht erst verkauft werden. „Dabei sind all das wertvolle Rohstoffe.“

Ob Plastik, Papier oder Glas: Bei vielen anderen ­Materialien ist hochwertiges Recycling inzwischen verbreitet. Für die ­Textilbranche aber klingen solche Worte wie eine Revolution. Neue Ware produzieren – möglichst schnell, möglichst billig und möglichst viel – so lautet das Credo ­bisher. Allein zwischen 2000 und 2015 hat sich der Absatz neuer Kleidung ver­doppelt, das zeigen Zahlen der Marktforscher von Euromonitor Inter­national. Gleichzeitig werden nach Angaben der Ellen MacAr­thur Foundation weltweit aktuell weniger als ein Prozent aller aussortierten Hosen, Jacken und Pullover wieder zu neuer Kleidung verarbeitet. Drei Viertel landen, sobald sie niemand mehr ­tragen will, auf Deponien oder in der Müllverbrennung; zwölf Prozent enden als Putzlappen, Isoliermaterial oder Matratzenfüllung. „Jedes Jahr gehen mehr als 500 Milliarden US-Dollar an Wert durch unzureichende Nutzung von Kleidung und mangelndes Recycling verloren“, so das Fazit der Studienautoren.