MIT Technology Review 6/2021
S. 105
Fundamente
Rückschau

Bis heute ein Verlustgeschäft

An dieser Stelle blicken wir zurück auf Artikel, die vor zehn Jahren in MIT Technology Review erschienen sind. Diesmal: Autobauer als Mobilitätsdienstleister

Technology Review 9/2011: Durchwachsene Bilanz

Klimadebatte, überfüllte Straßen und nachlassende Autobegeisterung stellen die Daseinsberechtigung des Pkws infrage“, schrieb TR vor zehn Jahren. „Die Autohersteller reagieren darauf zweigleisig: Zum einen optimieren sie das einzelne Fahrzeug, zum anderen positionieren sie sich zunehmend auch als Mobilitätsdienstleister.“

Tatsächlich stellen die Hersteller ihr Angebot nun auf E-Antriebe um. Die 2011 ebenfalls erwartete „Ausweitung der Modellpalette nach unten“ blieb allerdings aus: Mini-Wägelchen wie der Renault Twizy, der damals gerade auf den Markt kam, sollten sich laut Frost & Sullivan „zu einem der stärksten Umsatzgeneratoren entwickeln“. Tatsächlich wuchs vor allem ein Marktsegment: Dicke SUVs.

Die Bilanz der Autobauer als Mobilitätsdienstleister ist durchwachsen. Daimler und BMW haben mit ihren Carsharing-Angeboten Car2go und DriveNow auf das „Free Floating“-Prinzip ohne feste Stationen gesetzt. Es ist bis heute ein Verlustgeschäft. 2019 legten die Konzerne ihre beiden Dienste deshalb zu Share Now zusammen und stutzten sie zurecht – ebenso wie das Geschäft mit Mobilitäts-Apps.

VW scheint jedoch genau den umgekehrten Weg zu gehen: Es wagte sich im gleichen Jahr unter dem Namen WeShare mit einer rein elektrischen Flotte in den Sharing-Markt – bisher allerdings nur in Berlin (siehe TR 9/2019, S. 26). Und Ende Juli 2021 übernahm es den Autovermieter Europcar, wohl um ihn zu einer Plattform für Mobilitätsdienstleistungen auszubauen.

Während der Pandemie konnten die Anbieter ihre Kundenbasis halten, weil viele Menschen Busse und Bahnen mieden. Doch von den Kommunen kommt zunehmend Gegenwind. Berlin will von den Betreibern künftig eine Gebühr für die „Nutzung des öffentlichen Raums“ erheben. Und das Oberverwaltungsgericht Münster entschied im März 2021, dass Städte die Sharingdienste stärker regulieren dürfen.

Hintergrund ist der Streit darüber, wie umweltfreundlich das Free-Floating-Prinzip tatsächlich ist. Zwar ist die Elektroquote in den Sharing-Flotten mit 18,5 Prozent weitaus höher als im restlichen Autobestand (derzeit 1,2 Prozent). Aber Kritiker verweisen darauf, dass die Wagen vor allem in den Zentren von Großstädten genutzt würden, wo die meisten Ziele ohnehin gut zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV zu erreichen seien.

VW hat mit dem Ridepooling-Dienst Moia – eine Mischung aus Taxi und Rufbus – noch ein weiteres Eisen im Feuer. Die eigens entwickelten elektrischen Kleinbusse sind bisher allerdings nur in Hamburg und Hannover unterwegs. Auch Daimler ist indirekt am vergleichbaren Dienst Berlkönig in Berlin beteiligt. Diese Angebote arbeiten teilweise mit den örtlichen Verkehrsbetrieben zusammen. Ob sie sich durchsetzen, muss sich noch zeigen. Gregor Honsel