MIT Technology Review 3/2021
S. 100
Karriere
Ausbildung

Was macht ein Windkümmerer?

Windkümmerer coachen Kommunen bei Windkraftprojekten und schlichten im Streitfall.

Auf der Anhöhe über dem Ortsteil Schrattenbach drehen sich zwei Windräder. Werner Endres reicht das nicht. Der Bürgermeister der Allgäuer Gemeinde Dietmannsried steht damit vor einem umfangreichen Windkraftgenehmigungsverfahren und vielen Fragen: An welchem Standort wird das Potenzial optimal ausgeschöpft? Wie lassen sich Bürger in das Projekt einbeziehen und wie können sie an der Anlage mitverdienen?

Rat und Tat bietet Martin Sambale an. Er ist Windkümmerer. Dieser neue Berufszweig soll in Bayern die Flaute beenden: 2018 gingen im Freistaat gerade einmal acht Windräder in Betrieb, 2019 fünf, im ersten Quartal 2020 sechs.

Foto: Bodoklecksel/Wikipedia
Martin Sambale berät mit seinem Team des Energie- und Umweltzentrums Allgäu Gemeinden beim Thema Windenergie.
Foto: © Rupp/eza!

Windkümmerer unterstützen als neutrale Experten Kommunen bei ihren Windenergie-Projekten. Der Leidensdruck ist groß: „Es haben sich weit mehr um unsere Zuschüsse für Berater beworben als erwartet“, so Katrin Nikolaus, Sprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.

„Diese Tätigkeit erfordert ein vielfältiges Set an Qualifikationen“, sagt Sambale. „Man muss sowohl über technisches Wissen als auch über soziale Kompetenzen verfügen“, so der Geschäftsführer der Energieagentur eza!. Sie ist eine von 40 Energieagenturen, die für frischen Wind sorgen sollen.

Wie die meisten Windkümmerer ist auch Sambale Energieberater. Grundsätzlich setzt dieser Beruf eine Fachkraft-Erfahrung oder ein technisches Studium voraus. Aber auch Bau- oder Maschinenbau-Ingenieure oder Architekten können sich zum Energieberater aus- oder weiterbilden lassen.

„Aber nicht nur Fachwissen ist gefragt, wenn Gemeinderäte und Bürger über pro und kontra einer Anlage informiert werden“, so Sambale. „Bei widerstreitenden Meinungen muss der Windkümmerer auch als qualifizierter Moderator wirken können.“

Die wohl größte Hürde beim Ausbau der Windenergie ist die exklusiv in Bayern geltende „10-H-Regel“: Sie legt den Abstand von Windrädern zum nächsten Wohngebiet fest. Der muss mindestens zehnmal so groß sein, wie die Mühlen hoch sind. Mit geringerem Abstand darf nur gebaut werden, wenn einzelne Gehöfte betroffen und die Eigentümer einverstanden sind. Hier sind die Vermittlungsfähigkeiten von Windkümmerern gefragt.

Geht der Ausbau so schleppend weiter wie bisher, muss Bayern bis 2025 rund 30 Prozent seines Strombedarfs aus Importen decken, prognostiziert die Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München. Joseph Scheppach und Jo Schilling