MIT Technology Review 6/2024
S. 104
Review
Meinung

Wenn der Silizium-Schild bröckelt

US-Experten sagen, die technologische Blockade Chinas habe eine Invasion Taiwans wahrscheinlicher gemacht. Was folgt daraus?

Wolfgang Stieler

Die gute Nachricht zuerst: Glaubt man der Studie, die Jared McKinney und Peter Harris kürzlich im Verlag des War College der US Army veröffentlicht haben, ist eine Invasion Chinas in Taiwan grundsätzlich vermeidbar. Die schlechte Nachricht: Ohne einen deutlichen Politikwechsel wird dieses Ereignis jedoch innerhalb der nächsten zehn Jahre mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 Prozent eintreten.

Zugegeben: Vorhersagen über das Ausbrechen bewaffneter Konflikte sind schwierig, und seit der Invasion Russlands in der Ukraine, die von den meisten Konfliktforschern für extrem unwahrscheinlich gehalten wurde, hat der Ruf dieser Forschungen ziemlich gelitten. Denn die vorherrschende Theorie geht davon aus, dass auch Kriege eine ziemlich rationale Angelegenheit sind: Zu Gewalt greifen politische Führer demnach immer dann, wenn der Gewinn durch einen Krieg höher ist als die damit verbundenen Kosten. Aber zum einen ist es im Detail immer wieder schwierig, Kosten und Gewinne – die auch immateriell sein können – verlässlich abzuschätzen. Zum anderen werden natürlich in der Politik nicht alle Entscheidungen rational getroffen.