MIT Technology Review 9/2020
S. 3
Editorial
© Joanna Nottebrock

Liebe Leserinnen und Leser,

Wenn 20000 Menschen in Berlin ­unter dem Motto „Das Ende der Pandemie“ demonstrieren, wenn viele Covid-19 für eine Verschwörung von Politik und Pharmaindustrie ­halten und glauben, dass der Impfstoff gegen das Virus Mikrochips beinhalten wird, um die Menschheit zu kontrollieren – dann sollte man vorsichtig sein mit Artikeln über die subtile Beeinflussung des menschlichen Geistes. Deshalb gleich ein Disclaimer vorneweg: Die Forscher in unserer Titelgeschichte versprechen nicht, dass sie unbemerkt in die Träume jedes Menschen eindringen und diese manipulieren können. Dazu sind ihre Geräte noch zu klobig, der Aufwand zur Beeinflussung noch zu hoch.

Aber wer sich bewusst auf ihre Traummaschinen einlässt, kann erstaunliche ­Effekte erleben: Ab Seite 26 schreiben wir, wie es Wissenschaftlern inzwischen ­gelingt, den Inhalt der Träume zu lenken, Menschen im Schlaf lernen zu lassen und sie kreativer zu machen. Sogar das Rauchen haben sie einigen Probanden auf diese Weise abgewöhnt. Zwar nur für eine Woche, aber immerhin.

Sollte daraus irgendwann tatsächlich ein neues Manipulationswerkzeug erwachsen, wäre das zwar gefährlich, würde aber kein Problem schaffen, mit dem wir nicht heute schon umgehen müssen. Von gefälschten wissenschaftlichen Studien bis zu Deep Fakes – wer es will, kann längst den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge verwischen. Da die Welt immer abstrakter und der physische Abgleich mit der Wirklichkeit schwerer wird, fällt es leider immer leichter. In unserem Fokus ab Seite 76 porträtieren wir daher Menschen, die sich gegen eine Welt voller Fakes stellen. Sie entwickeln Methoden, um Deep Fakes zu erkennen, spüren in wissenschaft­lichen Publikationen Manipulationen auf oder begeben sich auf die Spur von ­Produktpiraten. Ohne ihre Arbeit kann eine moderne Gesellschaft nicht funktio­nieren. Denn am Ende muss sie ihre Kraft aus dem Streben nach Wahrheit ziehen. Sind andere Kräfte am Werk, endet die Geschichte meist nicht gut.

Ich begrüße Sie in unserer September-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke