Foul unter Freunden: Wie hältst du es mit China?

Zehn Jahre nach Ausrufung des "Pivot to Asia" zeichnet sich eine neue Sicherheitsarchitektur für den Indopazifik ab
Deutschland sucht eine neue Regierung. Traditionell wird die zweitstärkste Kraft innerhalb der Koalition das Außenministerium übernehmen. Dass in dieser 20. Legislatur möglicherweise drei Parteien die Regierung stellen, macht die Lage für internationale Beobachter nicht einfacher, zumal sich die Parteien außenpolitisch dem traditionellen Links-Rechts-Schema entziehen.
In der US-Hauptstadt beobachtete man aufmerksam, dass der Kandidat der CDU, Armin Laschet, bei der "strategischen Ambiguität" der EU eindeutig zu besseren Beziehungen mit China und Russland tendiert.
Im Vorfeld der Bundestagswahlen analysierte etwa Noah Barkin in Foreign Policy die Konstellation und kam zu dem Schluss, dass ein Machtzuwachs für die Grünen Deutschland stärker in Richtung einer "auf Werte basierenden Außenpolitik" bringen und einen härteren Kurs im Umgang mit China und Russland bringen würde. Laschet hingegen sei eine ganz andere Sache, ein vorsichtiger Moderater im Merkel-Stil, allerdings mit einer Dosis des Merkel-Vorgängers Gerhard Schröder und dessen "Business-über-alles-Reflex".
Unmittelbar vor den Wahlen haben die transatlantischen Beziehungen eine erneute Schüttelprobe durchlaufen. Am 15. September gaben die Regierungen der USA, Großbritanniens und Australiens überraschend einen trilateralen Sicherheitspakt namens "Aukus" für den Indopazifik bekannt. Dessen Ziel sei es, zunächst gemeinsam Cyber-Fähigkeiten, künstliche Intelligenz, Quantentechnologien und zusätzliche Unterwasserfähigkeiten weiterzuentwickeln.
In diesem Fall bedeutete dies zunächst, dass Australien überraschend ein seit Jahren mit Frankreich entwickeltes 55-Milliarden-Projekt für den U-Boot-Bau suspendierte, um stattdessen mit Atomkraft betriebene U-Boote gemeinsam mit den USA und Großbritannien zu bauen. Immerhin zeigte sich Joe Biden humorig, als er den Affront gegen Frankreich im Weißen Haus präsentierte. Das Geschäft sei Ausdruck eines "allgemeinen Trends, dass wichtige europäische Länder eine äußerst wichtige Rolle im indopazifischen Raum spielen".
Allerdings ist dieser rüstungspolitische Aspekt, der in der EU seither für laute Empörung sorgt, nur ein Aspekt. Wenige Tage später traf sich im Weißen Haus die sogenannten Quad-Gruppe, offiziell der Quadrilateral Security Dialogue, ein Sicherheitsbündnis für den Indopazifik aus Australien, Indien, Japan und die Vereinigten Staaten - doppelt hält besser, könnte man sagen.
Die gemeinsame Erklärung ähnelte der Aukus-Erklärung sehr stark, nur dass in der ausführlicheren Quad-Erklärung das Wort "China" immerhin einmal erwähnt wurde. Bereits seit dem Jahr 2004 verfolgen US-Regierungen das Projekt, den wirtschaftsstärksten Nachbarn Chinas, Japan, und den an Bevölkerung größten Nachbarn Chinas, Indien, gemeinsam mit Australien in eine asiatische Sicherheitspolitik einzubinden.
Allerdings war Australien unter dem Premierminister aus der Arbeitspartei, Kevin Rudd, kurzzeitig aus dem Pakt ausgeschert. Spätestens unter Donald Trump entwickelte sich das Forum jedoch zu einer festeren Anti-China-Allianz.
Runder Geburtstag für die Hinwendung nach Asien
Dieser Hintergrund ist insofern bemerkenswert, da in wenigen Wochen der zehnte Jahrestag des sogenannten "Pivot to Asia" ansteht, der offiziellen außenpolitischen Hinwendung nach Asien, die Joe Biden noch als Vizepräsident in der Regierung Obama mitbegleitet hat.
Vor allem haben viele Mitglieder aus seinem aktuellen Team wie "Asien-Zar" Kurt Campbell diesen Schritt damals vorbereitet. Insofern lohnt es sich, die sich abzeichnende Doppelstruktur im Indopazifik, ein rein angelsächsisches Kernbündnis und eine zweite Zwiebelschale mit Japan und Indien, genauer im Auge zu behalten. Wenige Tage nach seiner offiziellen Verkündung lautete eine Einschätzung, dass Aukus nur auf Drängeln des britischen Premiers Boris Johnson zustande gekommen sei, der sich angesichts der Post-Brexit-Krise ein deutliches Zeichen für Großbritanniens imaginierte Größe wünschte.
Immerhin veröffentlicht seine Regierung hochtrabende Papiere über "Global Britain", während zuhause die Benzin-Versorgung zusammenbricht.
Andererseits stellt die offizielle Ausrufung des Paktes doch einen wesentlichen Schritt für die Geopolitik dar, gerade weil die australische Außenpolitik bisher ähnliche Vorsicht wie die EU gegenüber den amerikanischen Einkreisungsplänen gegen China walten ließ, wie James Curran auf der Seite des Council on Foreign Relations betont. "Aukus ist das Totengeläut für die strategische Ambiguität der australischen Außenpolitik", so Curran.
Dies geht natürlich auch auf erfolgreichen Druck aus der neuen US-Regierung zurück, die bei ihrer Strategie gegen China, anders als die Regierung Trump, wieder stärker auf Verbündete setzt. Immerhin hatte Joe Biden schon im Wahlkampf deutlich gemacht, dass man nicht ohne die Wirtschaftskraft der Verbündeten gegen China ankomme.
Der effektivste Weg, um China entgegenzutreten, sei der Aufbau einer "gemeinsamen Front von Verbündeten und Partnern der USA", denn immerhin stelle Amerika nur ein Viertel des weltweiten Bruttoinlandsproduktes:
Wenn wir uns mit anderen Demokratien zusammenschließen, wird unsere Stärke mehr als verdoppelt. China kann es sich nicht leisten, mehr als die Hälfte der Weltwirtschaft zu ignorieren. Das verschafft uns einen beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung der Spielregeln in allen Bereichen, von der Umwelt bis hin zu Arbeit, Handel, Technologie und Transparenz, so dass sie weiterhin demokratische Interessen und Werte widerspiegeln.
Joe Biden
Indem die USA das französische Staatsunternehmen Naval Group aus einem der größten Rüstungsverträge der jüngeren Zeit drängten, machte die Biden-Regierung nun allerdings klar, dass die Spielregeln sich nach Trump nicht geändert haben, Stichwort: Business über alles. Das Auftragsvolumen von 55,7 Milliarden Euro hat offensichtlich ausgereicht, um einen Nato-Partner ernsthaft zu düpieren.
US-Berater: Entscheidungsfindung der australischen Regierung
Dabei lohnt sich ein Blick in die Entscheidungsfindung der australischen Regierung, die seit der überraschenden Kündigung versucht, die Verantwortung zwischen Paris und London hin- und herzuschieben. Laut Reuters arbeitete bereits 2018 ein "unabhängiges Aufsichtsgremium" in Australien, das in Frage stellte, ob das Projekt "im nationalen Interesse liegt".
Geleitet wurde dieses Gremium des australischen Parlaments vom ehemaligen Leiter des Marineamtes, Donald Winter, wohlgemerkt des US-Marineamtes. Zuvor hatte Winter jahrelang in der Leitung des weltgrößten Rüstungsunternehmens Northrop Grumman gesessen. Im Januar 2021 richtete Premierminister Scott Morrison ein Gremium ein, das einen inneren Kreis seines Kabinetts über das weitere Vorgehen bei dem Programm beraten sollte.
Geleitet wurde es von dem ehemaligen Vizeadmiral William Hilarides - einem Vizeadmiral der US-Marine. Ob dieser Ausschuss der australischen Regierung geraten habe, den französischen Vertrag zu kündigen, wollte Hilarides, der zuvor den Bau von Schiffen und U-Booten für die US-Marine beaufsichtigt hatte, der Presse aber nicht verraten. Der Rat des Gremiums sei vertraulich.
Natürlich versuchen die Beteiligten, die britische, australische und amerikanische Regierung, ihr überraschendes Foul unter offiziell befreundeten Regierungen mit der Antriebsart der U-Boote zu erklären. Ein Atomantrieb sei viel schneller, besser und leiser.
Die französische Regierung wiederum behauptet, das Thema gegenüber Australien angesprochen zu haben. Französische Beamte sagten, dass Canberra nie angedeutet hat, dass es einen nuklearen Antrieb wünscht, selbst als Paris das Thema ansprach.
Ein Gerücht aus sicherheitspolitischen Kreisen besagt sogar, dass die Naval Group, die mit Suffren gerade Frankreichs erstes atomgetriebenes U-Boot in Dienst gestellt hat, den Australiern ausdrücklich auch einen Atomantrieb angeboten habe, dies sei allerdings von "den Amerikanern" unter Verweis auf die mögliche Verbreitung von Nuklearmaterial verhindert worden.
Tabubruch bei der nuklearen Nichtverbreitung
Tatsächlich ist die Frage des Nuklearantriebs nicht ganz so trivial, wie der stetige Hinweis nahelegen soll, dass es sich schließlich keinesfalls um nukleare Bewaffnung handle.
Der Schritt muss immerhin mit internationalen Einrichtungen für die Nichtverbreitung von Atommaterial, einschließlich der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), der Aufsichtsbehörde der Vereinten Nationen, abgestimmt werden, denn die Schiffe werden mit hochangereichertem Uranbrennstoff angetrieben, sprich mit waffenfähigem Uran.
Aus internationaler Perspektive liegt ein Präzedenzfall für Nichtverbreitung vor, weil Australien mit diesem Schritt in die Gruppe der Atomstaaten aufgenommen wird. Bisher hat das Land nicht einmal ein kommerzielles bzw. ziviles Atomprogramm, auf dem Kleinstkontinent befindet sich nur ein Forschungsreaktor.
In Foreign Policy erklärte James Acton, Experte für Nuklearpolitik bei der Carnegie-Stiftung, dass es ein "theoretisches Schlupfloch" im globalen Atomwaffensperrvertrag gebe, der den Eckpfeiler des internationalen Regimes für die Nichtverbreitung ausmacht.
Der Vertrag hindere Staaten ohne Atomwaffen nicht daran, sich Nukleartechnologie für U-Boote zu beschaffen, was damit außerhalb der IAEO-Verantwortung liege. Kein Nicht-Atomwaffenstaat habe dieses Schlupfloch bisher genutzt. Andere Länder könnten diesem Beispiel folgen.
"Ich mache mir keine Sorgen, dass Australien weiterverbreiten könnte. Ich mache mir Sorgen über den Präzedenzfall, der dadurch geschaffen wird", sagte Acton. "Jetzt wird es einen Nicht-Atomwaffenstaat geben, der möglicherweise über eine große Menge an direkt waffenfähigem Kernmaterial verfügt, das nicht überwacht wird."
Ähnlich sehen auch Politiker aus der Region die Initiative: Neuseeland erklärte umgehend, dass seine langjährige Politik der Atomfreiheit bedeutet, dass den neuen australischen U-Booten der Zugang zu neuseeländischen Gewässern verboten ist. "Neuseelands Position in Bezug auf das Verbot von Schiffen mit Nuklearantrieb in unseren Gewässern bleibt unverändert", sagte Premierministerin Jacinda Ardern.
Auf die Frage von Reportern, ob Neuseeland ein Platz in dem neuen Bündnis Aukus angeboten worden sei, meinte Ardern: "Wir sind nicht angesprochen worden und ich würde auch nicht erwarten, dass wir angesprochen werden." Politiker aus Indonesien warnten vor dem bereits stattfindenden Wettrüsten. Man sei "tief besorgt über das anhaltende Wettrüsten und die Machtprojektion in der Region", so das Außenministerium. Indonesien forderte Australien auf, sein "Engagement für Frieden und Stabilität in der Region aufrechtzuerhalten" und das Völkerrecht zu achten.
Joe Biden hingegen meinte, die USA müssten die Indopazifik-Region genau deshalb militärisch aufrüsten, um "Frieden und Stabilität in der Region" zu sichern. Seit dem Rückzug aus Afghanistan, den die USA maximal schlecht mit ihren EU-Verbündeten abgesprochen hatten, führt das Pentagon bevorzugt "übertriebene Einschätzungen der militärischen Herausforderungen durch China" an, um den Pentagon-Haushalt auf seinem historisch hohen Niveau zu halten, so die Einschätzung von Sicherheitsforscher William Hartung.
Und dies ist eine Analyse, die zehn Jahre nach der Ausrufung des "Pivot to Asia" empirisch Bestand hat. Wenn es um Bedrohungsszenarien geht, um einen weiter steigenden Rüstungshaushalt zu legitimieren, sind der Kreativität bekanntlich kaum Grenzen gesetzt.
Recht bekannt ist inzwischen die Wendung, dass der Geheimdienst NSA Huawei vorwirft, sie würden das Internet zu Spionagezwecken missbrauchen, oder dass die US-Regierung nach 20 Jahren Krieg in mehrheitlich muslimischen Ländern klagt, China würde muslimische Minderheiten ungerecht behandeln.
Die neueste Variante von "Haltet den Dieb" besteht darin, dass Joe Biden sich beschwert, China würde die USA mit Opiaten fluten.
Das hat nicht nur historischen Charme, sondern auch den Hintergrund, dass amerikanische Pharmakonzerne wie Johnson & Johnson, die jahrzehntelang die US-Bürger mit Fentanyl in die Abhängigkeit treiben durften, schon seit den 1980er-Jahren ihre Pharmazeutika in China herstellen lassen.