MIT Technology Review 7/2023
S. 96
Dossier
Neue Mobilitätskonzepte

Auf hohem oder halbem Gleis

Individualverkehr auf Schienen klingt wie ein Widerspruch in sich. Doch Start-ups wie Ottobahn und das Forschungsprojekt Monocab entwickeln die passende Technik dafür. Sind sie das Verkehrssystem der Zukunft oder nur Lückenfüller?

Christian Rauch

Ich gebe mein Fahrziel in die App ein und schon kommt eine windschnittige Kabine an. Ich steige ein und nehme im gut gepolsterten Sitz Platz. Er ist definitiv bequemer als in der Straßenbahn, eher wie in der 1. Klasse des ICE. Dann geht es an Schienen hängend über dem Boden dahin. Ein ruhiges Fahrgefühl, auch wenn es in den Kurven noch ein wenig knarzt. Ein Touchscreen bietet Zugang zu Wetterberichten und Streamingfilmen. Ich kann individuell die Beleuchtung und die Klimatisierung meiner Kabine einstellen. „Ein Uber auf Schienen“ nennt Marc Schindler das von ihm entwickelte Nahverkehrssystem gerne. Offiziell heißt es Ottobahn.

Nach 30 Sekunden ist meine Fahrt zu Ende. Noch verkehrt die Ottobahn lediglich auf einem Rundkurs in einem alten Industriegebäude in München. Die Räume dienen gleichzeitig als Büro für Ottobahn. Vor drei Jahren wurde diese Indoor-Teststrecke aufgebaut. Per Lastenaufzug kamen rund 40 Meter Schiene und zehn stählerne Doppel-T-Träger in eine Halle im ersten Stock. Binnen einer Woche hatte das Team die Bauteile montiert. Die Träger halten die Schiene in knapp vier Metern Höhe, die einsitzige Testkabine schwebt ein wenig über dem Boden – vorbei an Schreibtischen und Schränken. Zur Fahrt nutzt sie eigene Elektromotoren. Die greifen Strom von der Schiene ab und übertragen rund 20 PS auf die Stahlräder.