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Unterwegs im Tesla Model 3 SR+: E-Sports mit dem E-Auto

Christoph M. Schwarzer
E-Sports: Unterwegs im Tesla Model 3 SR+

Weniger Gewicht - mehr Spaß: Die Physik gilt natürlich auch für Teslas Elektroautos.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Wegen des vergleichsweise geringsten Gewichts ist das Model 3 SR+ der agilste Tesla. Es hat zudem den niedrigsten Preis und den höchsten Spaßfaktor. Sportlich.

Der Einstieg in die Tesla-Welt beginnt bei 41.970 Euro. So viel verlangt der kalifornische Hersteller für das Model 3 Standard Range Plus, abgekürzt SR+. Der Zuschuss, der sich aus 3000 Euro brutto vom Steuerzahler und 3000 Euro netto von Tesla zur so genannten Umweltprämie addiert, ist bei dieser Summe einberechnet.

Das SR+ ist, so könnte man meinen, lediglich die abgespeckte Long Range-Version. Ohne vorderen Elektromotor, mit weniger Batteriekapazität und weniger Leistung beim Sprinten und Laden. Wegen des vergleichsweise geringen Leergewichts von 1684 kg ist es aber zugleich der agilste Tesla: Das Model 3 SR+ hat den niedrigsten Preis und den höchsten Spaßfaktor. Richtig geil, das Teil.

Tesla Model 3 Standard Range Plus (0 Bilder) [1]

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Der Testwagen blieb, und das ist ungewöhnlich für Tesla, zwei Wochen lang. Genug Gelegenheit, einige Feinheiten herauszufinden. Bei der direkt übersetzen Lenkung zum Beispiel wirkte die Einstellung „Komfort“ am harmonischsten: Die Bedienkräfte sind gering, und trotzdem überzeugen Präzision und Rückmeldung. In Verbindung mit dem Heckantrieb ergibt sich das bekannt einzigartige Fahrverhalten dieses seltener werdenden Layouts. Dynamisch und direkt.

Die von Teslas Pressestelle mit "225 hp" (188 kW) überraschend niedrig angegebene Motorleistung kann angesichts des 358 kW starken Model 3 Performance (Test) [3] zu der Annahme führen, dieses Elektroauto wäre langsam. Ein Irrtum: Das SR+ beschleunigt in 5,6 Sekunden auf 100 km/h. Das liegt ungefähr auf dem Niveau der Rallye-Ikone Lancia Delta HF Integrale 16V [4]. Mit dem Unterschied, dass heute das pure Durchtreten des Strompedals ausreicht, um diesen Wert auch wirklich zu erzielen. Das SR+ ist sauschnell. Dass die Performance-Version im Standardspurt mit nur 3,4 Sekunden nochmals brachial schneller ist, zeigt nur, dass Elektroautos faszinierend verführerisch sein können.

Seltsamerweise reduzieren sich viele Diskussionen beim Model 3 SR+ auf Reichweite und Ladegeschwindigkeit. Ein Elektroauto besteht jedoch aus mehr als diesen beiden Parametern. Verkürzt lässt sich dazu sagen: Wer häufig Autobahn fährt, sollte zur Long Range-Version greifen. Wer das nur ab und zu tut, ist mit dem SR+ bestens bedient. Das liegt an der Kombination aus exzellentem Luftwiderstandsbeiwert (cW 0,23), niedriger Stirnfläche, entsprechend geringem Stromverbrauch sowie einer ziemlich hohen Ladeleistung und damit -geschwindigkeit.

Bei 130 km/h (Achtung, Tesla-Tachos haben so gut wie keine Abweichung) und mit Winterreifen ergab die Stichprobe einen Verbrauchswert von 22 kWh auf 100 km/h. Mit Sommerreifen waren es 20,3 kWh. Legt man den im Fahrzeugschein eingetragenen Energieinhalt der Batterie von 53 kWh zu Grunde, sind also rund 250 km Reichweite möglich. Ein respektabler Aktionsradius, zumal als zweiter positiver Faktor die sehr hohe Ladeleistung abgerufen werden kann.

Es ist bekannt, dass die Ladekurve [5] des Model 3 steil abfällt, die Peakleistung also nur bei einem niedrigen Ladestand (abgekürzt SOC für State of Charge) erreichbar ist. Das ist kein Problem, weil das Navigationssystem den SOC am Zielort recht genau prognostiziert und es darum zu Probierwecken mühelos möglich war, mit ein paar Prozentpunkten Restkapazität an der DC-Ladesäule anzukommen.

Beim Anbieter Ionity, wo die angebotene Leistung bis zu 350 kW beträgt, zeigte die Säule in der Spitze 172 kW an. Top! Eine Renault Zoe (Test) [6] mit ähnlich großer Batterie kam hier auf höchstens 46 kW und brach frühzeitig weiter ein. Der Tesla dagegen lag selbst bei einem SOC von 70 Prozent noch über 50 kW. Ergebnis: Beim Model 3 SR+ waren in einer Viertelstunde 30 kWh in der Batterie. So geht das.

Ganz offensichtlich funktioniert auch das Temperaturmanagement des Tesla Model 3 SR+ hervorragend. Nach einer zügigen Autobahnetappe mit wechselnden Geschwindigkeiten bis über 200 km/h (Verbrauch: 36,4 kWh) war anders als bei einer 2019 gefahrenen Performance-Version kein Nachlassen der Ladeleistung feststellbar: An einem Supercharger v2 [7], der bis zu 150 kW hergibt, lag die maximale Ladeleistung zu Beginn bei 141 kW.

Den Ruf einer mageren Basisausstattung bestätigt das Model 3 SR+ auch sonst nicht. Das Soundsystem hat einen sauber abgestimmten Klangkörper (obwohl der Subwoofer fehlt), das Interieur ist solide verarbeitet (auch wenn die Holzleiste vermisst wird), und die Bedienbarkeit über den zentralen Screen [8] funktioniert so simpel wie bei allen anderen Teslas. Wer ein Smartphone benutzen kann, wird sich zu Hause fühlen.

Serienmäßig sind anders als zum Marktstart inzwischen die wichtigsten Funktionen des Fahrassistenzsystems namens Autopilot: Für die adaptive Geschwindigkeitsregelung und die Mittelspurführung muss kein Aufpreis bezahlt werden. Die 6300 Euro für die erweiterten Funktionen („Full Self-Driving Capability“) kann man sich getrost sparen, selbst wenn Tesla jüngst das automatische Anhalten an roten Ampeln für den US-Markt gestartet hat.

Das Vertrauen in diese avisierten Fähigkeiten ist nämlich eingeschränkt, weil Tesla die Fehler, die bereits beim letzten Test eines Model 3 aufgefallen waren, nicht durch ein Update korrigiert hat. In aller Kürze das Wichtigste: Es ist nicht möglich, eine Geschwindigkeit unterhalb des erlaubten Tempolimits zu setzen. Das Model 3 beschleunigt auf den in der Offline-Karte hinterlegten Wert – eine Verkehrszeichenerkennung gibt es nicht, obwohl viele Kameras eingebaut sind.

Und das erzeugt Fehler: So identifizierte der Testwagen eine auf 80 km/h beschränkte Bundesstraße in Hamburg als Autobahn und versuchte zügig, auf 130 km/h zu kommen. Alle Beschleunigungs- und Bremsvorgänge sind außerdem ziemlich ruppig. Dass es paradoxerweise möglich ist, Geschwindigkeiten oberhalb des gesetzlich Erlaubten exakt zu setzen – also zum Beispiel 62 in der Stadt – und unterhalb gar nicht, ist eine widersinnige Auslegung.

Als zweiter häufiger Mangel erkennt der adaptive Tempomat (einfacher Hebelzug, keine Spurführung) besonders abseits der Autobahn Objekte oder Engstellen, die nicht vorhanden oder unkritisch sind. Stichwort: Phantombremsung. Das führte mehrfach zu erbosten Gesten von Hinterherfahrenden, die sich angesichts unmotivierter Bremsvorgänge provoziert oder gefährdet fühlten.

Dass die automatische Ver- und Entriegelung via App nur manchmal läuft – Tesla verweist darauf, dass das bei Android-Smartphones vorkommen kann –, die Hands-off-detection auslöst, obwohl die Hände am Lenkrad sind und es Area View trotz vorhandener Hardware nicht gibt, wird dabei zur Nebensächlichkeit. It’s a Software Company? Mit etwas Nacharbeit schon.

Den positiven Gesamteindruck kann das nicht nachhaltig beschädigen. Besonders der Antriebsstrang ist herausragend, weil er Leistungsstärke mit Effizienz verbindet. Der Durchschnittsverbrauch über 1008 Testkilometer lag bei 18,3 kWh / 100 km, woraus sich rechnerisch 284 km Reichweite (WLTP-Normwert laut Webseite: 409 km) ergeben. Im Überlandbetrieb zog das SR+ bei trockener Straße und günstigen Außentemperaturen 13,8 kWh / 100 km (vorher mit Winterreifen: 14,6 kWh); in der City waren es bei flüssigem Verkehr 11,2 kWh / 100 km (13,5 kWh).

Das alles sind sehr niedrige Werte, zumal das SR+ gelegentlich getreten wurde. Zum Beispiel auf einer verwinkelten und gut asphaltierten Deichstraße: einlenken, Vollstrom geben, bremsen, nächste Kurve. Es lässt sich sogar leicht mit der Hinterachse lenken, und auf losem Untergrund sind harmlose Drifts möglich. Die Schlupfregelung kam mangels nasser Fahrbahn selten zum Einsatz, und Tesla hat die Kennlinie des Fahrpedals im Vergleich zu frühen Model S erheblich entschärft.

Das Konzept des Tesla Model 3 ist schlicht gelungen. Das SR+ ist nicht weniger als ein großer Wurf. Und es ist weiterhin traurig zu sehen, dass es keinen Wettbewerber gibt. Bei der Karosseriegrundform ähnelt vielleicht ein Hyundai Ioniq Elektro dem Model 3. Der Hyundai kann aber bei Ladeleistung, Reichweite und Dynamik nicht ansatzweise mithalten. BMW lässt sich derweil Zeit mit dem Marktstart des i4 und muss zusehen, wie Tesla sich die Kunden wegschnappt. Das Gleiche gilt für Audi und Mercedes.

Neben den Assistenzsystemen, die hoffentlich bald verbessert werden, fallen als Abstrich nur die Geräusche auf: Der Wind ist lauter als etwa bei einem Volkswagen e-Golf, und der eingeschränkte Abrollkomfort der 19-Zoll-Sommerreifen wird durch die nicht klassengemäße akustische Dämmung des Fahrwerkslärms betont.

Den Aufpreis von 1600 Euro für die schicken Felgen sollten nur jene investieren, die es im Alltag immer sportlich direkt wollen. Die glatten Radabdeckungen des Basismodells mögen schmucklos sein, aber hier gibt es kostengünstige Abhilfe: Unter den aerodynamisch optimierten Plastikkappen verbergen sich hübsche Aluräder. Für 50 Euro bietet Tesla Radnabenabdeckungen mit dem Markenlogo an. Was zum Herzens-Tesla fehlt, ist in vielen Fällen nur die Wunschfarbe (1050 bis 2100 Euro) und bei einigen Anwendungen die Anhängekupplung (1060 Euro).

Das Tesla Model 3 SR+ ist in der Summe der Eigenschaften eine echte Empfehlung und ein fetter Einstieg ins batterieelektrische Fahren. Es überzeugt durch seine Agilität auf der Straße und seine Dynamik an der Ladesäule bei gleichzeitig höchster Effizienz. Dass nebenbei Platz für eine Familie und Gepäck ist, kommt obendrauf. Selbst ohne Extras erhalten die Kunden ein vollständiges und hochwertiges Elektroauto, dessen Preis über eine erwartbare Konjunkturspritze sogar unter 40.000 Euro sinken könnte. Trotz Schwächen bei Geräuschkomfort und Fahrassistenzsystemen bleibt nach Abschluss des Tests nur eine Frage, die laut gestellt oder sogar gebrüllt werden muss: Wo bitte bleibst Du, deutsche Autoindustrie?

Der Hersteller hat den Testwagen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Der Autor hat mit Ausnahme einer Supercharger-Ladung die Fahrenergiekosten getragen.

Datenblatt
Hersteller Tesla
Modell Model 3 SR+
Motor und Antrieb
Motorart Elektro
Leistung in kW 188 (laut Pressestelle „225 hp”)
Drehmoment in Nm 375
Antrieb Heck
Fahrwerk
Spurweite vorn in mm 1580
Spurweite hinten in mm 1580
Radaufhängung vorn Doppelquerlenker
Radaufhängung hinten Mehrlenker
Lenkung Zahnstange, elektrisch unterstützt
Wendekreis 11,6
Reifengröße vorn 235/40 R19
Reifengröße hinten 235/40 R19
Bremsen vorn Scheibe, innenbelüftet
Bremsen hinten Scheibe
Maße und Gewichte
Länge in mm 4694
Breite in mm 1933
Höhe in mm 1443
Radstand in mm 2875
Kofferraumvolumen in Litern 542
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck 1684
Zuladung in kg 376
Dachlast in kg
Anhängelast in kg 910
Batteriekapazität in kWh 53
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 5,6
Höchstgeschwindigkeit in km/h 225
Verbrauch
Verbrauch kWh/100 km nach WLTP 14,9
Testverbrauch Minimum Strom in kWh/100 km 11,2
Testverbrauch Strom Durchschnitt in kWh/100 km 18,3
Daten Stand KW 17/2020
Preisliste
Modell Tesla Model 3
Ausstattungslinie SR+
Preis für diese Ausstattungslinie 43.990 lt. Konfigurator
Infotainment
DAB+ S
USB-Anschluss S
Navigationssystem S
Verkehrsdaten in Echtzeit S
Freisprecheinrichtung S
Head-up-Display
Assistenz
Abstandstempomat S
Einparksensoren vorn S
Einparksensoren hinten S
Einparkassistent 6300 (Paket)
Rückfahrkamera S
Totwinkelwarner S
Müdigkeitserkennung
Spurhalteassistent S
Fernlichtassistent S
Matrix-Licht
Funktion
LED-Scheinwerfer S
Alarmanlage
schlüsselloser Zugang S
Fahrwerksoption
Komfort
Sitzheizung S
Ledersitze
beheizbares Lenkrad
Lederlenkrad S
Klimaautomatik S
Automatikgetriebe S
Schiebedach
festes Glasdach S
Sonstiges
Metalliclack 1050
Leichtmetallfelgen S
Preisliste Stand kW 17/2020

(fpi [9])


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[5] https://www.heise.de/hintergrund/Gleichstrom-Ladegeschwindigkeit-und-Langstreckentauglichkeit-beim-Elektroauto-4693895.html
[6] https://www.heise.de/tests/Renaults-E-Auto-Zoe-im-Test-3-phasig-gluecklich-4682719.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Plug-Charge-nach-ISO-15118-4561466.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Contra-Beruehrungsbedienung-4585339.html
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