"Pentiment" angespielt: Cold Case im Mittelalter

Detailverliebt und historisch korrekt: Im Point-and-Click-Abenteuer "Pentiment" von Obsidian geht es auf Mördersuche in bayerischen Mittelalter.​

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Andreas Müller
Inhaltsverzeichnis

Obsidian mal anders: Die Kalifornier sind bekannt für aufwendige Rollenspiele wie "Pillars of Eternity" oder "The Outer Worlds". Mit "Pentiment" gehen sie neue Wege. Das Point-and-Click-Abenteuer erzählt von einem Mordfall im Mittelalter. Das ist visuell ungewöhnlich und historisch authentisch, erfordert von Spielerinnen und Spielern aber auch Geduld.

Anfang des 16. Jahrhunderts arbeitet der Künstlergeselle Andreas Maler an seinem Meisterstück in einer Abtei in Franken. Sein langweiliger Alltag zwischen biederen Mönchen wird plötzlich durch einen Mord durcheinandergewirbelt. Andreas wird unfreiwillig zum Detektiv, um das Leben eines alten Freundes zu beschützen. Das ist aber nur der Anfang. Noch Jahrzehnte später beschäftigt der Fall den inzwischen erfolgreichen Künstler. Bei seiner Rückkehr dringt er tief in die Geheimnisse der Abtei und der Geschichte der Landschaft ein, unter deren scheinheiliger Oberfläche das Böse lauert. Geistergeschichten, Verrat und die Geschichte der römischen Besatzung Deutschlands verbinden sich zu einem ungewöhnlichen Mittelalterporträt.

"Pentiment" angespielt (5 Bilder)

Wie gemalt und sehr dialoglastig: "Pentiment" von Obsidian setzt auf Authentizität und tiefschürfende Unterhaltungen.
(Bild: heise online)

Auf den ersten Blick wirkt "Pentiment", zu Deutsch "Reue", wie die spielbare Version von Umberto Ecos "Der Name der Rose". Der Schauplatz, scheinheilige Mönche und ein geheimnisvoller Mord lassen auf einen spannenden wie tiefgründigen Krimi hoffen. Dieser Plot entpuppt sich aber schnell als eine falsche Fährte. Dem Entwicklungsstudio ging es eher um die historisch-realistische Darstellung des Mittelalters in Deutschland als um überraschende Story-Wendungen. Klassenkampf und Fragen zu Glaube und Religion nehmen viel Platz ein. Die Rahmenhandlung rückt schnell in den Hintergrund. Einige historische Momente wie Luthers Thesen oder die Bauernaufstände werden zitiert. Selbst Emanzipation spielt im letzten Drittel des Spiels eine entscheidende Rolle.

Vor allem ist Pentiment sehr dialoglastig. Hauptfigur Andreas läuft durch Abtei und Dorf, redet mit den Einwohnern und lernt ihre Probleme kennen. Da ist der Baron, der die Abtei unter Druck setzt, der aufmüpfige Bauerssohn oder der skrupellose Müller, der seine Frau betrügt. Teilweise minutenlang klicken sich Spieler und Spielerinnen durch detailreiche Gespräche, die zwar nicht vertont sind, aber durch die altertümliche Schriftweise einen ganz eigenen visuellen Reiz entfalten. Pointenreiche oder spannende Dialoge sollte aber niemand erwarten. Nüchtern und belehrend erfährt man wichtige Details oder erörtert tiefgründige religiöse Fragen. Nur selten blitzt so etwas wie Witz auf.

Das eigentliche Spiel müssen die Fans erst mit der Lupe suchen. Im Stil eines interaktiven Buches klappern sie in rund 15 Spielstunden mit der Hauptfigur die Gegend ab. Ein Inventar gibt es nicht. Nichts muss wie sonst genretypisch kombiniert werden und Rätsel sind Mangelware. Stattdessen müssen nur einzelne Stationen in der richtigen Reihenfolge abgearbeitet werden. Andreas kann sich am Anfang für eine bestimmte Herkunft und Ausbildung entscheiden, die seine Dialogoptionen beeinflusst. Das führt zu spielentscheidenden Situationen. Konfrontiert er seine Gesprächspartner aggressiv oder versucht er, sich einzuschmeicheln? Spannend wird es bei der Frage nach dem Täter: Andreas hat gleich mehrere Verdächtige. Wen er zunächst beschuldigt, kann er selbst entscheiden. Ob das aber wirklich der Täter ist, bleibt unklar. Da es nur einen automatischen Speicherpunkt gibt, kann man nicht zurückspulen, um andere Entscheidungen zu treffen.

Anfangs wird das behäbige Spielgeschehen durch die visuelle Umsetzung überdeckt. Die Bilder erinnern an alte Mittelalterzeichnungen, sind aber wenig spektakulär. Ständig müssen die Spielerinnen und Spieler bekannte Orte absuchen – wer Backtracking nicht ausstehen kann, ist hier fehl am Platz. Eine Schnellreise-Funktion gibt es nicht. Nur wenn es mal in eine dunkle Salzmine oder alte römischen Ruinen geht, kommt ein bisschen Spannung auf. Die eigentliche Krimihandlung wird durch die langen Dialoge und das langsame Erzähltempo ausgebremst. Da hätten ein paar vertonte Dialoge doch schon merklich "weltliche" Wunder gewirkt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

"Pentiment" ist ein sehr spezielles Spiel. Es dürfte in der originellen Konzeption und der konsequenten Umsetzung dieses Jahr kaum Konkurrenz haben. Statt mit einer spannenden Mörderjagd das Massenpublikum zu umgarnen, setzt Obsidian auf Realismus und lange Dialoge. Doch gerade hier liegt die Crux: Sich minutenlang durch Dialogblasen zu klicken, um sich über die Klassenkämpfe des Mittelalters und Fragen der Theologie belehren zu lassen, kann nicht nur faszinierend, sondern auch ganz schön langweilig sein. Da weht schon mehr als nur ein Hauch Edutainment durch die Luft. "Pentiment" ist deshalb etwas für geduldige und ausdauernde Mittelalterfans, denen dieser erhobene Zeigefinger nichts ausmacht. Für die geht allerdings ein Traum in Erfüllung. Selten wurde das Mittelalter so authentisch geschildert wie hier.

"Pentiment" erscheint am 15.November für Windows, Xbox One / Series. Es ist im GamePass enthalten. USK ab 12. Es kostet ca. 20 €. Für unseren Text haben wir das Spiel auf der Xbox durchgespielt.

(dahe)