Corona: Streit um Impfstoff

Grafik: TP

Abstand zwischen dem UK und der EU vergrößert sich weiter

EU-Ratspräsident Charles Michel hat auf schriftliche Kritik des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš, der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis an der Impfstoffversorgung der Mitgliedsländer durch die EU reagiert. In seiner Stellungnahme dazu geht er aber nicht auf den Wunsch der vier Regierungschefs nach beschleunigten Zulassungsverfahren ein. Stattdessen droht der Belgier den Impfstoffherstellern, man könne, wenn es sein müsse, auch auf die Notfallregelungen in Artikel 122 der EU-Verträge zurückgreifen und Impfstoffe eines Unternehmens ohne dessen Zustimmung von anderen produzieren lassen.

Bestellreihenfolge

Nicht namentlich angesprochener Adressat dieser Drohung ist anscheinend vor allem das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca, für dessen Serum heute die Zulassungsempfehlung durch die EU-Arzneimittelzulassungsbehörde erwartet wird. Wie viel Impfstoff AstraZeneca der EU danach liefern wird, ist umstritten (vgl. Corona-Impfung: "Die Nerven liegen blank"). AstraZeneca stellt für die nächsten Monate weniger in Aussicht, als Brüssel gerne hätte, und begründet das mit Schwierigkeiten bei der Produktion.

Dass dem Vereinigten Königreich mehr geliefert wird, liegt dem Unternehmen zufolge daran, dass die Staatsführung dort den Impfstoff drei Monate früher bestellte als die EU-Kommission. Deshalb habe man Brüssel auch nicht garantieren können, die EU so schnell wie das UK zu beliefern, sondern vertraglich lediglich eine Best-Effort-Regelung festgehalten. Um das den Medien und der Öffentlichkeit in den EU-Ländern nachzuweisen, will AstraZeneca diese Verträge heute veröffentlichen.

Wirksamkeit gegen Mutationen

Dass die Briten deutlich früher bestellten, bestreitet auch die EU-Kommission nicht. Deshalb (und weil London auch bei der Zulassung deutlich schneller war als Brüssel) sind dort inzwischen elf Prozent der Bürger mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft - und nicht nur zwei, wie im EU-Durchschnitt. Der Abstand wird auch nicht kleiner, sondern vergrößert sich sogar, weil dass 67-Millionen-Land mit 370.000 Impfungen am Tag pro Einwohner deutlich mehr schafft als das 447-Millionen-Gebilde mit 500.000 Einwohnern täglich.

Allerdings ist unklar, inwieweit der AstraZeneca-Impfstoff auch vor der zuerst in England entdeckten Mutation B.1.1.7 schützt (vgl. Britische Corona-Mutation: AstraZeneca prüft Umbau des Impfstoffs). Der britische Premierminister Boris Johnson war jedoch auch bei der Bestellung des Impfstoffs von BioNTech und Pfizer, dessen Schutz davor inzwischen erwiesen ist, schneller als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Er orderte bereits am 20. Juli 2020 30 Millionen Dosen davon.

Novavax: etwas weniger wirksam gegen die britische Mutation - aber deutlich weniger gegen die südafrikanische

Darüber hinaus prüfen die Briten eine Zulassung des Impfstoffs der amerikanischen Firma Novavax, von dem sie 60 Millionen Dosen kaufen wollen. Auch dieses Serum hat sich in Tests mit den mutierten Viren als wirksam erwiesen: Eine Studie mit 15.000 Teilnehmern im Alter zwischen 18 und 84 Jahren kam auf 85,6 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als die 95,6 Prozent, die beim Test mit der Ursprungsvariante zustande kamen, liegt aber immer noch deutlich über der von der WHO geforderten Mindestwirksamkeit. Anders sieht es bei der südafrikanischen Mutation B.1.351 aus: Hier ergab eines Studie mit 4.400 Probanden lediglich 49,4 Prozent Wirksamkeit. Für die brasilianische Mutation B.1.1.28 liegen noch keine Daten vor.

Die ungarische Regierung hat auf das Brüsseler Versorgungsproblem anders reagiert als die Ministerpräsidenten Österreichs, Tschechiens, Dänemarks und Griechenlands: Sie schickte nicht nur einen Beschwerdebrief, sondern kümmerte sich um Alternativen: Der russische Impfstoff Sputnik V und das chinesische Sinopharm-Serum stehen dort nach einer gestern im Amtsblatt veröffentlichten Vereinfachung des Verfahrens kurz vor einer Zulassung. Bedenken dagegen begegnete die Regierung in Budapest mit dem Hinweis darauf, dass die Mehrheit der ungarischen Bürger bereits in der Kindheit mit russischen Vakzinen geimpft wurde.

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