Das Innenleben des Commodore 64

Commodore 64. Bild: Space

Keine Frage, der C64 war ideal zum Spielen. Albert Charpentier und Yash Terakura erzählen uns, wieso ihre neu entwickelten Chips den meistverkauften Homecomputer der Welt antrieben, und nicht etwa ein Konsolen-Chipsatz.

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Die Geschichte des C64 ist auch die Geschichte zweier innovativer Chips, die 1981 bei der Commodore-Tochter MOS Technology in Pennsylvania entwickelt wurden. Doch der wirkliche Erfolg des Systems basierte auf einem dritten Chip und dem Vertrauen auf fallende Speicherpreise.

Der Vorgänger der C64, der VC-20 (außerhalb Deutschlands als VIC-20 bekannt), hatte dank eines guten Kompromisses zwischen seinem Preis und der Qualität bereits erstaunliche Erfolge verbuchen können. Für den Videochip des VC-20 zeichnete Albert Charpentier verantwortlich, der als Ingenieur bei MOS arbeitete. Sein Chip sollte zuerst Konsolenherstellern angeboten werden, um auf deren Markt für bessere Grafik zu sorgen. "Der VIC-Chip war fertig, sodass ich mit der Arbeit am VIC-II begann", erzählt uns Albert. "Die ursprüngliche Prämisse war, dass der VIC gut, aber nicht gut genug für die Spielergemeinde da draußen gewesen war. Wir sahen uns also verschiedene Automaten von Taito, Konami und Atari an. Wir wollten ihnen mit dem VIC-II grafisch zumindest ebenbürtig sein." Damals waren die Prozessoren noch nicht annähernd so leistungsfähig wie heute, wie Albert weiter ausführt: "Irgendetwas auf dem Bildschirm anzuzeigen und zu bewegen konnte eine Menge Stress bedeuten. Daher dachten wir uns das Konzept der Sprites aus, sodass man eine Figur definieren und deren x- und y-Koordinaten angeben konnte und sie dann dort auf dem Bildschirm erschien. Das Ganze musste der Chip natürlich auch unterstützen."

Während Albert seinen neuen Grafikchip entwarf, entwickelte der ebenfalls bei MOS als Ingenieur tätige Bob Yannes einen dazu passenden Soundchip, den "SID" ("Sound Interface Device"). Dieser war eher von Keyboards und Synthesizern als von Computerchips inspiriert. Wie Albert erzählt, war Bob von der Musik fasziniert - sie war seine Leidenschaft. Der VIC hatte bereits Audiofähigkeiten, wenn auch minimale. Bob schlug vor, einen Chip mit drei oder vier Kanälen zu machen, der alle grundlegenden Fähigkeiten eines Keyboards bot. So wurden viele Eigenschaften von echten Synthesizern in den SID eingebaut. Soundchips der Konkurrenz spielten dabei laut Albert als Vorlage keine Rolle.

Doch Albert und Bob benötigten immer noch die Zustimmung von Commodore-Boss Jack Tramiel, um ihre jeweiligen Chips wirklich entwickeln zu dürfen. Diese bekamen sie mit der Unterstützung von Charles Winterble: "Charles Winterble war ein Produktionsingenieur, der eingestellt wurde, um eine bessere Chipausbeute zu erzielen. Wir arbeiteten eng zusammen", berichtet Albert. "Charlie, Bob und ich stellten Jack das Konzept des VIC-II und des SID vor. Wir sagten ihm, das ist die nächste Generation. Wir wollten eine waschechte Spielekonsole machen. Jack sagte nur: ‚Fangt einfach mal an, und dann sehen wir weiter.‘"

Einige Monate später entwickelten sich die Verkaufszahlen des VIC-20 so gut, dass die beiden ihr Konzept von einer Spielkonsole zu einem Homecomputer änderten. "Nach sechs Monaten war jedem klar, dass es ein Computer werden würde. Der VC-20 war ein großer Erfolg und verkaufte fast eine Million Einheiten", fährt Albert fort. "Also sagten wir uns: Lasst uns einen besseren VC-20 machen!" Sie verbesserten das Speichermanagement, um den Computer effizienter zu machen. Die Grafik spielte immer noch eine große Rolle - schließlich war auch für einen Homecomputer die wahre Nummer-1-Verwendung das Spielen.

Der Soundchip, an dem Bob Yannes arbeitete, war ebenso essenziell für die Multimedia-Eignung des VC-20-Nachfolgers, doch seine fortgeschrittene Technik bereitete viel Kopfzerbrechen. "Solche Dinge wurden zum ersten Mal auf einem Chip gemacht", erklärt Albert. "Die Filter und die Frequenzen waren ein Problem - und das Ziel, einen echten Synthesizer zu erschaffen. Wir wollten einen mit vier Stimmen, aber der Chip wurde zu groß und wir mussten uns auf drei beschränken."

Dank Jack Tramiels Gespür für Markttrends fand sich Albert bald darauf an der Arbeit an einer Variante des 6502-Prozessors wieder, die mehr Speicher adressieren konnte. "Jack kam einmal im Monat und ließ sich berichten. 64-KB-Speicherchips wurden gerade verfügbar, also sagte Jack: ‚Leute, macht 64 KB rein. Jeder wird diesen Speicher herstellen, und er wird sehr billig werden.‘ Der 6502 konnte allerdings nur 64 KB adressieren, und das musste für ROM, RAM und auch den Videospeicher reichen." Das Team baute also einen neuen, 6510 genannten Chip, der Teile des Speichers per Bank-Switching ein- und ausblenden konnte. Denn sonst wäre mehr als ein Drittel des 64-KB-RAMs gar nicht verwendbar gewesen.

Drei spezialisierte Chips und 64 Kilobyte Speicher ergeben noch keinen fertigen Homecomputer. Als Nächstes begann Albert mit der Arbeit am Mainboard. Als dem Projekt mehr Mitarbeiter zugeteilt wurden, bekam der Prototyp den Namen VIC-40. Dies sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass der VC-20 zwanzig Buchstaben pro Zeile auf dem Bildschirm anzeigen konnte, während der VIC-40 doppelt so viele darzustellen vermochte. Als der Hauptprozessor fertig war, arbeitetet Bob Yannes immer noch am SID, während Albert die Hauptplatine finalisierte. Sobald der Soundchip fertig war, widmete sich Yannes gemeinsam mit Bob Russell und Dave Ziembicki der Software, die eine Überarbeitung der Software des VC-20 darstellte. Nicht zuletzt wurden für Spiele zwei Joystick-Ports hinzugefügt.

Das Innenleben des Commodore 64. Bild/Grafik: Space

Es ging gut voran, doch eine Entscheidung, die Jack Tramiel Ende 1981 traf, verschärfte die Situation deutlich. Albert und sein Team mussten deshalb bis Neujahr rund um die Uhr arbeiten. Was war passiert? "Jack wollte unbedingt das Projekt auf der CES im Januar 1982 zeigen. Wir schufteten wie die Verrückten. Der SID-Chip war ein wenig zu spät dran, doch Bob Yannes bekam ihn fertig, und Bob Russell kümmerte sich um die Software. Die Marketingabteilung wusste bis Ende November nichts vom VIC-40. Vermutlich machte Jack sich Sorgen, dass sie angesichts des neuen Produktes zu enthusiastisch würden und sich nicht mehr genügend um den Verkauf des VC-20 kümmern würden", schmunzelt Albert. "Ich bekam das erste Muster um Weihnachten und fand einen Bug im Videochip, der verhinderte, dass sich Sprites flüssig vor dem Hintergrund bewegen konnten." Der gesamte Chip musste die Produktionskette erneut durchlaufen, was während der Weihnachtsferien passierte. "Der Chip war um Neujahr fertig. Wir modifizierten ein VC-20-Gehäuse, stopften alles hinein und malten es in einer anderen Farbe an - das war einfach Wahnsinn!"

Zur CES im Januar 1982 hatte Jack Tramiel den Prototyp vorgeführt bekommen und befand ihn für messereif. Der Name wurde noch schnell in "C64" geändert, und los ging es. "Ich glaube, dass Jack sich bewusst war, dass wir mit einer mittelmäßigen Präsentation keinen Blumentopf gewinnen konnten", erinnert Albert sich. "Wenn die Demo-Software nicht gut gewesen wäre, hätte er den Auftritt auf der Messe wohl gekippt. Ich mochte die Namensänderung, da die Distanz zum VC-20 dadurch größer wurde - der C64 würde diesem schließlich weitaus überlegen sein. An die CES erinnere ich mich noch gut - es war fantastisch, dieses neue Produkt vorzustellen, an dem wir 18 Monate gearbeitet hatten."

Auf einer Seite des Commodore-Messestands wurde der C64 mit Standardsoftware gezeigt, auf der anderen Seite liefen Spiele auf dem Gerät. Er wurde als "Computer, auf dem man tolle Spiele spielen kann" beworben. Als Jack Tramiel die Aufmerksamkeit sah, die dem C64 zuteil wurde, beschloss er, alle Ressourcen in das Projekt zu stecken. Nach der CES wurde Alberts kleines Team zum Kern des firmenweiten Engagements, den C64 möglichst schnell reif für die Massenproduktion zu machen. Das vergrößerte Team erhielt Unterstützung von der Produktionsabteilung in Santa Clara, wobei Yash Terakura eine wichtige Rolle spielte. Er trug die Verantwortung dafür, den C64 aus dem Labor in die Produktionsstätten in Japan zu bringen, wobei ihm Charles Winterble als Projektmanager und Schnittstelle zum Rest der Firma diente, um das Gerät herstellen zu können.

Die Tastatur des C64 ist klobig, aber sehr robust. Unsere funktioniert noch heute! Bild: Space

Commodore hatte eine Fabrik für Hauptplatinen in Santa Clara, wo der C64 zunächst gebaut wurde. Albert war auch dort involviert: "Ich verbrachte ein paar Wochen dort, während sie mit der Massenproduktion begannen. Bob Yannes war auch mit dabei. Bob Russell war dafür verantwortlich, Software vom VC-20 auf den C64 zu portieren. Alle Details standen nun fest, schließlich wollten wir nicht nur ein Exemplar bauen, sondern Millionen."

Als Teil des Produktionsprozesses erhielt der C64 sein charakteristisches braun-graues Gehäuse, das ihm hierzulande den Spitznamen "Brotkasten" einbrachte. Yash Terakura war dafür verantwortlich, Alberts Platine in das Gehäuse zu packen, und arbeitete dabei auch an Peripheriegeräten mit. Seine Hauptaufgabe war allerdings, die Produktion der Gehäuse in die Anlagen nach Japan zu verlagern, da der C64 dort in wesentlich höheren Stückzahlen hergestellt werden konnte. Wie sich herausstellte, wurde der VIC-II-Videochip im Betrieb ziemlich heiß, sodass man als Heat Sink eine kleine Metall-Lasche einbaute, die den Chip von oben berührte. Dies wurde dann auch Teil des Schutzes vor elektrostatischen Entladungen. Da man kein neues Gehäuse designt hatte, wurde das des VC-20 anders angemalt und bekam gänzlich neue Innereien. Von außen aber sah der C64 dem VC-20 verblüffend ähnlich.

Yash Terakura, der in Japan geboren und in den USA ausgebildet worden war, erinnert sich an die Arbeit am C64 in beiden Ländern - zuerst in Alberts Team und später bei der Produktion der Tastatur und des Gehäuses im Fernen Osten: "Ich zog wieder in die USA, um beim finalen Prototyp des C64 mitzuhelfen. Dabei kümmerte ich mich um das Layout der Platine, die Beschaffung von Bauteilen und um das Testen. Außerdem übernahm ich die Koordination zwischen der Produktion in Japan und den USA. Die Gussform für das Gehäuse kam aus Hongkong. In Japan arbeitete ich mit einem Ingenieur zusammen, der sich um die Belüftung und die Anordnung der Ein- und Ausgabeports kümmerte. Mitsumi lieferte die Tastatur - wir benutzten die gleiche wie beim VC-20."

Jack Tramiel behielt bei alledem stets die Herstellungskosten im Auge und bremste Alberts Wunsch nach teureren, hochwertigeren Bauteilen. "Ich erinnere mich noch an die Zusammenarbeit mit Jack", erzählt uns Albert. "Er kam etwa alle zwei Wochen und sah sich die Rechnungen an. Es war immer ein Kampf, weil ich bessere Qualität wollte. Er feilschte um jeden Penny und sagte dann oft zu mir: Wir produzieren Millionen von Geräten. Wenn du die Millionen von Pennies nicht willst, dann nehme ich sie!" Jacks Kostenbewusstsein brachte eine für Albert schmerzliche Marketing-Entscheidung mit sich: Er musste den C64 mit einem langsamen Laufwerk ausliefern. "Sie entschieden, das Laufwerk des VC-20 zu benutzen. Es war noch ein ganzes Lager voll davon. Nur war das Ding unglaublich langsam! Ganz am Ende mussten wir noch ein Interface dafür einbauen, damit die Dinger überhaupt am C64 liefen. Wir selbst wollten natürlich eigentlich etwas viel Schnelleres!"

Albert Erinnerungen an die letzten Abschnitte des Produktionsprozesses betreffen den Stress und die anschließende Erleichterung: "Es gab hohen Druck, das Gerät fertigzustellen, da sich der VC-20 natürlich ab dem Zeitpunkt nicht mehr verkaufte, ab dem die Leute wussten, dass der Nachfolger kam." Am Ende schafften sie es, der C64 ging im Mai 1982 in die Massenproduktion. "Danach fühlte ich mich großartig", resümiert Albert. "Ich meine, du verbringst Jahre deines Lebens mit der Verwirklichung eines Traumes. Und dann wird er Wirklichkeit und gefällt den Leuten!"

Yash Terakura bleibt bei seinem Resümee bescheiden: "Das Design des C64 war ziemlich eingeschränkt, weil wir nicht genügend Elektronikbauteile hatten. Außerdem mussten wir Geld sparen. Damals machte es aber Spaß, einen Computer zu entwerfen. Ich kann versichern, dass ich dabei immer mein Bestes gegeben habe". Die abschließenden Worte von Albert Charpentier gelten dem 2012 verstorbenen Jack Tramiel: "Jack Tramiel gab uns die Freiheit, das zu tun, was wir mussten, und das taten wir auch. Ich verdanke Jack sehr viel. Er hatte den Mumm, schon damals auf 64 KB zu gehen. Dennoch glaubte er fest an einen attraktiven Verkaufspreis und feilschte Tag für Tag um jeden Penny. Zu diesem Preis eroberte der C64 dann die Welt im Sturm. Ich glaube wirklich, dass durch dieses Gerät viele Leute an den Computer herangeführt wurden, bei denen es ansonsten viel länger gedauert hätte." In der Tat: Für Millionen von Spielern (und einen guten Teil der Retro Gamer-Leser) war der C64 der Einstieg in die Welt der Spiele.

Vielen Dank an Albert und Yash für ihre Geschichte des C64.

Dieser Artikel stammt aus Retro Gamer 03/2016.

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