Meinung | Bücher | MIT Technology Review

ESSAYS

Die Philosophie hinter der Technik

Adrian Daub, Jahrgang 1980, ist Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford Universität mitten im Herzen des Silicon Valley. Das verschafft ihm einen gleichzeitig distanzierten und intimen Blick auf die Techbranche. Er nutzt dies, um die Philosophie des Silicon Valleys mit einer Reihe lose zusammenhängender Essay auf links zu drehen.

Adrian Daub: Was das Valley denken nennt – Über die Ideologie der Techbranche, edition suhrkamp, 159 Seiten, 16 Euro (E-Book: 15,99 Euro)

Etwa, wenn er die Macht sozialer Plattformen auf eine Gedankenwelt zurückführt, die geprägt wurde von Marshall McLuhans berühmtem Spruch „Das Medium ist die Botschaft“. „Die Vorstellung, der Inhalt sei eigentlich zweitrangig – obwohl die im Silicon Valley erfundenen Plattformen weiterhin auf ihn angewiesen sind –, ist dort tief verwurzelt“, schreibt Daub. „Zum Milliardär wird die Person, die die Plattform entwickelt. Die Person, die den Inhalt bereitstellt – seien es Bewertungen auf Yelp (…) oder die auf Uber geopferten Stunden –, ist ein Tölpel, der sich von einem schimmernden, aber letzten Endes sinnlosen Objekt ablenken lässt.“

Die Geringschätzung der Inhalte nutzt laut Daub vor allem Trollen: „Der Troll spielt das Instrument so, wie es gespielt werden soll. Und der Instrumentenbauer muss so tun, als träfe das Gegenteil zu: Er muss händeringend erklären, die Plattform sei einem platonischen Ideal der Kommunikation entsprungen und stehe glückselig und gleichmütig hinter den Videos von Anhängern der Flacherde-Theorie, den antisemitischen Memes und den Call-out-Videos.“

Auch die gerne gepflegte Revolutionsrhetorik demontiert Daub: „Sie wollen keine Steuern zahlen? Kein Problem, das ist von jetzt an eine ideologische Haltung. Bürokratie und langatmige Sitzungen gehen Ihnen auf die Nerven? Herzlichen Glückwunsch, das ist jetzt eine Philosophie. Diese wohlfeile Nobilitierungsgeste haben Denker wie [Ayn] Rand im heutigen Diskurs tief verankert.“

Nicht immer mag man Daub bis in die letzten Verästelungen seiner Argumentation folgen. Aber meist sind seine Befunde erfrischend bissig und prägnant. Hat man bestimmte Denkmuster erst einmal erkannt, sieht man nicht nur das Silicon Valley, sondern die ganze Techbranche mit anderen Augen.

GREGOR HONSEL

KLASSIKER NEU GELESEN

Die Wahrheit siegt doch

Berthold Brecht: Leben des Galilei, Suhrkamp, 131 Seiten, 6 Euro (E-Book 5,99)

Generationen von Schülern dürften die Geschichte von Galileo Galilei kennen. Vermutlich erinnern sie sich ob der reinen Dialoge und nur ein paar spärlichen Regieanweisungen zumindest mit gemischten Gefühlen daran. Dabei ist der Stoff nicht unspannend – das Theaterstück von Bertolt Brecht erzählt die Geschichte des Naturwissenschaftlers, der durch seine astronomischen Beobachtungen die Welt erschütterte: Galilei hatte den Beweis dafür gefunden, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Eine Erkenntnis, die Anfang des 17. Jahrhunderts noch als Ketzerei galt. Galilei, der alte Sturkopf, will nicht glauben, dass sich die Kirche der Kraft der Erkenntnis widersetzen kann. Also fordert er die Inquisition der katholischen Kirche heraus, knickt angesichts drohender Folter ein und widerruft seine Thesen öffentlich. Nur um dann alt und todkrank eine Abschrift seiner Arbeit nach Holland schmuggeln zu lassen – wo sie doch noch veröffentlicht wird.

Brecht hat das Stück 1938/39 im dänischen Exil als Kritik an der Kirche geschrieben, aber nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima noch einmal überarbeitet und den Schwerpunkt auf die Verantwortung des Wissenschaftlers gelegt. Und genau diese Frage, wie verantwortlich Forscher für die Folgen ihres Tuns sind, ist noch immer hochaktuell. Auch wenn es heute mehr um KI geht, Datenanalyse oder Gen-Editierung statt um Physik. Dabei ist Brecht überzeugt: Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten, die Menschen wollen wissen, wie die Welt beschaffen ist, sie wollen denken, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Auch ein Wissenschaftler, der, um seine Haut zu retten, den Fortschritt verleugnet, wird diesen Prozess nicht aufhalten. Schon allein wegen dieses Optimismus lohnt es sich, den Text noch mal zu lesen.

Wolfgang Stieler