Deutschland: Kernfusion und Atomstrom – Alte Träume erstrahlen neu

Künstlerische Darstellung eines Tokamak, einem torusförmigen Typ eines Fusionsreaktors. Bild: Marko Aliaksandr / Shutterstock.com
Jetzt sollen sechs alte AKW wieder ans Netz gehen und die Kernfusion forciert werden. So will die kommende Bundesregierung Investitionen in die Erneuerbaren vermeiden. Hat Deutschland soviel Zeit?
Die Idee, mit Fusionsreaktoren unbegrenzt Energie zu erzeugen, die als sicher und sauber gilt, beschäftigt bislang vor allem Physiker. Jetzt glauben die Verhandler einer neuen Regierungskoalition in Berlin, mit dieser Technologie die Energieprobleme lösen und auf längere Sicht nicht nur fossile Brennstoffe, sondern auch Wind- und Solaranlagen überflüssig machen zu können.
Union und SPD einigten sich inzwischen darauf, die Fusionsforschung zu stärken. Das vor allem von CDU-Kanzlerkandidat Merz verfolgte Ziel ist, dass der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland steht.
Unbegrenzt saubere Energie?
Grundsätzlich geht es bei der Kernfusion darum, Atomkerne zu verschmelzen. Das unterscheidet die Kernfusion von klassischen Atomkraftwerken, die mit der Kernspaltung arbeiten. Bei der Fusion von Deuterium und Tritium, das sind zwei besondere Isotopen des Gases Wasserstoff, entstehen das Edelgas Helium sowie Neutronen. Letztere liefern dann die erwünschte Energie.
Der Prozess könnte in unbegrenztem Maße Strom produzieren, eine Hoffnung, die man vor Jahrzehnten auch bei der Kernspaltung hatte.
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Bei der Kernspaltung hoffte man seinerzeit zudem, dass es für die dabei entstehenden radioaktiven Überbleibsel später auch eine Lösung gebe, mit welcher man diese sicher wieder los würde. Nach 60 Jahren deutscher Kernkraftnutzung wird die Suche nach dieser sicheren Lösung wohl nochmals weiter 60 Jahre benötigen.
Die Kernfusion ist ein Nebenprodukt der Atomwaffenforschung, die in der National Ignition Facility, einer Einrichtung des Lawrence Livermore National Laboratory im Experiment realisiert wurde. Denn diese Forschungseinrichtung dient nicht allein der Entwicklung von Kernfusionsreaktoren, sondern die Fähigkeit, eine winzige Deuterium-Tritium-Kugel für einen Sekundenbruchteil auf mehr als 100 Millionen Grad Celsius zu erhitzen, stellt Bedingungen her, wie sie im Inneren einer Atomwaffenexplosion herrschen.
Das ist ein Weg, die Wirkungsweisen von Atombomben validieren, ohne tatsächlich Atombombentests durchführen zu müssen und daher auch ein Weg, Atomwaffen im Stillen weiterentwickeln zu können. Ob der deutsche Wunsch nach eigenen Atomwaffen auch hinter den hiesigen Vorstellungen zur Entwicklung der Kernfusion steht, ist derzeit noch ungeklärt.
Radioaktiver Abfall auch aus der Kernfusion
Die Hoffnung, die mit der Kernfusion verknüpft ist, bezieht sich vor allem auf die Vermeidung von radioaktivem Abfall. Ganz so glücklich scheint die Lage nach dem derzeitigen Stand der Forschung jedoch nicht zu sein, wie man beim Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching und Greifswald feststellt:
Ein Fusionskraftwerk erzeugt radioaktiven Abfall, weil die energiereichen Neutronen, die bei der Fusion entstehen, die Wände des Plasmagefäßes aktivieren. Wie intensiv und wie lang andauernd diese Aktivierung ausfällt, hängt von den Materialien ab, auf welche die Neutronen auftreffen.
Die Wände des Plasmagefäßes müssen nach Betriebsende zwischengelagert werden. Die Abfallmenge ist zunächst einmal größer als diejenige aus Kernspaltungskraftwerken. Allerdings handelt es sich dabei hauptsächlich um schwach radioaktive oder mittelradioaktive Materialien, die ein viel geringeres Risiko für Umwelt und menschliche Gesundheit darstellen als hochradioaktive Materialien aus Spaltungskraftwerken.
Die Strahlung dieser Fusionsabfälle nimmt deutlich schneller ab, als die von hochradioaktiven Abfällen aus Spaltungskraftwerken. Wissenschaftler forschen an Materialien für Wandkomponenten, welche die Aktivierung weiter reduzieren. Und sie entwickeln Recycling-Technologien durch die alle aktivierten Komponenten eines Fusionsreaktors nach einiger Zeit freigegeben oder in neuen Kraftwerken wiederverwendet werden können.
Derzeit ist davon auszugehen, dass man mit dem Recycling per Fernhantierung (Remote Handling) bereits ein Jahr nach Abschaltung eines Fusionskraftwerks beginnen könnte. Anders als bei Kernspaltungsreaktoren sollte damit kein Endlager erforderlich sein.
Wenn der Start der Kernfusion unsicher ist ...
Auch bei der Kernfusion zählt die bis zur Marktreife benötigte Zeit zu den Hauptproblemen. Lange Zeit galt ein Zeithorizont von 50 Jahren bis zur praktischen Nutzung der Fusion als gesetzt. Wobei sich dieser Zeithorizont mit jedem vergangenen Jahr um ein weiteres verschob.
Wie schwierig der Weg zur Kernfusion ist, zeigt sich aktuell am Großprojekt Iter. 35 Staaten, darunter die EU-Mitgliedsländer, die USA, Russland und Japan, haben sich dort zusammengeschlossen, um einen Fusionsreaktor zu bauen, in dem erprobt werden soll, ob durch Fusionsenergie tatsächlich über längere Dauer Strom erzeugt werden kann. 2025 sollte der Betrieb ursprünglich beginnen, inzwischen spricht man von 2035.
... kann man ja die alten AKWs wieder hochfahren.
Um Zeit zu gewinnen, setzt die CDU jetzt auf eine Wiederinbetriebnahme der sechs zuletzt stillgelegten Kernkraftwerke, wozu die Betreiber jedoch nicht bereit zu sein scheinen.
Hilfreich könnte da die Idee sein, dass der Steuerzahler die entstehenden Kosten vollständig übernimmt. Der erzeugten Strom soll dann zu Preisen, wie sie inzwischen für Erneuerbare gelten, an den deutschen Stromhandel verkauft und die Differenz einbehalten werden.