MIT Technology Review 1/2022
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

nach 16 Jahren Merkel will die neue Bundesregierung „mehr Fortschritt wagen“. Das ist zumindest das Motto der Ampel-Koalition. Dazu gehört selbstredend auch die Digitalisierung, die bisher schleppend vorangekommen ist. Und das ist noch milde ausgedrückt. Denn wenn wir mal ehrlich sind: Sie ist noch immer, nach all den Jahren der Versprechungen, eine Katastrophe. Der digitale Staat: mehr oder weniger Wunschdenken. Die digitale Infrastruktur noch immer löchrig wie ein Schweizer Käse. Und auch im Bildungsbereich ist trotz Pandemie wenig passiert.

Anstatt jetzt aber nur den schlechten Status quo zu kritisieren, gehen wir in unserer Titelgeschichte den umgekehrten Weg (Seite 16). Wir zeigen, dass es bereits etliche Digitalisierungsvorhaben in der Republik gibt, die Hoffnung machen. Bürgermeister, die auf Kommunalebene digitale Verwaltungsprojekte vorantreiben, oder Agenturen, die mit Start-up-Geist und agilen Methoden für frischen Wind in der deutschen Verwaltung sorgen wollen. Dabei zeigt sich immer wieder: Es fehlt nicht an Ideen oder engagierten Menschen, es hapert an der Umsetzung. Aber woran liegt das eigentlich?

„Deutschland ist im hohen Maße dysfunktional“, gibt Sascha Lobo im Interview zu bedenken (Seite 24). Der vielleicht bekannteste Digital-Experte des Landes nennt die Gründe: Überbürokratisierung, viel zu lange Zyklen für Erneuerungsprozesse, festgefahrene Verwaltung. Was in Krisenzeiten für Stabilität sorgt, ist in Zeiten des Wandels eine Sackgasse – denn nicht jede Veränderung für das Land ist böswillig oder schlecht.

Wie sehr Veränderung nötig ist, zeigt aktuell das Pandemie-Management. Länder wie Spanien machen vor, wie ein digitales Gesundheitssystem bei der Bekämpfung von Covid-19 hilft: Termine per Nachricht aufs Smartphone, Opt-out bei Terminvergabe, Erfassung des Impfstatus eines jeden Bürgers. Digitale Technologien sind geradewegs dafür prädestiniert, globale Krisen wie eine Pandemie zu bewältigen oder zumindest ihr Management deutlich zu verbessern.

Getreu dem Motto „Mehr Digitalisierung wagen!“ richtet wir den Blick nach vorn – in der Hoffnung, dass die neue Bundesregierung endlich die nötigen Veränderungen anpackt. Wir werden ihre Arbeit beobachten und kritisch berichten.

Ihr

​Luca Caracciolo

@papierjunge

Luca Caracciolo