Dümmer als Trump erlaubt? Europas fatale Fehleinschätzung

Bild Donald Trump: KI-generiert
In der Trump-Ära belächelte Europa die USA als rückständig. Die EU sah sich als Vorreiterin in Sachen Klimaschutz und Technologie. Doch wer lacht jetzt über wen?
Als ich dieser Tage in Köln einen Cafe Americano bestelle, muss ich unwillkürlich an Donald Trumps Zölle denken. Der rührige Bistro-Chef beeilt sich, mich aufzuklären, dass das Heißgetränk möglicherweise bald von der Karte verschwinden wird. Kölner Kollegen hätten das Getränk schon gestrichen oder umbenannt: Espresso mit Heißwasser halt.
In der New York Times International ist am selben Tag zu lesen:
US-Präsident Trump wirft Amerikas Handelspartnern vor, die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten zu untergraben, indem sie unfaire Handelspraktiken anwenden, um den Wohlstand des Landes zu stehlen und ihre eigene Wirtschaft zu bereichern. Er hat nicht nur Gegner wie China, sondern auch traditionelle Verbündete wie Kanada und Europa ins Visier genommen.
NY Times International, 4. April 2025, Titelseite
"The Making of a World View"
In deutschen Medien schwappt die Empörungswelle über. Die Tagesthemen sprechen von "Schock", Kommentatoren stellen allenthalben fest, dass der amerikanische "Zollhammer" mitten in der akuten Regierungsbildung umso schlimmer ausfalle, das Börsenbarometer schlägt erwartbar nach unten aus.
In summa: Apocalypse Now! Keiner hat es kommen sehen.
Dabei kam es nur, wie es kommen musste. "Wir hätten gewarnt sein können", so das irisch-britische Autorenduo Brendan Simms und Charlie Laderman, beides renommierte Historiker; ihr Statement stammt schon aus dem Jahr 2017, dem Antrittsjahr des gescholtenen US-Präsidenten zu seiner ersten Amtsperiode.
Simms und Laderman nehmen in ihrem Buch "Donald Trump: The Making of a World View" (so der Buchtitel im Original) die Zielperson auf rund 140 Seiten ins Visier – und buchstäblich beim Wort.
Was dabei herauskommt, ist die aufschlussreiche, zugleich wundersam verdrängte Stringenz einer Haltung, deren Teile sich zu einem rigorosen Weltbild zusammenfügen (dt.: Brendan Simms/Charlie Laderman: Wir hätten gewarnt sein können. Donald Trumps Sicht auf die Welt. München 2017).
Im Endeffekt kommt nichts anderes dabei heraus als "Trump 2025". Sehen wir zu, wieso man das sagen kann.
Ein "wankelmütiger Präsident"?
Donald Trumps zweite Präsidentschaft begann am 20. Januar 2025. Das Vorgehen Trumps in seiner zweiten Amtszeit wird in dem Zusammenhang gerne als unberechenbar und gleichsam chaotisch kritisiert. Er sei ein "wankelmütiger Präsident", heißt es, und man wisse nie, was am nächsten Morgen auf der Tagesordnung steht.
Aber stimmt das?
Wie sich die Dinge in Wahrheit gleichen: Der wiedergewählte, jetzt 47. US-Präsident unterzeichnete noch am ersten Arbeitstag Dutzende sogenannter "executive orders". Das tat er schon einmal, zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2017.
Dazu ein Detail. Trumps neuer Handelsminister ist der Milliardär Howard Lutnick, ein enger Vertrauter und bedingungsloser Befürworter einer drastischen Zollpolitik. Lutnick kommt aus der Finanzbranche und gilt als vehementer China-Kritiker. Der Sender n-tv nannte ihn ein "Wall-Street-Schwergewicht" und orakelt: "Vor diesem Mann muss Deutschland zittern".
Im Interview mit dem US-Sender CBS lobt Lutnick das Zollpaket in den höchsten Tönen:
Diese Maßnahmen sind das Wichtigste, was Amerika je hatte. Howard Lutnick, US-Commerce Secretary
Die Wirtschaftspolitik von Präsident Trump sei es "wert", auch wenn das Ganze zu einer Rezession führen sollte.
Verblüffende Kontinuität
So what, möchte man sagen.
Dass Donald Trump sich seit Jahrzehnten als schillernde mediale Persönlichkeit gefällt – eine Binsenweisheit. Aber dass er nun genau das tut, was er immer gesagt hat – Überraschung? Da scheint etwas in der Wahrnehmung nicht zu stimmen.
Trumps Weltanschauung ist oft beschrieben worden als (Un-)Kultur des amerikanischen Materialismus der 1980er-Jahre. Simms und Laderman, die in Cambridge bzw. am King's College in London lehren, versammeln in akribischer Fleißarbeit "echte" Zitate Trumps aus seinen Interviews oder Reden über einen längeren Zeitraum – und zeigen damit eine verblüffende Kontinuität auf.
Resümee: Schon 2017, zu Beginn der ersten Amtszeit, sollte klar gewesen sein, wohin die Reise geht. Einige Beispiel folgen, Quellenzitate beziehen sich auf die deutsche Ausgabe.
"Unsere sogenannten Verbündeten"
Auftritt Donald Trump in der Phil Donahue Show in Midtown Manhattan am 16. Dezember 1987, dem Flaggschiff von NBC network.
Hier nennt Trump Amerikas Partner "unsere sogenannten Verbündeten" und erläutert:
(…) wir sind keine reiche Nation, wir sind ein Land, das 200 Milliarden Dollar im Jahr verliert, und wir können Farmern nicht helfen, und wir können keine Sozialhilfe leisten, wir können dies und das nicht leisten (…) Kuwait, Saudi-Arabien, sie zocken dieses Land ab, und mir gefällt das nicht.
Donald Trump bei NBC, Dezember 1987
Während dieser vielsagenden Dekade der 1980er Jahre beklagt Trump gebetsmühlenartig das "200-Milliarden-Dollar-Defizit" und begründet seinen Unmut damit, dass Amerikas Verbündete von der US-Schutzmacht profitierten, ohne dafür zu bezahlen (er nennt ausdrücklich etwa die Sicherung der Seewege im Persischen Golf), Das, so Trump über die Rolle Amerikas, sei "eine Katastrophe für dieses Land".
"Schlechte Deals mit dem Ausland"
Den Knackpunkt "Schlechte Deals mit dem Ausland" und, damit in Korrelation, die innere Schwäche Amerikas (ein fester Bezugspunkt in Trumps Argumentation) wiederholt er im Mai 1988 im Interview mit dem Guardian. Hier nennt er Amerika eine "zweitrangige Wirtschaftsmacht, eine Schuldnernation" (a.a.O., 60) und beklagt die Ursache: Nämlich den Mangel an "Respekt", den die Vereinigten Staaten international erführen:
We're a second-rate economic power, a debtor nation. We're getting kicked around.
Donald Trump im Interview mit dem Guardian, Mai 1988
Im selben Jahr (1988) ist Donald Trump auch bei Oprah Winfrey zu Gast. Auf die Frage, was er an der amerikanischen Außenpolitik zu kritisieren habe, nennt er es einen "Joke", wie sein Land sich ausnutzen lasse.
Trump reloaded: "Ich will Westdeutschland besteuern"
In den Jahren darauf distanziert Trump sich klar von einem seiner Meinung nach "schwachen Amerika". Im Playboy-Interview von März 1990 spricht er verächtlich von der Idee eines "freundlicheren, sanfteren Amerika", kurioserweise mit Bezug auf eine Rede George H.W. Bush's.
Die Sache ist klar: Trump will Kante zeigen! Im September 1989 – der Tycoon wird vom New Yorker TV-Sender WNET interviewt – behauptet er, die Verbündeten lachten Amerika aus und will gegensteuern – über Zölle:
Ich will Japan besteuern (…). Ich will Westdeutschland besteuern, ich will Saudi-Arabien besteuern. Wir halten sie am Leben. Wenn wir nicht wären, gäbe es sie nicht einmal, sie würden nicht existieren." (a.a.O. 65).
Donald Trump im Interview, TV-Sender The 11th Hour, September 1989
Das liegt mehr als 35 Jahre zurück.
Trump bittet zur Kasse
Immer wieder kommt der Grundtenor zur Sprache, den Trump früh verinnerlicht hat: Amerika wäre in der Lage, Reformen im Gesundheitssystem oder Steuersenkungen in großem Stil durchzuführen, wenn man die Verbündeten (= lauter Profiteure) zur Kasse bitten und Zölle einführen bzw. anheben würde. Dann würde es aufhören, dass diese Länder "uns zum Narren halten".
Zuletzt – Ende März 2025 – hatte Trump in einem Gruppenchat ranghoher Regierungsvertreter scharfe Kritik an den Europäern geäußert und sie als "Schmarotzer" bezeichnet. Vizepräsident Vance wurde in der Presse mit den Worten zitiert: "Ich hasse es einfach, Europa wieder aus der Klemme zu helfen."
Wie es kommt, dass Europa derzeit Kopfsteht und man so tut, als seien alle von einem unvorhersehbaren Schicksalsschlag betroffen, bleibt angesichts der über Jahrzehnte geäußerten Statements unverständlich.
Donald Trump, der Berechenbare
Die britische Journalistin und Menschenrechtlerin Polly Toynbee, die als Kolumnistin für den Guardian schreibt und sich intensiv mit dem Phänomen Trump befasst hat, blickte 2017 anlässlich der Inauguration Trumps 30 Jahre zurück und erklärte klar und unmissverständlich:
(…) Trumps Wesen war nie ein Geheimnis. Er hat sich nie verstellt, er kann sich nicht verstellen. Warum sollte er auch, wenn er jeden Aspekt seiner selbst verehrt, jedes Haar auf seinem Kopf, jedes Wort, das er twittert? Größere Selbstliebe hat kein Mensch.
Polly Toynbee meets Donald Trump: The 1988 interview
In dieselbe Kerbe haut ihr Kollege Evan Osnos vom Magazin New Yorker. Auch Osnos bezieht sich auf die damalige Präsidentschaft und schreibt im Kontext der Wahl 2016:
Während seiner gesamten Wahlkampagne ist Trump nie von drei Kernaussagen abgewichen: Die USA engagieren sich zu stark als Weltpolizei, leiden unter bestehenden Handelsabkommen und werden von unbegrenzter Einwanderung bedroht. Er mag während des Wahlkampfs wiederholt ausgewichen sein und Ideen verworfen haben. Aber am Ende entfernt er sich nicht allzu weit von seinen grundlegenden Positionen.
Evan Osnos, The New Yorker
Was Toynbee und Osnos hier nüchtern feststellen, hat, wie gesagt, solide Wurzeln im Denken Donald Trumps. Das gilt unverändert. Es kennzeichnet Trumps Denken unverhohlen, und das seit mindestens 40 Jahren.
Und es kennzeichnet Deutschland und Europa, dass sie in unverbesserlicher Ignoranz ihrem saturierten Optimismus nachhängen, es werde alles nicht eintreten und wenn, dann nicht so schlimm kommen.
Der vergessliche Mr. Scholz
Die europäischen Regierungen reagieren mit Kritik auf die Zollankündigungen. Der nach wie vor geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet sie als Gefahr für den globalen Handel.
Scholz ist bekannt für gelegentliche Gedächtnislücken. So wird er sich auch nicht an die Münchener Sicherheitskonferenz von 2019 erinnern können. Die fand vom 15. bis 17. Februar 2019 statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige US-Vizepräsident Mike Pence nahmen an dem Treffen teil.
Am Freitagabend der Konferenz nimmt Mike Pence den deutschen (damaligen) Finanzminister Olaf Scholz bei einem Empfang zur Seite. Es geht um das leidige Thema des deutschen Militär-Etats. Der Spiegel berichtet wenige Tage später, selbstredend der Untertitel: "Ärger über Handel, Verteidigung, Energie – die transatlantische Entfremdung schreitet voran." Auch Strafzölle gegen deutsche Autobauer kommen zur Sprache. Der Spiegel im Wortlaut von 2019:
Merkel hatte da ihren Auftritt in München nur etwa eine Stunde zuvor schon zu einer Art Abrechnung mit der Politik Donald Trumps genutzt – ohne seinen Namen auch nur einmal zu erwähnen. Neben den möglichen Strafzöllen gegen deutsche Autobauer sprach sie zahlreiche weitere Differenzen offen an (…).
Spiegel, 17.02.2019
Strafzölle gegen deutsche Autobauer? Streit über deutsche Verteidigungsausgaben? Trump, der unberechenbare Dealmaker, ein vorübergehendes Phänomen? Wenn man sich da mal nicht getäuscht hat. Fakenews mal anders.
Herausgekommen ist am Ende ein Americano der besonderen Art: Die europäische Version. Bis zur Geschmacklosigkeit verpanscht. Espresso mit sehr viel Heißwasser halt.