MIT Technology Review 2/2021
S. 94
Meinung
Foto: Bohao Zhao; Bearbeitung: Technology Review

Des Bargelds Tod

Der Schweizer Forscher Roger Wattenhofer ist überzeugt, dass das elektronische Zentralbanken-Zahlungsmittel CBDC über kurz oder lang das Bargeld komplett ersetzen wird. Das neue Zahlungsmittel habe viele Vorteile.

Wir haben führende Schweizer Einzelhändler gefragt, ob sich das Zahlverhalten wegen Covid-19 verändert hat. Und tatsächlich: Wurde kurz vor Covid-19 noch mehrheitlich bar bezahlt, sind die Barzahler nun in der Minderheit. Momentan zahlen circa 60 Prozent der Kunden mit einer App oder mit Plastikgeld. Noch ist nicht klar, ob sich das Zahlverhalten wieder zurück zum Bargeld verschiebt, sobald wir Covid-19 überstanden haben – wenn dann nicht das nächste Virus vor der Türe steht.

So oder so steht ein mächtiger Konkurrent mit dem etwas sperrigen Namen Central Bank Digital Currency (CBDC) in den Startlöchern. Einige Zentralbanken treiben die Entwicklung von CBDC voran. In Schweden nennt sich das „e-krona“, in Uruguay „digital peso“, in China „Digital Currency Elec­tronic Payment“ (DC/EP).

Was ist CBDC genau? CBDC ist eine elektronische Währung, herausgegeben von der jeweiligen Zentralbank. Prinzipiell sollte die Philosophie von CBDC nahe am Bargeld sein. Ein digitaler Euro ist genau gleich viel Wert wie eine Euro-­Münze. Der digitale Euro ist ein legales Zahlmittel – und muss entsprechend von allen Händlern akzeptiert werden. Das Frontend von CBDC entspricht dem Frontend von App-Geld wie Google Pay. Man bezahlt kontaktlos, auch Überweisungen zwischen Privatpersonen erledigt man direkt von Smartphone zu Smartphone. Das Backend ist dem Backend von Kryptowährungen angelehnt. Transaktionen sind digital signiert, eine Blockchain oder Mining braucht es allerdings nicht. CBDC wird von der Zentralbank zum Beispiel im Tausch gegen Bargeld herausgegeben. Transaktionen werden von einer kleinen Gruppe von Rechnern verifiziert oder direkt in einem Bezahlnetz durchgeführt.

Falls es richtig umgesetzt wird, dann wird CBDC sowohl Bargeld als auch Debitkarten verdrängen. Dezentrale Kryptowährungen wie Bitcoin werden ihre Nische als libertäres Gegenmodell behaupten, aber andere Bezahlsysteme werden mit CBDC verschmelzen.

Die Vorteile

Zu unserer eigenen Überraschung haben wir bei unserer Untersuchung festgestellt, dass eine gute CBDC-Implementation so ziemlich alle Nachteile der bisherigen Bezahlsysteme in Vorteile umwandeln kann. CBDC ist sogar besser als die Vereinigung aller bisherigen Bezahlsysteme.

Im Gegensatz zu Bargeld sind die Produktionskosten nahezu null, Transaktionen an der Kasse schnell. Online be­zahlen funktioniert problemlos. Es gibt keine Geldfälschung, keine Steuerhinterziehung, keinen Verlust oder Diebstahl.

Im Gegensatz zu App-Geld wird die Privatsphäre geschützt und kann nur mit einer richterlichen Verfügung aufgehoben werden. Man muss keinem Dienstleister vertrauen: CBDC-Geld verschwindet nicht, wenn eine Bank oder ein Bezahldienstleister Konkurs geht. Die Zentralbank garantiert, dass Transaktionen komplett gebührenfrei sind und bleiben. Auch das Horten von viel CBDC ist komplett kostenfrei – wie beim Bargeld.

Leider folgen nicht alle Zentralbanken dieser Philosophie des Bargelds. Insbesondere die Europäische Zentralbank hat schon angedroht, dass sie CBDC mit Negativzinsen belegen möchte. Wenn das so bleibt, werden wohl eher Konkurrenzprodukte wie Facebooks „Diem“ das Rennen machen.

… und bei Stromausfall?

Eine technisch interessante Frage ist das Überweisen von Geld im Notfall, zum Beispiel bei Strom- oder Internetausfall. In einer solchen Ausnahmesituation wäre es angebracht, dass CBDC-Transaktionen nach wie vor akzeptiert werden. Der gutgläubige Umgang mit Transaktionen im Notfall würde jedoch einem Betrüger mit manipuliertem Smartphone ermöglichen, das gleiche Geld doppelt auszugeben. Allerdings wäre eine solche Kombination von Umständen sehr selten. Außerdem würde solch ein Betrugsversuch aufgedeckt, sobald Strom und Internet wieder zurück sind. Dann stimmt die Buchhaltung wieder, und man kann den Betrüger strafrechtlich belangen, so wie man das heute schon bei Herstellern von Falschgeld macht. Man kann sogar einfach seine Adresse ermitteln.

Transaktionen nachverfolgen

Womit wir bei der Privatsphäre wären. Bargeld kann komplett anonym transferiert werden. Bei CBDC gibt es eine Datenspur. Diese ist verschlüsselt und außerdem möglichst nur zwischen Beteiligten vorhanden. Der Staat sieht normale Transaktionen nicht, sondern höchstens eine Gesamtsumme von Transaktionen. Wenn der Staat allerdings einer Transaktion nachgehen möchte, dann kann er die Identität und entsprechende Zahlungen eines Verdächtigen lüften. Der Gesetzgeber sollte jedoch dafür sorgen, dass das Aufdecken von Identitäten nicht zu oft vorkommt.

Nur verwenden, was man versteht?

Schließlich gibt es noch den Kritikpunkt der Komplexität. CBDC baut auf das Prinzip der asymmetrischen Kryptographie – einer Anwendung der mathematischen Zahlentheorie, die man auch in Zukunft wohl nicht in der Schule lernen wird. Man muss also gewissermaßen einer Technologie vertrauen, die man nicht komplett durchschaut. Doch seien wir ehrlich: Wir vertrauen auch sonst vielen Technologien, die wir auch nicht komplett verstehen, sogar der asymmetrischen Kryptographie selbst („https“).

Bargeldliebhaber sagen, dass sie die Nachteile von Bargeld nicht stören, da diese vor allem Probleme der Verwaltung und der Händler seien, aber nicht die eigenen. Das stimmt. Es wird aber wohl so sein, dass die Kosten von Bargeld bald auf die Kunden abgewälzt werden. Dann wird sich entscheiden, ob man Bargeld so sehr liebt, dass man dafür auch mehr zahlt. Das ist heute zum Teil schon so. Parkgebühren werden per App auf die Minute genau abgerechnet. Wer die reservierte Parkzeit nicht ausnutzt, bekommt das restliche Geld zurück. Mit CBDC geht sowas auch – selbst ohne dass der Bezahldienstleister weiß, wo man geparkt hat.