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Elektroauto Volvo XC40 Recharge Twin mit kräftigem Doppelherz im Test

Martin Franz
Volvo XC40 Recharge Twin

(Bild: Florian Pillau)

Volvo versieht das E-SUV mit 300 kW aus zwei Motoren und Android Automotive. Wie attraktiv ist diese Kombination? Ein Test

Die Gabe der Vorhersehung beanspruchten in der Geschichte der Menschheit schon so einige. Ich bin diesbezüglich sehr zurückhaltend, doch während einer Ausfahrt im Volvo XC40 Recharge Twin gab es einen Moment, in dem ich mir vorstellen konnte, wie der Abend für einen Verkehrsteilnehmer verlaufen würde. Gute 15 km war mir der graue Skoda Octavia RS (Test) [1] auf der Landstraße gewissermaßen auf dem Fuße gefolgt. Vorbeifahren konnte oder wollte er nicht, stattdessen sucht er intensiv die Nähe der hinteren Stoßstange des Testwagens. Nach der Auffahrt auf eine Autobahn verlor sich der Kontakt für eine gewisse Zeit. Ich könnte mir vorstellen, dass der hartnäckige Verfolger noch am selben Abend auf der Webseite von Volvo nachgeschaut hat, was genau ihm da den Eindruck vermittelte, er wäre auf die Bremse gelatscht.

Dabei animiert der XC40 Recharge Twin dazu eigentlich in keiner Weise. Er ist ein komfortabel abgestimmtes SUV, dessen Reiz sicher nicht darin zu suchen ist, mit Lust um Ecken zu pfeifen. Fahrwerk und Lenkung sind darauf ausgerichtet, den Fahrer nicht mit Informationen zu behelligen, die in diesem Segment ohnehin nur eine Minderheit zu finden hofft. Das gelingt recht gut: Weder stören Antriebseinflüsse noch Untergrundinfos der Straße die Reise, vielmehr filtert der Volvo alles bis auf ein angenehmes Maß heraus. Wer eine präzise Lenkung und viel Rückmeldung von der Straße für wichtig erachtet, muss sich anderswo umschauen. Diese Auslegung mag nicht jedem behagen, ich finde sie aber für dieses Fahrzeugformat passend.

Wohl auch deshalb stellt sich rasch der Eindruck ein, dass Volvo es bei der Leistung wirklich überreichlich gut gemeint hat. 150 kW an jeder Achse befähigen das SUV zu einer Beschleunigung, die kaum einer dem XC40 zutraut. Mit Macht und Schwung rennt das E-SUV in den 180-km/h-Begrenzer. Bei alltäglichen Geschwindigkeiten, die bei den meisten wohl deutlich darunter liegen, tritt dieser XC40 zwar jederzeit gut dosierbar, im Bedarfsfall aber sehr wuchtig an, und das, typisch E-Auto, ohne jede Verzögerung. Braucht es das in diesem Umfang? Auf keinen Fall. Macht das Freude? Definitiv.

Volvo XC40 Recharge Technik (0 Bilder) [2]

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Schon mit der Hälfte der Motorleistung wäre das SUV fraglos wirklich weit mehr als nur solide ausgestattet. Wohl auch deshalb stellten einige Testfahrer die Frage, warum Volvo nicht eine Maschine optional weglässt. Offenbar hat man darüber auch beim Hersteller nachgedacht. Seit kurzem ist der XC40 Recharge auch mit nur einem E-Motor zu haben, der dann 170 kW leistet und an der Vorderachse installiert ist. In dieser Version ist auch der Energiegehalt der Batterie mit 67 kWh (netto) etwas geringer.

Im Testwagen dagegen war die Version mit zweimal 150 kW eingebaut. Volkswagen macht zwischen Vorder- und Hinterachse einen Unterschied bei der Art der Motoren: Der Hauptantrieb hinten ist ein Synchronmotor, der vordere wird nur bei entsprechender Leistungsanforderung hinzugeholt und ist deshalb ein Asynchronmotor. Diese Auslegung hat einen technischen Hintergrund: Ein permanent erregter Synchronmotor, also der, der bei Volvo wie auch bei Volkswagen die Hauptarbeit übernimmt, hat einen höheren Wirkungsgrad und ist kompakter, allerdings auch etwas teurer als ein Asynchronmotor. Letzterer wiederum ist kurzzeitig hoch belastbar und kann, wenn er nicht gebraucht wird, stromlos mitlaufen.

Volvo verbaut zwei Synchronmotoren, was für den Verbrauch potenziell nachteilig ist, weil der vordere Motor so nicht einfach ohne Strom mitlaufen kann. Im Test kamen wir auf Werte zwischen 17,5 und 28 kWh/100 km, wobei weniger als 19 kWh schon eine erhebliche Zurückhaltung erfordern. Dabei herrschten im Testzeitraum Ende August Temperaturen zwischen 20 und 25 Grad, die Klimatisierung hatte also weder nach oben noch nach unten viel zu tun. Die Batterie lässt sich mit bis zu 22 kW an Wechselstrom und 150 kW an Gleichstrom laden. Das sind praxisgerechte Werte, mit denen sich die netto 75 kWh große Batterie vergleichsweise rasch befüllen lässt.

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Im Testwagen übernahm ein Teil der Klimatisierung der Insassen ein großes Glasschiebedach, dessen vorderer Abschnitt sich öffnen lässt. Die Luke ist so geschickt dimensioniert, dass weder Lärm noch Zugluft nerven. Schön wäre allerdings, wenn die vordere Kante der Öffnung etwas näher in Richtung Windschutzscheibe läge. Dennoch: Das Glasdach hat mir im nachfolgenden Testwagen sehr gefehlt. Erst da wurde mir bewusst, wie oft ich es im Volvo offen hatte.

Volvo XC40 Recharge Twin Innenraum (0 Bilder) [5]

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Den XC40 Recharge vermisste ich auch an anderer Stelle rasch. Volvo hat entschieden, sich im Bereich Infotainment in die Hände von Google zu begeben. Trotz mancher Schwäche ist die Entscheidung für Android Automotive eine gute. Die nahezu perfekte Sprachsteuerung und vor allem die Navigation via Google Maps inklusive der Online-Verkehrsmeldungen sind spitze. Sie lassen vieles, was Konkurrenten mit ihren selbst entwickelten Lösungen anbieten, geradezu amateurhaft wirken. Volvo hat sich damit aus dem Nirgendwo des eigenen Systems in die Topliga katapultiert. Wobei man sich immer vor Augen führen sollte, dass dieses Betriebssystem noch ziemlich am Anfang seines Entwicklungsstandes sein dürfte, wenngleich schon der beeindruckend ist.

Kleine Stolpersteine bleiben allerdings noch auszuräumen. Im Testwagen verlor das System ein paarmal den Empfang. Zwar ist dann noch eine Navigation möglich, doch Verkehrsmeldungen finden eben keinen Eingang in die Routenplanung. Seltsam auch: Obwohl das System unterwegs doch irgendwann wieder LTE-Empfang hatte, blieb die Routenführung offline. Prompt führte es mich in einen Stau, der Google Maps auf dem Handy bekannt war. Der XC40 Recharge war auch der erste Testwagen, der meinen 128-Gbyte-USB-Stick von Samsung nicht akzeptierte. Was ausgesprochen schade war, denn das Soundsystem von harman/kardon erscheint mir überdurchschnittlich gut zu sein.

Schlussendlich wird das Infotainmentsystem auch all jene enttäuschen, die einen gewissen Spieltrieb haben. Früher gab es unzählige Menüs und Ebenen in der Volvo-Unterhaltungselektronik. Das ist vorbei, mit Android Automotive sind die wenigen Optionen rasch durchgespielt. Alles ist übersichtlich und logisch zusammengefasst, finde ich. Mein Kollege Christian hatte da größere Anlaufschwierigkeiten und fand die Bedienung "nahezu unmöglich". Das Kombiinstrument ist grundsätzlich ein Display, lässt sich aber nur in sehr begrenztem Umfang einrichten. Der umfangreiche Bordcomputer beispielsweise wird immer nur für einen Moment eingeblendet.

Grundsätzlich kann das System, was man im Auto tatsächlich braucht, und keinen Deut mehr. Mitunter wirkt die Reduzierung sehr rigide. In fast allen Elektroautos kann man die Rekuperation mit einem Griff zum Wählhebel regulieren, im Volvo nur in einem Untermenü. Es ist ziemlich großartig, dass man den maximalen Ladestrom zwischen 6 und 32 Ampere frei wählen kann. Doch Volvo hätte mit einer Zeile erwähnen können, dass dies pro Phase gilt.

Auch die Entscheidung, die restliche Reichweite erst dann in Kilometern anzugeben, wenn diese unter 50 km fällt, ist gewöhnungsbedürftig. Davor liefert das System nur eine Prozentangabe zum Ladestand. Es sei denn, man fragt über die Sprachsteuerung nach. Die geneigte Leserschaft wird allerdings bemerkt haben: Das alles ist schon mäkeln auf sehr hohem Niveau, und nichts, was sich mit einem Update nicht ausräumen ließe. Insgesamt ist das System richtig gut.

Der Rest ist von den aktuellen XC40 mit Verbrennungsmotoren [7] bestens bekannt. Sitze und Geräuschdämmung sind hervorragend, bei Materialauswahl und Verarbeitung macht Volvo kaum jemand etwas vor. An keiner Stelle wirkt das SUV billig, was sich auch dort zeigt, wo man beim Erstkontakt vielleicht nicht hinschaut: Im Kofferraum ist das praktische Netz auf dem Boden mit hochwertigen und extrem soliden Ösen befestigt. Auch die Teppiche hinterlassen einen sehr haltbaren Eindruck. Der optionale Schlüssel im Holz-Look ist eine derartige Wucht, dass man fast bedauert, ihn so selten in die Hand nehmen zu müssen.

Volvo XC40 Recharge Twin außen (6 Bilder) [8]

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Volvo liefert mit dem XC40 optisch einen eigenständigen Beitrag zu diesem Segment. Als Elektroauto ist er teuer, aber ...
(Bild: Florian Pillau)

Zu verschenken hat Volvo nichts, doch solche Kleinigkeiten vermitteln nachhaltig das Gefühl, einen ordentlichen Gegenwert zu bekommen. Stolze 59.250 Euro kostet der XC40 mit zwei Elektromotoren mindestens, wobei die Serienausstattung bereits sehr umfangreich ist. 7600 Euro lassen sich bei ansonsten vergleichbarer Ausstattung sparen, wenn man sich auf 170 kW, etwas geringere Batteriekapazität und 20 km/h weniger Höchstgeschwindigkeit einlässt. Den eingangs beschriebenen Octavia-RS-Drängler mag das vielleicht nicht überzeugen, viele andere dagegen könnten feststellen, dass dem XC40 Recharge damit kaum etwas Entscheidendes fehlt.

Der Testwagen wurde vom Hersteller gestellt und überführt, ihm lag auch eine Ladekarte bei. Die restlichen Kosten für Strom wurden vom Autor übernommen.

Modell Volvo XC40 Recharge Twin
Ausstattungslinie Plus
Preis für diese Ausstattungslinie 59.250
Infotainment
USB-Anschluss Serie
Soundsystem Serie
Navigationssystem Serie
Verkehrsdaten in Echtzeit Serie
Freisprecheinrichtung Serie
Head-up-Display -
Android Auto/Apple CarPlay Serie/-
kabelloses Laden von Handys Serie
Assistenz
Abstandstempomat Serie
Einparksensoren vorn Serie
Einparksensoren hinten Serie
Rückfahrkamera Serie
Müdigkeitserkennung Serie
Spurhalteassistent Serie
Matrix-Licht -
Nachtsicht-Assistent -
Funktion
LED-Scheinwerfer Serie
elektrische Heckklappe Serie
Alarmanlage Serie
schlüsselloser Zugang Serie
Fahrwerksoption -
Wärmepumpe Serie
Komfort
Sitzheizung Serie
Sitzbelüftung -
Massage -
Ledersitze -
beheizbares Lenkrad Serie
Lederlenkrad Serie
Klimaautomatik Serie
Schiebedach -
Sonstiges
Metalliclack 750
Leichtmetallfelgen Serie
Preisliste Stand September 2021
Hersteller Volvo
Modell XC40 Recharge Twin
Motor und Antrieb
Frontmotor Art Synchronmotor
Leistung in kW Frontmotor 150
Drehmoment in Nm Frontmotor 330
Heckmotor Art Synchronmotor
Leistung in kW Heckmotor 150
Drehmoment in kW Heckmotor 330
Systemleistung in kW 300
Systemdrehmoment in Nm 660
Fahrwerk
Spurweite vorn in mm 1601
Spurweite hinten in mm 1610
Reifengröße 255/45 R19
Maße und Gewichte
Länge in mm 4425
Breite in mm 1863 (2034 mit Außenspiegeln)
Höhe in mm 1647
Radstand in mm 2702
Kofferraumvolumen in Litern 419 bis 1295
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck 2188
Zuladung in kg 462
Batterie in kWh (netto) 75
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 4,9
Höchstgeschwindigkeit in km/h 180
Verbrauch
Verbrauch WLTP in kWh/100 km 23,8 bis 25
Ladeleistung an AC in kW 22
Ladeleistung an DC in kW 150
Reichweite in km (WLTP) 418
Daten Stand September 2021

(mfz [10])


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