MIT Technology Review 1/2021
S. 106
Kolumne
Der Futurist
Illustration: Mario Wagner

Der Futurist

Verschlafen

Was wäre, wenn wir Winterschlaf hielten?

Na, wo möchten Sie die beiden Hübschen hinhaben?“

Die Pod-Lieferanten von Somnia standen vor ihm. Zwei grobe Typen in blauen Overalls mit Murmeltier-­Logo auf der Brust.

„Ähm, hier gleich ins Wohnzimmer, bitte“, sagte David.

Die Männer ächzten, als sie die Pods hereintrugen. Sie waren so groß wie eine Sonnenbank. Man legte sich einfach rein und wurde auf plus 2,7 Grad Celsius heruntergekühlt.

„Jut“, sagte der Lieferant. „Dann brauch ick hier noch ’ne Unterschrift.“

David nickte und unterzeichnete. Eva kam herein und begutachtete die Pods.

„Wo ist denn der Stabilisator?“, fragte sie verwundert. „Mensch, David, hast du den etwa nicht mitbestellt?“

Sie sah ihn vorwurfsvoll an.

Der Stabilisator war ein Gas, das man vor dem Winterschlaf inhalierte. Er sollte den Alterungsprozess ver­langsamen.

„Sorry, hab ich vergessen.“

David war genervt. Immer meckerte sie an ihm herum. Er war froh, wenn er endlich schlafen gehen konnte und vier Monate lang seine Ruhe vor ihr haben würde.

„Denn hol ick die Pods im März wieder ab.“

Die Rechnung war gesalzen. Die Pods würden im Monat 1000 Euro Miete kosten. Aber unterm Strich lohnte sich der Winterschlaf. Man sparte Ener­gie, den Lebensunterhalt, und wenn man die Pods mit Ökostrom betrieb, konnte man die Rechnung von der Steuer absetzen.

Am nächsten Tag legten sie sich in die Pods.

„Sehr ärgerlich, dass wir keinen Stabilisator haben“, schnaubte Eva. „Ich habe wirklich schon genug Falten.“

Sie ging ihm so dermaßen auf die Nerven.

„Hast du an den Weckdienst gedacht?“, fragte sie.

„Ja“, sagte David genervt, „das habe ich“.

Der Weckdienst berechnete sich pro Pod. Er würde dann Eva wecken.

Sie beschwerte sich weiter über seine Unzuverlässigkeit, aber er klappte einfach seinen Deckel zu. Dann stöpselte er die Infusion an seinen Handport, die ihn mit den notwendigen Nährstoffen und dem Frostschutzmittel versorgen würde. Er drückte auf den Knopf, der den Pod aktivierte und wartete auf den langen Schlaf.

Als Eva ihre Augen aufschlug, sah sie erst einmal nur verschwommen. Sie kannte das aus früheren Jahren. Doch dieses Mal war es besonders doll.

Ein verschwommenes Gesicht ­erschien vor ihr. Es wirkte vertraut, aber doch auch irgendwie fremd.

„Willkommen zurück, Eva.“

Sie erkannte die Stimme. Und im gleichen Moment wurde das Gesicht vor ihren Augen scharf. Es war David.

Das Gesicht vor ihr gehörte einem alten Mann.

Sie versuchte zu verstehen.

Dann ertönte eine Stimme aus ­einem anderen Raum.

„David, Essen ist fertig.“

„Gleich, Schatz.“

„Was ist los?“, fragte sie verwirrt. „Warum bist du so alt?“

„Oh. Ich dachte, ich lasse dich einfach ein bisschen länger schlafen. So hatten wir beide unsere Ruhe. Aber keine Sorge: Ich habe dir den Stabilisator noch besorgt und eingeflößt.“ Jens Lubbadeh