Der Russe, der Feind

Das Ansehen Russlands und seiner Bürger hat gelitten. Bild: piqsels.com
Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine herrscht Wut. Das hat auch Folgen für Menschen in Deutschland, selbst die jüngsten
Angesichts der russischen Intervention in der Ukraine nehmen in Deutschland Angriffe auf Menschen aus Russland oder mit russischem Migrationshintergrund zu. Vertreter der SPD-geführten Bundesregierung warnen nun vor eine Zunahme der Anfeindungen. Sie ignorieren dabei aber, dass die Entwicklung in den vergangenen zwei Wochen aus den eigenen Reihen in Wort und Tat befördert worden ist.
Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel hat das Bundeskriminalamt (BKA) hunderte Straftaten gegen russische oder russischsprachige Menschen in Deutschland erfasst. Besorgt zeigte sich angesichts der Zahlen die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD).
Dokumentiert hatte das BKA nach dem Bericht seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 318 Taten von Sachbeschädigungen über Beleidigungen bis hin zu Bedrohungen im Internet und im öffentlichen Raum.
Weltweite Demonstrationen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine (21 Bilder)

Allein die Berliner Polizei hat im genannten Zeitraum 86 entsprechende Delikte erfasst, die Dunkelziffer ist durch nicht zur Anzeige gebrachte Taten wohl höher. In Berlin waren seit dem 24. Februar die bundesweit größten Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine ausgerichtet worden.
"Teilweise trauen sich Menschen nicht mehr, Russisch auf der Straße zu sprechen. Das besorgt mich sehr", sagte Alabali-Radovan den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die SPD-Politikerin sprach von "Angriffen auf russische Lebensmittelmärkte" und Beleidigungen von Kindern in der Schule. "Das dürfen wir nicht dulden", so Alabali-Radovan.
Im Spiegel heißt es weiter, viele deutsch-russische Vereine und Organisationen seien durch den Krieg in der Ukraine und die teils heftigen Reaktionen in Deutschland in eine existenzielle Krise geraten. "Wir stehen vor den Trümmern unserer Arbeit", zitiert das Magazin Martin Hoffmann, geschäftsführenden Vorstand des Deutsch-Russischen Forums in Berlin.
Auch Karin von Bismarck, Vorstandsvorsitzende des Wirtschaftsclubs Russland, sieht eine notwendige Kursänderung der ehrenamtlichen Arbeit für die deutsch-russischen Beziehungen: Der Fokus müsse jetzt allein auf zivilgesellschaftlicher Hilfe liegen. Es sei wichtig, "dass sich jetzt kein absolutes Feindbild gegenüber Russen entwickelt", so von Bismarck.
Politische Paradoxa in Zeiten des Krieges
Zu den Paradoxa der aktuellen Entwicklung zählt nicht nur, dass die oft linksliberal geprägten Antikriegsproteste rassistische Übergriffe zu begünstigen scheinen. Zugleich treten rechtsoffene Strukturen wie der sogenannte Bund der Vertriebenen (BdV) gegen "Anfeindungen gegen Mitbürger mit Wurzeln im russischsprachigen Raum in Deutschland" entgegen. Verkehrte Welt in Kriegszeiten.
BdV-Präsident Bernd Fabritius hatte dazu bereits Anfang März angemerkt, man wolle "Putins Krieg nicht in Deutschland" und er mahnte "gesellschaftlichen Zusammenhalt" an. Laut einer Erklärung des BdV warnte Fabritius vor "pauschaler Diskriminierung und Ausgrenzung von Russlanddeutschen, jüdischen Kontingentflüchtlingen und Russen in Deutschland". Diese Menschen gehörten "zu den Opfern von Putins Attacke auf Freiheit und Frieden in Europa".
Wie schon der Präsident der "Landsmannschaften" aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten hatte auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser am 4. März vor Anfeindungen gegen Menschen mit russischen Wurzeln gewarnt.
Die SPD-Politikerin betonte, bei dem "entsetzlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine" handele es sich um "Putins Krieg". Es sei jedoch nicht "der Krieg der Menschen mit russischen Wurzeln, die in Deutschland leben", so Faeser gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Entgegen all diesen Warnungen wurden in den vergangenen zwei Wochen viele institutionelle Verbindungen zwischen Deutschland und Russland pauschal und eilig abgebrochen – auch in der wissenschaftlichen Sphäre.
Julia Herzberg, Professorin für Geschichte Russlands und Ostmitteleuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht dadurch Studierende und Wissenschaftler in Russland doppelt gefährdet:
Studierenden und Lehrenden (…) droht für die Teilnahme an Protesten die Exmatrikulation, was für männliche Studierende weit mehr als nur den Verlust des Studienplatzes bedeutet. Sie können nun eingezogen und an die Front in die Ukraine geschickt werden. Wegen dieser beunruhigenden Entwicklungen ist es wichtig, die wissenschaftlichen Kanäle nach Russland offen zu halten. Ein Eiserner Vorhang, an dem deutsche Universitäten und Wissenschaftsministerien voreilig mitstricken, wird uns nicht zu einer europäischen Friedensordnung zurückbringen, sondern er schwächt die russische Zivilgesellschaft und lässt auch die Opposition in Russland im Stich.
Julia Herzberg in der FAZ
Krieg in der Ukraine, Anschlag auf Berliner Grundschule
Herzberg lässt in ihrem Gastbeitrag für die FAZ anklingen, was derzeit zu wenig diskutiert wird: die Beförderung antirussischen Rassismus‘ durch offizielle Stellen.
Ein Paradebeispiel ist – vorsätzlich oder ungewollt – Außenministerin Annalena Baerbock, die, um nur zwei Zitate anzuführen, ihre Hoffnung äußerte, dass die Sanktionen des Westens "Russland ruinieren", während sie bei Staatschef Wladimir Putin "alle menschlichen Grenzen" überschritten sah.
Solche moralische Überhöhung bleibt nicht folgenlos. Wie Telepolis berichtete, schmissen Bundestagsabgeordnete der drei Regierungsfraktionen und der Union noch am 24. Februar die russischen Anwärter für ein Stipendienprogramm des Bundestags raus, das laut Eigendarstellung "Demokratische Werte und Toleranz" vermitteln soll.
Die antirussische Stimmung trifft indes nicht nur Wissenschaftler und wissenschaftlichen Nachwuchs, sondern auch die Kleinsten: Im Berliner Stadtteil Marzahn wurde auf die Turnhalle der Internationalen Lomonossow-Schule ein Brandanschlag verübt. "Im Eingangsbereich brach durch einen Brandsatz ein Feuer aus", berichtete die Berliner Morgenpost. Ein Sprecher der Polizei sagte, man gehe von einem Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aus.