Amazons "Fallout"-Serie ist gar nicht mal so schlecht​
Amazon will "Fallout" verfilmen. Nach Flops wie" Rings of Power" klingt das nach einer Drohung. Überraschenderweise gelingt es aber sogar – mehr oder weniger.
"Fallout" ist schwieriges Material. In der postapokalyptischen Welt der Videospielserie trifft die Zerstörung und das Leid des atomaren Weltkriegs auf den Optimismus und den Flair der '50er- und '60er-Jahre. Grauen und ungehemmte Brutalität mischen sich mit einem kernigen schwarzen Humor, der diesen Spielen eine große Fangemeinde verschafft hat. Nun will Amazon diesen Erfolg mit einer Streaming-Serie wiederholen. Kann das gelingen?
Schon das Entwicklerstudio Bethesda, das in den 2000ern die "Fallout"-Lizenz kaufte und im Jahr 2008 mit "Fallout" 3 einen riesigen Hit landete, hat in den vergangenen Jahren Probleme damit gehabt, bei "Fallout" den richtigen Ton zu treffen. Das 2015 erschienene "Fallout" 4 kam bei vielen Fans mittelmäßig an, das zuletzt erschienene "Fallout" 76 kann bei seinem Release vor mehr als fünf Jahren sogar als Flop angesehen werden. Dabei ist das Setting der "Fallout"-Spiele aktueller denn je zuvor. Die Serie hat ihre kulturellen Wurzeln in der Literatur der '60er- und '70er-Jahre, als die Bedrohung durch einen Atomkrieg omnipräsent war. Heute ist diese Bedrohung erneut allgegenwärtig. Man könnte argumentieren, dass das genau der richtige Moment für eine "Fallout"-Fernsehserie ist. Schließlich haben Menschen schon seit Urzeiten solche Existenzängste mit Kunst, und vor allem mit schwarzem Humor, bekämpft.
Zugegeben, die Chancen für Amazons Filmstudios stehen nicht gut. Der letzte Versuch, von vielen Fans innig geliebtes Material auf die Leinwand zu bringen, die Tolkien-Serie "Rings of Power", endete in einem Desaster – die Serie löste beim Großteil des Publikums Ablehnung aus. Zumal Videospiele-Verfilmungen nur in den seltensten Fällen gelingen. Genau deswegen hat es uns überrascht, dass die ersten vier von insgesamt acht Folgen der Serie, die uns Amazon vor dem Launch zur Verfügung stellte, nicht komplett schrecklich sind. Der Anfang von Amazons "Fallout"-Serie ist, überraschenderweise, sogar ganz gut.
Die Besetzung
Die Drehbuchschreiber haben der Hauptfigur Lucy MacLean aus Vault 33 eine Hintergrundgeschichte und einen Spannungsbogen verpasst, die sehr interessant sind und so auch nur mit einer weiblichen Hauptrolle funktioniert hätten. Lucys Vorgeschichte in Vault 33 und ihre Verwandlung vom ahnungslosen Vault Dweller zu jemandem, der im Wasteland überleben kann, sind das Highlight aus den ersten vier Folgen der Serie. Ella Purnell spielt diese Rolle jederzeit überlegen: Von ihrer Körpersprache, über die Happy-Go-Lucky-Begeisterung, mit der sie auch die absurdesten Texte überzeugend abliefert, bis zu ihrem Akzent, bei dem man niemals erwartet hätte, dass sie in London aufgewachsen ist, ist alles perfekt.
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In den Schatten gestellt wird Purnell nur von Walton Goggins (bekannt aus "Sons of Anarchy" und "Django Unchained"), der auch in dieser Serie großartige Arbeit abliefert. Goggins spielt in "Fallout" einen Ghoul, jene Überlebende des nuklearen Holocaust, die so verstrahlt wurden, dass sie nun fast ewig leben und immun gegen Radioaktivität sind. Weil sie wie Zombies aussehen und irgendwann von sprechenden, denkenden Wesen auch zu eben solchen bluthungrigen Monstern mutieren, werden Ghoule von allen anderen Bewohnern des Wasteland gefürchtet und verachtet. Goggins Figur bildet den nötigen Gegenpol zur naiv-unschuldigen Lucy, die in einem riesigen Atomschutzbunker aufgewachsen ist und die wirkliche Welt nie gesehen hat. Auf Goggins Schultern lastet von Anfang an die nicht unwichtige Aufgabe, dem Zuschauer klarzumachen, wie brutal und unmenschlich es auf der Oberfläche wirklich zugeht.
Aaron Clifton Moten verkörpert die dritte zentrale Figur der Serie: Maximus, einen Initiaten in der Brotherhood of Steel, der auf unorthodoxe Weise zu seinem ersten Einsatz und dann in den Besitz seiner eigenen Power Armour kommt. Die Entwicklung seiner Figur wirkt etwas überhastet, er wird durch die Drehbuchschreiber etwas zu sehr im Hauruck-Verfahren an den zentralen Punkt der Handlung verfrachtet. Was leider auch von Maximus’ Erzählung ablenkt, ist sein bester Freund Dane – ein von Xelia Mendes-Jones gespielter nonbinärer Initiat der Brotherhood of Steel, der nur wenig glaubhaft in die "Fallout"-Welt eingebettet wird.
Plot-Probleme und mangelhaftes World Building
Der Schwachpunkt der Serie liegt darin, wie die Handlung aufgebaut wurde. Schon die erste Folge hat mehrere deutliche Plot-Löcher. Zentrale Teile der Handlung ergeben so, wie sie dargestellt sind, wenig Sinn. Beim ersten Mal Anschauen fällt das eventuell nicht auf, aber "Fallout"-Fans, die durch Quests in den Spielen darin trainiert sind, Geheimnisse aufzuspüren, werden spätestens beim zweiten Mal nicht umhinkommen, problematische Details zu entdecken. In der zweiten Folge werden die Schwächen der Serie noch weitaus deutlicher, als plötzlich alle Hauptfiguren aus den unterschiedlichsten Teilen des Wastelands fast unbeirrbar zusammenfinden – ohne eine glaubwürdige Erklärung, wie und warum es dazu kommen sollte.
Dem Zuschauer wird nicht deutlich genug – und oft gar nicht – erklärt, wo sich welche Figur gerade aufhält und wie sich dieser Ort geografisch zu den bisher gesehenen Orten verhält. Ist der Vault, aus dem Lucy aufbricht, in Kalifornien? Als wir Maximus vorgestellt bekommen, ist vom Commonwealth (das ist in Massachusetts) die Rede. Fliegt er mit dem Vertibird der Bruderschaft durch die ganzen Vereinigten Staaten oder war er gar nicht im Commonwealth stationiert? Auch der Ghoul scheint am Anfang der Serie nicht in Kalifornien zu sein, taucht dann aber recht schnell dort auf. Als Zuschauer dieser Serie versteht man einfach nicht, welcher Ort wo ist und man kann sich nur an einigen wenigen Punkten orientieren, etwa an den Überbleibseln des Flughafens LAX in den Ruinen von Los Angeles. Das macht orientierungslos und nimmt der Geschichte viel von dem Pseudo-Realismus, den es braucht, um mit den Figuren mitzufiebern.
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Ein weiteres Problem sind die Kulissen. Viele der Orte, die offensichtlich extra für die Serie gebaut wurden, wirken zu plastikhaft. Schon "Fallout" 4 hatte das Problem, dass einige Orte in dem Spiel zu bunt sind und so die in "Fallout" 3 und New Vegas mühevoll etablierte Hoffnungs- und Trostlosigkeit des Wastelands zerstören. Die Serie orientiert sich leider eher am Aussehen von "Fallout" 4 als an den Vorgängern. Die Liebe zum Detail ist bewundernswert: In fast jeder Minute der Serie findet sich eine Anspielung an das eine oder andere "Fallout"-Spiel. Trotzdem wirkt alles zusammen irgendwie unecht; eher wie eine Disneyland-Attraktion als ein echter Ort. Das ist schade, denn die übertriebene Brutalität der Kampfszenen, der zum Teil sehr sarkastische Humor, die großartige musikalische Untermalung in bester "Fallout"-Tradition und nicht zuletzt gelungene Gastrollen von Michael Emerson (dem creepy Gegenspieler aus "Lost") und Matt Berry (Douglas Reynholm aus "IT Crowd") laden dazu ein, sich in diese absurde Welt zu verlieben. Vielleicht hätte man den Plot der ersten vier Folgen einfach mit etwas weniger Tempo angehen sollen.
Wer guckt sich so etwas an?
Hartgesottene "Fallout"-Fans werden in der Serie vieles finden, was sie an die Spiele erinnert und ihnen gefallen könnte. Da vor allem die Neben-Quests der Spiele allerdings immer großartig erzählte Geschichten und moralische Dilemmas enthielten, wird es für diese Fans umso deutlicher sein, dass die Fernsehserie derartiges – jedenfalls in den ersten vier Folgen – auf dem Level der Spiele kaum liefert. Zumal die Spiele (abgesehen von "Fallout 76") auch immer voller interessanter Nebenfiguren waren. Amazons Serie bietet das bisher kaum.
Nicht-"Fallout"-Fans wird es schwerfallen, sich in die idiosynkratische Welt der Serie einzuleben. Hier sieht das Jahr 2077 aus wie die '50er, einige wenige leben in unterirdischen Bunkern und vergöttern eine amoralische Firma, die den Atomkrieg dazu nutzt, gesellschaftliche Experimente an ihnen auszuführen, während der Rest der Menschheit sich gegenseitig für das letzte Hemd umbringt. Das hilft es nicht, dass die Serie diese Umstände nur am Rand erklärt und jegliches Gefühl von Geografie der eigenen Welt von Anfang an aufgegeben haben zu scheint. Ob die an Absurdität grenzende Brutalität der Serie, obwohl sie nah an den Spielen ist, dazu beitragen wird, viele neue Gelegenheits-Fans zu gewinnen, sei dahingestellt.
Immerhin kann die Qualität der schauspielerischen Leistungen die Schwächen des Drehbuches wettmachen. Das Flair der Serie und der offensichtliche Versuch, das Quellmaterial gewissenhaft umzusetzen, machen trotz aller Probleme Lust auf mehr. Vor allem Ella Purnells Lucy trägt ausschlaggebend dazu bei, dass man diese Serie weitergucken will. Denn bei "Fallout" ging es, trotz aller Ablenkungen durch Mutanten, Atombomben und coole Waffen, immer vor allem um eins: Um interessante Figuren und die Frage, was eine solche, grausige Welt mit deren Charakter macht. Und genau diesen Punkt trifft Purnell immer wieder wie die Faust aufs Auge.
Alle acht Folgen von Jonathan Nolans "Fallout"-Serie gibt es ab dem 11. April exklusiv bei Amazon Prime Video zu sehen.
(dahe)