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Bergwandern: Royal Enfield Himalayan im Test

Ingo Gach
Bergwandern: Royal Enfield Himalayan im Test

(Bild: Ingo Gach)

Bei der indischen Reiseenduro mit altmodischer Technik und wenig Leistung geht es ums Reisen und nicht ums Rasen. Vor allem aber kommt sie überall durch und an.

Die Royal Enfield Himalayan verzichtet auf gigantische PS-Zahlen und Elektronikfirlefanz, sondern setzt auf Zuverlässigkeit, Bescheidenheit in Leistung und Verbrauch und erschwingliche Preise. Dieses Motorrad wurde von Royal Enfield entwickelt, um im Himalaya zu fahren, dem höchsten Gebirge der Welt. Das klingt erst einmal nach mindestens 100 PS, um die steilen Pässe zu erklimmen, ganz langen Federwegen, um die tiefen Löcher und den Schwimmschotter [1] zu überwinden und modernster Elektronik, die Stürze verhindern soll.

Doch heraus kam die Himalayan mit einem luftgekühlten 411-cm3-Einzylindermotor, der maximal 24 PS leistet. Die Federwege betragen zwar immerhin 200 mm, doch lässt sich weder die dünne 41-mm-Telegabel, noch das hintere Federbein in Zug- oder Druckstufe einstellen. Das modernste an der Elektronik dürfte die Zündung sein.

Royal Enfield Himalayan im Test (0 Bilder) [2]

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Aber hinter dem Projekt steckt Siddartha Lal, der Boss von Royal Enfield persönlich, und der ist seit langem ein begeisterter Himalaya-Reisender mit entsprechend viel Erfahrung. Er wollte unbedingt ein Motorrad, das sich besser als die betagte Royal Enfield Bullet eignet, um bis auf über 5000 Meter Höhe zu gelangen und auch die übelsten Pisten zu bewältigen. Der Einzylinder-Langhuber hat immer noch weltweit viele Fans, in Indien ist Royal Enfield Kult. Die Reiseenduro ist vor allem für den indischen Markt gedacht und musste deshalb bezahlbar bleiben, High-Tech-Komponenten verbieten sich da von alleine. Dennoch schwört Lal, dass es kaum etwas Besseres für das Himalaya gibt.

Der PS-verwöhnte Mitteleuropäer neigt dazu, sich über die Himalayan lustig zu machen, aber Achtung: Sie kann vielmehr, als man ihr auf den ersten Blick zutraut. Wer auf einem nepalesischen Hochgebirgspass vom Steuergerät seiner mit Elektronik vollgestopften Reiseenduro eine Fehlermeldung bekommt, steckt unweigerlich für lange Zeit dort fest. Die Vorteile einfacher Technik haben sich auch schon bei uns herumgesprochen, und so griffen bereits etliche Globetrotter zur Himalayan aus Indien, denn sie lässt sich fast überall mit simplen Mitteln reparieren. Außerdem ist sie mit nur 4699 Euro ein echtes Sonderangebot unter den Reiseenduros.

Unser Testexemplar mit dem rot-schwarz lackierten Tank wurde uns freundlicherweise vom Motorradhaus Stocksiefen in Nauheim zur Verfügung gestellt. Schon ihr Anblick hat etwas Archaisches und sie umweht der Hauch des Abenteuers. Royal Enfield setzt auf bewährte Konstruktionen wie einen Doppelschleifenrahmen aus Stahl, der im Notfall auch bei einem Dorfschmied in Tibet wieder zurechtgedengelt werden kann.

Die Himalayan hat gleich zwei vordere Kotflügel: Einen direkt über dem Rad, der den Dreck abfängt, und einen weiteren eine Handbreit darüber. Den oberen hätte man auch weglassen können, aber er passt halt besser zum Stil. Die Telegabel verfügt über nostalgisch wirkende Faltenbälge, doch in diesem Fall sollen sie nicht Akzente für ein Retro-Modell setzen, sondern tatsächlich ihrer ursprünglichen Aufgabe nachkommen: Die Gabeltauchrohre vor Steinschlag schützen. Ihre Federung entpuppt sich als sehr weich ausgelegt, ebenso wie das hintere Federbein, das sich über eine Umlenkung an der Kastenschwinge aus Stahl abstützt.

Auffällig sind die serienmäßigen Sturzbügel, die sowohl den 15-Liter-Tank vor Dellen schützen sollen, als auch zur Befestigung des Rundscheinwerfers dienen. Gleichzeitig nützt der Hersteller die Bügel, um dort mit einem großen „Royal Enfield“-Schriftzug für sich Werbung zu machen. Ebenfalls Serie an der Himalayan sind ein Windschild, Motorschutz und Heckträgersystem. Beim Aufsitzen fällt die für eine Enduro niedrige Sitzhöhe von nur 800 mm auf, hier haben selbst Kurzbeinige kein Problem mit dem Bodenkontakt. Die Sitzbank ist weich gepolstert und der Sozius thront ebenfalls sehr kommod eine Stufe höher.

Der breite und hohe Endurolenker liegt gut zur Hand und ermöglicht eine entspannte Sitzposition. Allerdings verweigert die Form des Tanks dem Fahrer die Möglichkeit, weiter nach vorne zu rutschen, um in Kurven mehr Gewicht auf das Vorderrad zu bekommen, was gerade auf Schotterpisten wichtig wäre. Das Cockpit hält gleich vier Instrumente bereit. Das Größte davon ist der analoge Tacho, der sowohl eine Stundenkilometer- als auch Meilenskalierung hat. Man sollte sich merken, dass die obere die km/h anzeigt, sonst kann es schnell teuer werden. In der unteren Hälfte des Rundinstruments gibt es noch einige Infos im LC-Display wie Gesamt- und Tageskilometerzähler, Ganganzeige, Durchschnittsgeschwindigkeit, Uhrzeit und eine Thermometeranzeige. Letztere überraschte immer wieder mit Fantasiewerten.

Oben rechts im Cockpit sitzt der Drehzahlmesser, der bei der Himalayan eigentlich überflüssig ist, denn spätestens, wenn der langhubige Zweiventil-Einzylinder seine Maximalleistung bei 6500/min erreicht hat, schaltet man schon aufgrund der Geräuschkulisse freiwillig hoch. Die Tankanzeige funktioniert noch analog mit Zeiger und nicht wie heute üblich als winzige, digitale Balkenanzeige. Schließlich überrascht die Himalayan noch mit einem serienmäßigen Navigationssystem: Sie hat einen Kompass! Er zeigt digital die eingeschlagene Himmelsrichtung in 45-Grad-Schritten mit Buchstaben an.

Noch etwas habe ich an einem neuen Motorrad schon lange nicht mehr gesehen: Einen Choke-Hebel. Bevor Missverständnisse aufkommen: Die Himalayan hat keinen Vergaser, sondern eine Einspritzung. Solange die Lufttemperaturen sich im zweistelligen Bereich befinden, braucht der Choke-Hebel beim Kaltstart aber nicht gezogen werden. Der Einzylinder springt spontan an und tuckert konstant im Leerlauf vor sich hin. Die Kupplung lässt sich ohne Kraftaufwand ziehen und die fünf Gänge schalten sich erfreulich leicht durch.

Royal Enfield Himalayan im Test - Details (9 Bilder) [4]

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Der Windschild hält den Druck gut vom Oberkörper ab und schützt sogar leidlich gegen Regen. Die Rückspiegel erfreuen mit einer guten Sicht nach hinten.

Man darf natürlich von einem 24-PS-Motorrad, das vollgetankt 200 Kilogramm auf die Waage bringt, keine Beschleunigungswunder erwarten. Dennoch hat man nicht den Eindruck, dass der Motor völlig überfordert wäre. Er schiebt brav an und kommt sogar halbwegs flott auf Tempo 100, erst darüber wird es langsam zäh, mit viel Anlauf quält sich der Tacho auf 135 km/h. Kurven mit hoher Geschwindigkeit zu durcheilen mag das 21-Zoll-Vorderrad ab einer gewissen Schräglage nicht sonderlich, hält aber seine Spur. Die Himalayan verfügt über das vorgeschriebene ABS, allerdings gelang es mir nicht einmal mit voll gezogenem Bremshebel in den Regelbereich zu gelangen. Die Zweikolben-Festsattelbremse entspricht ungefähr dem Standard der japanischen Einzylinder-Enduros der 1990er Jahre.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass dieses Motorrad für die Hochgebirgstour erschaffen wurde und nicht für die Hetzjagd auf deutschen Landstraßen. Insofern schlägt sich die Himalayan achtbar. Richtig angenehm wird sie, wenn man den Motor im mittleren Drehzahlbereich hält, dann schnurrt die Royal Enfield zufrieden vor sich hin, nimmt die Kurven mit stoischer Gelassenheit und erfreut mit einem angenehm sonoren, aber nicht aufdringlichen Auspuffsound. Der kleine Windschild hält den Druck vom Oberkörper fern und die beiden Außenspiegel bieten guten Rückblick – nicht ganz unwichtig, wenn ein tiefergelegter GTI von hinten drängelt. Auf der Himalayan lernt der Fahrer die Faszination des beschaulichen Cruisens kennen, entdeckt auf einmal die Schönheit der vorbeiziehenden Landschaft und kommt auch nach Stunden im Sattel entspannt am Ziel an.

Royal Enfield will die Himalayan ausdrücklich als geländetaugliches Reisemotorrad verstanden wissen. Auf Schotter und festgefahrenem Lehm macht die Himalayan eine gute Figur, nicht zuletzt dank der aufgezogenen Pirelli MT 60. Sie sind zwar nicht gerade die modernsten Reifen, funktionieren auf der Himalayan aber immer prima. Die Enduro zieht gelassen ihre Bahn und das Fahrwerk schluckt Löcher bis zu einer gewissen Tiefe komfortabel, könnte jedoch etwas progressiver ausgelegt sein. 220 Millimeter Bodenfreiheit unter dem stabilen Motorschutz nehmen selbst größeren Gesteinsbrocken ihren Schrecken. Auf unbefestigten Pfaden beginnt sie in Kurven dezent über das Vorderrad zu schieben, kündigt das jedoch rechtzeitig an.

Ein Abwürgen beim Anfahren ist wegen der großen Schwungmasse der Kurbelwelle fast unmöglich. Sportbike-Fahrer mögen darüber die Nase rümpfen, aber wer in 4000 Meter Höhe im Schlamm steckt, ist dafür sehr dankbar. Die 200 Kilogramm Leergewicht machen sich im Gelände kaum bemerkbar, zumindest solange man die Royal Enfield nicht im Stand rangieren muss. Auch wenn ich maximal ein paar hundert Meter über dem Meerespiegel unterwegs bin, würde ich der Himalayan glatt zutrauen, über schroffe Bergpfade bis zum Basiscamp des Mount Everest zu kommen – langsam und ausdauernd.

Unser Test-Exemplar ist mit optionalen Alu-Koffern ausgestattet, die der Himalayan ausgesprochen gut stehen. Sie werden am unteren Rohr des Kofferträgers eingehakt und oben mittels zweier kurzer Stahlstücke fixiert, die mit Rändelschrauben im Inneren der Koffer angezogen werden. Die großen Koffer halten auf Offroad-Strecken, ohne zu klappern. Die mögliche Zuladung der Himalayan beträgt 165 Kilogramm, was mit Sozius und Gepäck schon etwas knapp bemessen ist, aber wer auf Solo-Tour geht, kann genügend Expeditionsausrüstung mitschleppen. Der 15 Liter fassende Stahltank wäre für die meisten Reiseenduros zu klein, doch die Himalayan genehmigt sich nur asketische drei Liter Sprit auf hundert Kilometer und sorgt so für eine theoretische Reichweite von 500 Kilometern. In Anbetracht des dünnen Tankstellennetzes wäre das im Himalaya aber auch notwendig.

Nicht nur wer den nächsten Urlaub im Himalaya verbringen will, kann zur Royal Enfield Himalayan greifen. Sie reißt mit 24 PS natürlich keine Bäume aus, aber sie bringt den Fahrer überall hin, ist komfortabel und geländegängig. Dazu kommt noch der extrem günstige Preis und der nostalgisch angehauchte Look der indischen Reiseenduro.

Hersteller Royal Enfield
Modell Himalayan
Motorart Otto
Zylinder einer
Hubraum in ccm 411
Bohrung x Hub in mm 78 x 86
Leistung in PS 25
Leistung in kW 18
bei U/min 6500
Drehmoment in Nm 32
bei U/min 4000 bis 4500
Antrieb Kette
Gänge fünf
Fahrwerk
Radaufhängung vorn Teleskopgabel, Federweg 200 mm
Radaufhängung hinten Schwinge, Feder-Dämpferbein, Federweg 180 mm
Bremsen vorn Scheibe, 300 mm
Bremsen hinten Scheibe, 200 mm
Räder, Reifen vorn 90/90-21
Räder, Reifen hinten 120/90-17
Maße und Gewichte
Länge in mm 2199
Radstand in mm 1465
Sitzhöhe 800
Leergewicht in kg nach EU Trockengewicht 182
Tankinhalt in Liter 14,5

(fpi [6])


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