"G7 legalisiert das Recht auf Steuerhinterziehung"

Bild: Büro US-Präsident Joe Biden/gemeinfrei
Was ist von der "historischen" globalen Mindeststeuer für Unternehmen zu halten? Die Reaktion der Steuervermeider wie Amazon oder Facebook lässt aufhorchen
US-Präsident Joe Biden hatte große Worte für seinen Vorstoß einer weltweiten Mindeststeuer für Unternehmen gewählt. Zur Steuervermeidung von Amazon, Microsoft und Co erklärte er: "Ich werde dem ein Ende setzen." Unterstützt wurde er darin auch von der ehemaligen Chefin der US-Notenbank (FED) Janet Yellen. Die Finanzministerin hatte sich für den Vorschlag eingesetzt und mit 21 Prozent eine Hausnummer genannt, wie hier bereits berichtet: G20-Finanzminister wollen "globales Steuerdumping" beenden.
Dass Amazon trotz seiner Rekordgewinne in Europa 2020 nicht einen Cent Steuern bezahlt hat, war ebenfalls Thema an dieser Stelle. Kürzlich hatte der britische Guardian nachgelegt und berichtet, dass eine irische Tochtergesellschaft von Microsoft im vergangenen Jahr einen außergewöhnlichen Gewinn in Höhe von 315 Milliarden US-Dollar gemacht, aber keinen Euro an Körperschaftssteuer an Irland entrichtet hat. Denn für Steuerzwecke sei die Tochter auf den Bermudas "ansässig".
Man muss sich die Ausmaße dieser Gewinne vor Augen führen, welche Summen hier dem Fiskus entgehen, die zum Beispiel im Gesundheits-, Schul- und Sozialwesen dringend benötigt werden. Es sei darauf verwiesen, dass dieser Gewinn - nicht Umsatz - fast drei Viertel der gesamten irischen Wirtschaftsleistung ausgemacht hat.
Angeblich soll dieser legale Steuerbetrug, der auch den Wettbewerb deutlich zulasten kleinerer Unternehmen verzerrt, nun beendet werden. Die Finanzminister der sieben führenden Industrieländer (G7) hatten sich kürzlich auf ein Grundgerüst für eine Mindeststeuer geeinigt. Das sieht allerdings einen anderen geringeren Anteil als den von Yellen genannten vor: Großkonzerne sollen eine Körperschaftssteuer von mindestens 15 Prozent entrichten.
Lobgesang allüberall
Obwohl schon in der Höhe deutlich abgespeckt worden ist, wurde nicht mit großen Worten gespart. "Historisch" nannte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Entscheidung: "Der Beschluss zur internationalen Steuergerechtigkeit der G7 ist historisch", twitterte er, lobend und preisend, dass sich die G7-Finanzminister "hinter das Konzept einer Mindestbesteuerung" gestellt hätten.
Im Deutschlandfunk wurde diese Lesart dann auch brav übernommen. In seinem Kommentar meint Theo Geers, der Finanzminister könne mit dem "historischen Ergebnis" auch als Kanzlerkandidat "glänzen". Damit könne er sich im Wahlkampf als "Macher" darstellen, "der weiß, wie es auf internationalen Parkett zugeht und der dabei auch noch Erfolg hat".
Allein stand Scholz mit seiner Einordnung auch nicht im Kreis seiner Kollegen. Der britische Finanzminister Rishi Sunak sprach von einem "historischen Übereinkommen". Er meinte, das globale Steuersystem, das zu großen Teilen noch aus den 1920-er Jahren stamme, müsse dringend fit gemacht werden für das digitale Zeitalter. Eine Digitalsteuer, die es in einigen Ländern schon gibt, die auch die EU zur Finanzierung des sogenannten Corona-Wiederaufbaufonds einführen will, sei nun nach dessen Ansicht allerdings nicht mehr nötig.
Yellen dagegen, die zuvor von den 21 Prozent zurückgerudert ist, sprach von einer "bedeutenden, beispiellosen Verpflichtung" der G7-Staaten. Das sei ein "enormer Impuls in Richtung einer robusten globalen Mindeststeuer". Nun würde der Wettlauf nach unten bei der Unternehmensbesteuerung beendet und Fairness für die Mittelschicht und die arbeitenden Menschen in den USA und auf der ganzen Welt sichergestellt, meint sie.
Beim G7-Gipfel im unter britischem Vorsitz wurde am vergangenen Wochenende in Cornwall der Vorstoß auch wie erwartet abgesegnet. Die Staats- und Regierungschefs stellten sich in ihrem Kommuniqué hinter den Beschluss ihrer Finanzminister.
Es fallen auch dabei die nebulösen Formulierungen auf. Man wolle sich für ein "faireres globales Steuersystem einsetzen, das den Wettlauf nach unten umkehrt". Viel mehr ist zu diesem so wichtigen Thema auch nicht zu vernehmen, nicht einmal der geplante Steuersatz von 15 Prozent wird genannt, was Luft nach unten signalisiert.
China
Die Initiative soll nun innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorangetrieben werden, wo sich allerdings schon erste Widersprüche auftun. Die OECD drängt zum Beispiel seit Langem auch auf ein multilaterales Abkommen für eine Digitalsteuer. Das wollen die Briten offensichtlich nun beerdigen. Ins Boot geholt werden sollen bis Juli über die G20-Staaten aber noch die wichtigsten Schwellenländer.
China hatte zum Beispiel schon seine grundsätzliche Zustimmung signalisiert.
Gerade mit Blick auf weitere Staaten wird der abgespeckte Steuersatz von nur noch 15 Prozent als Kompromiss von den Finanzministern angeführt, denn damit bestehe die Hoffnung, dass der Widerstand geringer ausfällt und das Vorhaben nicht zum Kippen gebracht werde. Allerdings ist angesichts des ohnehin wenig ambitionierten Ziels, das sich am Niedrigsteuersatz von 12,5 Prozent in Irland orientiert, zu erwarten, dass dabei noch weiter verwässert wird.
Zweifel
Spätestens wenn man die Stellungnahmen derer zu den Beschlüssen liest, die doch eigentlich über diese Steuer tief in die Tasche greifen sollen, kommen doch starke Zweifel auf, was die Wirksamkeit der Maßnahmen angeht, die geplant werden. Der Facebook-Manager Nick Clegg twitterte, sein Unternehmen begrüße die "wichtigen Fortschritte" als "ersten Schritt". Facebook habe sich "seit Langem für eine Reform globaler Steuerregeln" eingesetzt.
So recht glauben wollten diese Version auch seine Leser nicht. "Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, dass Facebook diese Reformen gefordert hat?", wird schon im ersten Kommentar nachgefragt. Dass auch der Online-Versandriese Amazon sich fast wortgleich positiv äußerte, lässt ebenso aufhorchen. Die Einigung sei "ein willkommener Schritt", der dazu beitrage, das internationale Steuersystem zu stabilisieren", zitiert das US-Nachrichtenportal Businessinsider aus einer Amazon-Stellungname.
Sind nun etwa die darüber erfreut, endlich Milliarden an Steuern abführen zu müssen? Hätte Microsoft seinen Gewinn aus dem vergangenen Jahr nach dem irischen Dumping-Steuersatz von 12,5 Prozent versteuert, wären etwa 35 Milliarden Dollar in die irischen Kassen geflossen. Doch auch dieser Steuersatz wurde noch trickreich umgangen.
Ist es nicht vielleicht eher so, dass man bei Amazon, Facebook und Co längst davon ausgeht, dass sich schlimmstenfalls nur sehr wenig ändern wird? Hofft man, dass die ohnehin schon jetzt nebulösen Vorhaben auf dem Weg durch die OECD und G20 noch weiter verwässert werden?
Der Teufel der großspurigen Ankündigungen steckt natürlich wie immer im Detail. Nach den Plänen der G7 sollen ohnehin nur Konzerne mit einer Gewinnmarge von mehr als zehn Prozent künftig auch dort steuerpflichtig werden, wo sie ihre Umsätze machen. Da kann viel schöngerechnet werden, meinen Experten.
Die Messlatte - und Thomas Pikettys Kritik
Die über diese Marge hinausgehenden Gewinne sollen auch nur zu 20 Prozent in den jeweiligen Ländern versteuert werden. Das sind bekannte deutliche Einschränkungen. Der Guardian hat berichtet, dass Amazon die geplanten Maßnahmen allein schon deshalb umgehen könnte, da seine Gewinnmargen unter der Schwelle von zehn Prozent liegen sollen.
Julio López Laborda, Professor für angewandte Ökonomie der spanischen Universität Saragossa geht davon aus, dass die "Messlatte so niedrig angesetzt ist, dass jedes Unternehmen in der Lage ist, sie zu überspringen". Es kommt letztlich aber auf das Kleingedruckte an, wie die Maßnahmen weiter ausformuliert werden. Üblicherweise mündet dies in Kompromissen, die das eigentliche Ansinnen weiter verwässern oder sogar ins Gegenteil verdrehen können.
Der Linken-Finanzexperte Fabio de Masi hält gegenüber dem Tagesspiegel die G7-Einigung für einen wichtigen Schritt:
"Entscheidend wird jedoch nicht sein, was der Ankündigungsminister Olaf Scholz verkündet, sondern was er durchsetzt."
Es sei aber noch keinesfalls sicher, dass die Einigung auch bei den G20 Bestand hat, unsicher sei auch, wie die Besteuerungsrechte gegenüber US-Konzernen wie Amazon oder Google aufgeteilt werden. De Masi hält die 15 Prozent ebenfalls für zu niedrig.
"Es wäre gerade nach der Corona-Krise und Jahrzehnten der Steuergeschenke für Konzerne angemessen gewesen, auf einen höheren Mindeststeuersatz zu orientieren."
Nivellierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner?
Aber Löcher, Fallstricke und Hindernisse gibt es noch viele. Diese Hindernisse werden vom "Ankündigungsminister" und seinen Kollegen aber geflissentlich verschwiegen. Denn nicht einmal in Europa ist klar, ob alle dem bisherigen Deal zustimmen. Die Steuerdumper in den Niederlanden, Luxemburg oder Irland melden "erhebliche Bedenken" an. Ob sich die Autokraten in der Türkei oder Brasilien unter den G20-Ländern Bedingungen von den G7-Industrieländern vorschreiben lassen werden, ist zweifelhaft.
Würden die 15 Prozent wie geplant kommen, müssten europäische Steueroasen wie Irland oder Luxemburg ihre Steuersätze allerdings nur wenig erhöhen. Die Differenz zu Körperschaftssteuersätzen in anderen Ländern (Deutschland etwa 30 Prozent) bliebe aber fast unverändert bestehen. Deren Mehreinnahmen erhöhen sich kaum und, anders als behauptet, bleibt der Steuerwettbewerb erhalten und wird nicht bekämpft, obwohl unklar ist, ob Amazon und Co wirklich endlich zur Kasse gebeten werden.
Man darf sogar befürchten, dass sich eine Nivellierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einstellt, wenn der Mindeststeuersatz zum Standard wird und zum Beispiel auch Deutschland weiter unter Druck gerät, seine Steuern nach unten anzupassen.
Globale Fairness?
Entwicklungshilfeorganisationen wie Oxfam International kritisieren das Vorhaben aus dem Blickwinkel der Länder im globalen Süden. Auch die britische Organisation befürchtet, dass das gesamte Steuerniveau weltweit eher weiter abgesenkt als erhöht werde. Der G7-Deal sei "alles andere als fair". Es sei "absurd", dass man eine weltweite Mindeststeuer aufsetzen wolle, "die den niedrigen Steuersätzen in Steueroasen wie Irland, der Schweiz oder Singapur ähnlich ist", erklärt die Oxfam-Geschäftsführerin Gabriela Bucher.
Einige der mächtigsten Volkswirtschaften der Welt sollten die multinationalen Konzerne, darunter Tech- und Pharmariesen, endlich dazu zwingen, ihren fairen Anteil an Steuern zu zahlen. 15 Prozent würden wenig dazu beitragen, "den schädlichen Wettlauf nach unten bei der Unternehmenssteuer zu beenden und die weitverbreitete Nutzung von Steueroasen einzudämmen."
"Schamlos"
Das "International Tax Justice Network", das sich für Steuergerechtigkeit einsetzt, hält die Pläne sogar für "schamlos". Deren Geschäftsführer Alex Cobham erklärte, dass nun zwar beschlossen worden sei, das internationale Steuersystem endlich ins 21. Jahrhundert zu bringen. Doch nur die G7-Länder würden "schamlos selbst davon profitieren und den Rest der Welt zurücklassen".
Man sorge nicht dafür, angesichts einer globalen Pandemie ein neues Steuersystem zu schaffen, das allen Ländern die Milliarden an Unternehmenssteuern zurückbringen würde, derer sie beraubt wurden. Die würden dringend für die Erholung gebraucht. Doch sichergestellt werde nur, dass die G7-Staaten selbst den Löwenanteil erhalten.
Jeder Steuersatz unter 25 Prozent bedeute, den Wettlauf nach unten am Leben zu erhalten. Die angesetzten Modelle der Organisation zeigten, dass ein effektiver Mindeststeuersatz von 25 Prozent Einnahmen von 780 Milliarden Dollar in die Steuerkassen spülen würden. Drei Viertel der Gewinne der multinationalen Unternehmen blieben damit allerdings weiter unangetastet.
Scharfe Kritik von Thomas Piketty
Einer der schärfsten Kritiker des Vorhabens ist der der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty. Seinen Blogbeitrag in dieser Woche in der großen Tageszeitung Le Monde betitelte er aussagekräftig: "G7 legalisiert das Recht auf Steuerhinterziehung." Der renommierte Ökonom ist bekannt für klare Worte. Belasse man den Steuersatz bei 15 Prozent, "ist das nicht mehr und nicht weniger als die Formalisierung einer echten Lizenz zum Betrug für die mächtigsten Akteure".
Er verweist darauf, dass es für kleine und mittlere Unternehmen sowie für die normalen Beschäftigten unmöglich sei, irgendwo in einer Steueroase eine Tochtergesellschaft zu gründen, um ihre Gewinne oder Einkünfte dort zu versteuern. Für sie bleibe keine andere Wahl: Abhängig Beschäftigte oder kleine und mittlere Unternehmen zahlten Steuersätze in allen G7-Ländern, die weit über 15 % liegen: mindestens 20-30 Prozent und oft 40-50 Prozent oder sogar mehr.
Durch die Legalisierung der Tatsache, dass multinationale Konzerne ihre Gewinne weiterhin nach Belieben in Steuerparadiese verlagern können, mit einem Steuersatz von 15 Prozent als einzige Steuer, formalisiert die G7 den Eintritt in eine Welt, in der Oligarchen strukturell weniger Steuern zahlen als der Rest der Bevölkerung.
Thomas Piketty
Um diese Situation zu durchbrechen, appelliert er an souveräne Entscheidungen der Nationalstaaten, die höheren Steuersätze festlegen könnten. Im Fall Frankreichs würden mit dem Mindestsatz von 25 Prozent 26 Milliarden Euro pro Jahr in die leeren Kassen gespült, bei 15 Prozent wären es dagegen nur vier Milliarden.
Die zusätzlichen Einnahmen sollten zur "besseren Finanzierung der Krankenhäuser, Schulen und der Energiewende" verwendet werden und zur "steuerlichen Entlastung von Selbstständigen und weniger wohlhabenden Beschäftigten". In dieser Frage eine europäische Einstimmigkeit zu erwarten sei illusorisch.
"Nur unilaterale Maßnahmen, idealerweise mit der Unterstützung einiger weniger Länder, können die Situation entschärfen."
Zudem dürfe die Körperschaftssteuer nicht die letzte Steuer für Aktionäre oder Manager von Unternehmen sein. Sie müsse wieder in ein Steuersystem mit progressiver Einkommensteuer auf individueller Ebene eingebettet werden. Er fordert die Veröffentlichung detaillierter Informationen, aus denen hervorgeht, welche Steuern von Personen gezahlt werden, die zu sehr hohen Einkommens- und Vermögensgruppen gehören.
Piketty zitiert eine proPublica-Studie, die zeige, dass die Reichsten angesichts ihrer Möglichkeiten zur Manipulation kaum Steuern zahlen. Er fordert auch eine progressive Vermögenssteuer, die es ermöglichen würde, sie signifikant und im Verhältnis zu ihrem Vermögen zu besteuern.
Notwendig sei es auch, die Diskussion endlich für die Länder des Südens zu öffnen. Der von der G7 vorgeschlagene Mechanismus sei nicht für eine effektive Verteilung von Steuereinnahmen geeignet. Es gehe dabei nur um "winzige Summen".
Die Einnahmeverteilung werde sich im Wesentlichen auf eine Umverteilung zwischen den Ländern des Nordens reduzieren. Wenn die dem Süden aber eine Chance geben wollen, "sich zu entwickeln und lebensfähige Staaten aufzubauen, ist es dringend notwendig, dass die armen Länder einen bedeutenden Anteil an den Einnahmen der multinationalen Konzerne und Milliardäre des Planeten erhalten", schließt Piketty seinen Beitrag.