"As Dusk Falls" angespielt: Loser-Blues für Story-Fans

Im interaktiven Spielfilm "As Dusk Falls" landen Spieler und Spielerinnen in einem düsteren Krimi-Drama, das so manche Opfer erfordert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Andreas Müller
Inhaltsverzeichnis

Keine Aliens, keine Mad Scientists und kein Elitesoldat, der die Welt rettet – "As Dusk Falls" geht andere Wege. Caroline Marchal, die ehemalige Lead-Designerin von "Heavy Rain", erzählt mit ihrem neuen Team von Interior/Night eine bedrückende Loser-Ballade. Der interaktive Spielfilm setzt auf einen ungewöhnlichen Comic-Look und lässt Spielern und Spielerinnen viel Platz, um mit der Story zu experimentieren.

Die Geschichte beginnt 1998. Familie Walker ist auf dem Weg durch die USA, als sie durch einen Unfall unfreiwillig in einem abgelegenen Motel absteigen muss. Doch statt Langeweile in der öden Provinz erwartet die Familie ein tragisches Abenteuer: Drei Brüder sind nach einem misslungenen Einbruch auf der Flucht und nehmen die wenigen Motelgäste als Geiseln. Es folgt eine folgenschwere Belagerung durch die Polizei, die in Gewalt und Tod endet. Noch Jahre später kämpft eine junge Frau gegen die Albträume an, die sie seit den Ereignissen im Motel verfolgen.

Spielerisch erinnert "As Dusk Falls" an die interaktiven Spielfilme von Quantic Dream: Spieler und Spielerinnen erleben eine Story, nutzen eine Handvoll Interaktionsmöglichkeiten und treffen wichtige Entscheidungen. Interior/Night hat die Geschichte wie eine Serie inszeniert: Nach einem kurzen Anfang werden in jeder der sechs Episoden die Titelcredits eingeblendet und nach der dritten Folge läuft sogar ein Abspann. Wer hier schon abschaltet, verpasst die zweite Hälfte der Handlung.

"As Dusk Falls" angespielt (5 Bilder)

Bedrückend und ungewöhnlich – "As Dusk Falls" fordert nicht nur seine Figuren, sondern auch Spieler und Spielerinnen heraus. (Bild: heise online)

Anders als in "Detroit: Become Human" oder "Life is Strange" laufen die Figuren nicht frei durch die Gegend. Jede Bewegung sieht wie das Umblättern einer Comic-Seite aus. Die Interaktionsmöglichkeiten beschränken sich auf kleine Quick-Time-Events, kurz QTEs. Wenn etwa einer der Einbrecher vor der Polizei flüchtet, muss er nur in einem schmalen Zeitfenster den Gamepad-Stick in eine Richtung ziehen oder einen Knopf drücken. Beim Autodiebstahl müssen gleich mehrere Aktionen hintereinander ausgeführt werden. Rätsel gibt es nicht.

Wer die entsprechende Companion-App besitzt, kann das Spiel auch per WLAN mit Tablet oder Smartphone steuern. Im Koop-Modus können bis zu acht Spieler und Spielerinnen über die Entscheidungen abstimmen und sogar ein Veto einlegen. Im Broadcast-Modus können Streamer ihr Publikum entscheiden lassen. Am Ende zählt die Stimmenmehrheit.

Der spielerische Reiz liegt in den zahlreichen Entscheidungen, die getroffen werden. Figuren können früh sterben oder das Drama überleben, eine Flucht kann gelingen oder nicht. Dadurch entstehen oft neue Handlungsstränge. Dank übersichtlichem Story-Baum können Spieler und Spielerinnen ähnlich wie in "Detroit: Become Human" ihre Entscheidungen verfolgen oder mit einem neuen Speicherstand alternative Wege erspielen. Das sorgt für einen hohen Wiederspielwert, der die normale Spielzeit von rund sechs Stunden schnell verdoppeln kann. Besonders Story-Fans werden sich hier nach Herzenslust austoben können.

Zur visuellen Gestaltung wurde das Rotoskopie-Verfahren benutzt, das schon in Filmen wie Ralph Bakshis Animationsfilmklassiker "Herr der Ringe" benutzt wurde: Reale Aufnahmen von echten Schauspielern und Schauspielerinnen wurden nachträglich animiert, damit ein comicartiger Look entsteht. Das ungewöhnliche Experiment funktioniert erstaunlich gut. Die Comic-Bilder wirken ehrlich und emotional.

Das Entwicklungsstudio geht auch inhaltlich ungewöhnliche Wege für ein Videospiel. Nicht nur, dass sie fast komplett auf das große Action-Spektakel und fantastischen Hokuspokus verzichten, sondern auch die Konsequenz der Story überzeugt bei fast jedem Story-Weg. Ständig springt die Handlung zwischen den Zeitebenen und erzählt, welches Drama hinter der Verzweiflungstat der drei Brüder steckt. Es gibt weder Helden noch Heldinnen, die vermeintlich Bösen haben auch ihre guten Seiten und einige Figuren müssen Entscheidungen treffen, die sie ihr ganzes Leben lang verfolgen werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Vorbilder waren Oscar-prämierte Filme wie "Hell or High Water" und "No Country for Old Men". Die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wird als heuchlerische Kulisse einer gierigen Gesellschaft gezeigt, die den Schwächsten keine Chance lässt. Erfolg definiert sich nur durch die eigene Skrupellosigkeit. Harter Stoff, der sich auch in zahlreichen Spielentscheidungen widerspiegelt. "As Dusk Falls" ist eben kein lockerer Action-Thriller, sondern ein gesellschaftskritisches Drama für anspruchsvolle Spieler und Spielerinnen.

Wer in "As Dusk Falls" leichte Unterhaltung sucht, ist fehl am Platz. Das Entwicklungsstudio hat stattdessen ein Drama inszeniert, das sich in die Herzen der Spieler und Spielerinnen frisst und noch lange nachhallt. Die ungewöhnliche visuelle Umsetzung und die zahlreichen Storywege erstaunen und laden zum Experimentieren ein. Spaß will bei der düsteren Handlung aber nicht auftreten, denn dazu sind die gezeigten Schicksale zu realitätsnah und trist. "As Dusk Falls" ist für Spiele-Fans, denen Mut zum Risiko und eine gute Story mit glaubwürdigen Figuren wichtiger sind als Action und Spektakel.

"As Dusk Falls" ist für Windows und Xbox One/ Series erschienen. Es kostet ca. 30 € und ist im Xbox und PC Game Pass enthalten. USK ab 16. Für unseren Artikel haben wir das Spiel auf der Xbox Series X durchgespielt.

(dahe)