9-Dollar-Computer C.H.I.P.

Nach einigem Hin und Her ist der 9-Dollar-Rechner C.H.I.P. endlich im Handel erhältlich – als Platine und Retro-Gadget PocketCHIP. Wir haben die beiden Geräte getestet.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Peter Eisner
Inhaltsverzeichnis

Im Sommer 2015 sammelte das kalifornische Start-Up Next Thing über Kickstarter 2 Millionen US-Dollar ein, um damit den „ersten 9-Dollar-Computer der Welt“ auf den Markt zu bringen. Der angepeilte Preis schien auf keinen Fall machbar zu sein. Im Web-Shop des Herstellers kostet der CHIP nun tatsächlich nur 9 US-Dollar. Die erste Charge ist bereits vergriffen. Als mobiltauglicher Bastelrechner macht er trotz einiger Schwächen eine gute Figur. Als PocketCHIP kann man den CHIP auch mit Gehäuse, Tastatur und Bildschirm kaufen. In dieser Variante wird der CHIP zu einer Mischung aus einem tragbaren Hacker-Gadget und einer Retro-Spielekonsole.

Der CHIP basiert auf einem Allwinner-R8-System-on-a-Chip (SoC), in dem ein einzelner Cortex-A8-Kern bei einem Takt von einem GHz werkelt. Dazu gibt es 512 MB RAM und 4 GB Flash-Speicher. Mit an Bord sind WLAN (802.11b/g/n) und Bluetooth (4.0 LE), ein USB-2.0-Anschluss so wie eine 3,5"-Mini-Klinkenbuchse für den AV-Ausgang. Die Stromversorgung läuft über eine Micro-USB-Buchse.

Für einzellige LiPo-Akkus ist eine zweipolige Anschlussbuchse (JST PH, 2 mm) vorgesehen. Schon fast wie ein Gehäuseersatz wirken die beiden zweireihigen Buchsenleisten an den langen Seiten der 60 mm x 40 mm kleinen Platine. Neben den GPIOs sind auf diesem Weg auch Schnittstellen des SoC herausgeführt, wie z. B. UART, I2C, SPI oder auch ein Audio-Eingang.

CHIP in der Draufsicht.

Um mit dem CHIP als Desktop-Rechner loslegen zu können, braucht man im Vergleich zu den meisten anderen Einplatinenrechnern mehr zusätzliche Hardware. Für den gleichzeiten Betrieb von Tastatur und Maus ist ein USB-Hub vonnöten. Der Hersteller empfiehlt einen mit eigener Stromversorgung, so dass man mit zwei Netzteilen hantieren muss.

Da der Kleinstcomputer von Haus aus nur Composite-Video unterstützt, ist ein Fernseher als Bildschirm erforderlich. Die auf diesem Weg unterstützten NTSC- und PAL-Auflösungen sind jedoch für die meisten Anwendungen zu gering. Monitore mit HDMI- oder VGA-Anschluss lassen sich über Adapter, die auf die Buchsenleisten aufgesteckt werden, mit dem CHIP verbinden. Ähnlich wie Arduino-Shields und Raspberry-Pi-Hats haben die Aufsteckplatinen einen eigenen Namen: Beim CHIP heißen sie Dip. Das VGA-Dip kostet 10 US-Dollar, für das HDMI-Dip werden 15 Dollar fällig – sie kosten somit mehr als der Mini-Computer selbst und erweitern die begrenzten Grafikfähigkeiten des CHIP nur geringfügig. Um Lizenzkosten zu sparen, lässt der Hersteller einige Teile der Grafikhardware ungenutzt. Der leistungsstärkere HDMI-Adapter unterstützt daher offiziell nur Auflösungen bis 720p, inoffiziell gehen aber 1080p bei 30 Hz. Die Soundausgabe über HDMI ist nicht möglich.

Der CHIP im Überblick

Viele Anwendungen benötigen aber weder Bildschirm noch Tastatur. Dann kann man eine serielle Verbindung über einen USB-Seriell-Adapter zu dem Kleinstrechner aufbauen. Prinzipiell geht es noch komfortabler: Da der Micro-USB-Port nicht nur der Stromversorgung dient, also OTG-fähig ist (on-the-go), kann der CHIP sich gegenüber einem PC als COM-Port ausgeben und so direkt seriell verbinden – mit nur einem Kabel. Leider funktioniert das nicht mit jeder Version des CHIP-Betriebssystems, da beim Update auf die Version 4.4 Fehler in der Konfiguration gemacht wurden. Einmal verbunden kann man den CHIP ins WLAN bringen und sich künftig per ssh einloggen.

Für die Stromversorgung wird ein Smartphone-Lader mit mindestens 900 mA empfohlen. Wir konnten unter CPU-Last Verbrauchswerte knapp unter 500 mA feststellen. Bei ruhendem Desktop lagen unsere Messwerte bei 200 bis 300 mA und im ausgeschalteten Zustand bei 55 mA. Dementsprechend wurde das SoC nicht sonderlich warm, ein Kühlkörper erübrigt sich also. Die Messungen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen: Es werden verschiedene System-Images angeboten, die sich auch hinsichtlich der Einstellungen für den Energieverbrauch unterscheiden. Das von uns benutzte Standard-Image (GUI 4.4) verwendet vermutlich eher konservative Einstellungen.

Die einzige Anschlussmöglichkeit für Speichermedien ist die USB-Schnittstelle. Der sonst in der Geräteklasse übliche Slot für Micro-SD-Karten wurde eingespart. Interessant ist, wie der Flash-Speicher integriert wurde. Den Quasi-Standard eMMC hat Next Thing aus Kostengründen vermieden. Der verbaute 8-GB-Flash-Chip ist ein MTD (Memory Technology Device) und wird als Unsorted Block Image (UBI) angesprochen. Das darauf aufsetzende Dateisystem UBIFS sorgt für einige Limitierungen, die auch aus Anwendersicht relevant sind: Es stehen nur 4 GB zur Verfügung, da der Speicher im Single-Level-Cell-Modus angesprochen wird. Hinzu kommt, dass das Dateisystem Anwenderdaten komprimiert.

Auf der Unterseite sitzt das Allwinner SoC und der RAM.

Zwar wird der Speicher so besser ausgenutzt. Bei gut komprimierbaren Daten führt es aber dazu, dass aus Sicht des Betriebssystems auf einem 4-GB-Speichermedium mehr als 4 GB liegen können. Es ist von Innen größer als von Außen – wie die TARDIS aus der Serie Doctor Who. Die Linux-üblichen Werkzeuge zur Ermittlung von belegtem und freien Speicher, wie z. B. df, geben daher rechnerisch unsinnige Werte aus. Immerhin: den Wert für freien Speicherplatz darf man als Mindestgarantie verstehen.

Gegenüber den sonst üblichen SD-Karten verspricht Next Thing einen Geschwindigkeitsvorteil. Für Schreib-Lese-Benchmarks hätten wir die Kompression abschalten müssen und somit nur praxisferne Werte ermittelt. Zahlen, die wir gesehen haben waren 45 MB/s beim Schreiben und sehr langsame Leseraten im unteren einstelligen Bereich, manchmal auch knapp zweistellig. USB-Sticks verhalten sich dagegen erwartungsgemäß und nutzen die USB-2.0-Bandbreite aus.

Der C.H.I.P. (5 Bilder)

Die zweipoligen Buchsenleisten bieten auch ohne Gehäuse ein wenig Schutz für die Platine des CHIP.

Der CHIP ist in erster Linie als mobile Bastelplattform oder für Anwendungen des Internet of Things (IoT) geeignet. Dafür sprechen der geringe Energieverbrauch, die Größe, WLAN und Bluetooth, der kleine Preis und der native Akku-Anschluss. Der Akku lässt sich – wie bei Smartphones – während des Betriebs laden. Zugleich hat man damit eine günstige unterbrechungsfreie Stromversorgung. Für schreiblastige Aufgaben ist es empfehlenswert abzuwarten, welche Erfahrungen mit dem Speicher hinsichtlich Wear-Leveling und Haltbarkeit gemacht werden.

Wenig bis gar nicht geeignet ist der CHIP für Desktop- oder Video-Anwendungen. Die Rechenleistung und die erreichbaren Auflösungen sind dafür zu gering.

Der Vergleich zum Konkurrenten Raspberry Pi Zero drängt sich auf. Die Vorzüge des CHIP gegenüber dem Zero liegen in der etwas moderneren CPU (ARMv7 statt ARMv6), dem WLAN und der eingebauten Ladeelektronik für den Akkubetrieb.

Als Betriebssystem ist ein angepasstes Debian 8 (Jessie) vorinstalliert. Möchte man eine neuere oder andere Version auf den CHIP bringen, geht dies über den auf Google Chrome basierenden Web-Flasher. Zur Auswahl stehen Images mit oder ohne grafische Oberfläche (für den Betrieb als Headless Server) oder Varianten mit unterschiedlichen Energieeinstellungen. Ebenfalls findet man hier die Images für den PocketCHIP.

Der PocketCHIP wird von Next Thing als eigenständiges Produkt geführt. Er erinnert optisch an eine Mischung aus einer portablen Retro-Konsole und einem nicht fertig gewordenen Tasten-Blackberry. Hier wurde um den Chip alles herumgebaut, was ihm zum mobilen Computer noch fehlte: eine Platine mit Tastatur, ein Touchscreen, ein Akku und ein Plastikgehäuse. Der rückseitig eingesteckte CHIP gehört zum Lieferumfang.

Am oberen Rand der Platine bietet eine Reihe von Lötpunkten Zugang zu den GPIOs und anderen Schnittstellen – der PocketCHIP zielt damit auf Maker, die den CHIP als einsatzbereite Mobilplattform brauchen oder Leute, die eine Schwäche für nerdige Retro-Gadgets haben.

Der PocketCHIP (6 Bilder)

Der PocketCHIP ist ein CHIP mit Touchscreen, Tastatur, Gehäuse und Akku.

In Sachen Software gibt es einige Unterschiede zum CHIP: passend für den 480 x 272 Pixel darstellenden resistiven Touchscreen haben die Macher einen Home-Screen entwickelt, von dem Programme gestartet oder Einstellungen vorgenommen werden. Neben Terminal, Text-Editor und Dateimanager findet man hier ein Musik-Programm und die Retro-Spiele-Plattform Pico-8.

Das ansonsten kostenpflichtige Pico-8 ist auf dem PocketCHIP vorinstallert. Es wurde von Lexaloffle Games in Tokio entwickelt und ist ein Emulator für eine 80er-Jahre Spielekonsole – die es allerdings nie gegeben hat. Das Konzept des frei erfundenen Hardware-Emulators nennen die Entwickler „Fantasy Console“. Auf der einen Seite werden enge Limitierungen seitens der „Hardware“ gesetzt (Augenfällig: eine Auflösung von 128 x 128 Pixeln). Auf der anderen Seite wird die Entwicklung der Spiele durch Werkzeuge wie z. B. einen Sprite- oder Sound-Editor und die Programmierung in LUA erleichtert. Die Spiele werden aus der Community heraus entwickelt und sind im Unterschied zu Pico-8 selbst grundsätzlich frei verfügbar und veränderbar.

Das verspielte Design und die Vermarktung als nerdiges Gadget wecken Erwartungen, die der PocketCHIP leider nicht erfüllt. Die schwergängigen Blechtasten tun sich als Spaßbremse erster Güte hervor, dicht gefolgt von dem nicht mehr zeitgemäßen resistiven Touchscreen, den man besser per Stift bedient. Selbst wenn man sich damit anfreunden kann: die meisten Anwendungen sind nicht auf die Hardware angepasst und erwarten mehr Bildschirmfläche. Als Spielgerät hat der PocketCHIP ein hohes Enttäuschungspotenzial. Als gebrauchsfertige tragbare Variante der CHIP-Plattform ist er aber durchaus nützlich, wenn auch etwas teuer: bei Kickstarter kostete er noch 39 Dollar, mittlerweile müssen künftige „Pocketeers“ 69 Dollar hinblättern. (peis)