Juristen halten Maas' Gesetz gegen "Fake News und Hate Speech" für verfassungs- und europarechtswidrig

Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD. Foto: Metropolico.org. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Grüner Künast geht der Entwurf nicht weit genug

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Gestern stellte Bundesjustizminister Heiko Maas seine Gesetzenwurf gegen "Fake News und Hate Speech" vor, das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) (vgl. Fake News und Hasskommentare: Maas droht Facebook & Co. mit Geldstrafen). Es gilt seinem § 1 Absatz 1 Satz 1 nach "für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen".

Da diesem Wortlaut nach keine Veröffentlichung nötig ist, sondern bereits der Austausch zwischen zwei Nutzern reicht, müssen nicht nur Facebook und Twitter, sondern auch E-Mail-Anbieter wie GMX, Videochat-Anbieter wie Skype, Messengerdienste wie WhatsApp und Filehoster wie Dropbox fürchten, danach belangt zu werden - allerdings nur dann, wenn sie mehr als zwei Millionen angemeldete Nutzer mit deutscher IP-Adresse haben, wie beispielsweise die Karrierenetzwerke Xing und LinkedIn oder die Datingportale Parship, Elitepartner, eDarling und LoveScout24.

Lieber zu viel als zu wenig

Solche Dienste werden verpflichtet, eine Kontaktstelle einzurichten, die ihren Sitz in Deutschland haben und den Zugang zu "offensichtlich rechtswidrigen Inhalten" binnen 24 Stunden sperren muss, wenn diese nicht innerhalb dieser Frist gelöscht werden. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte gilt eine Frist von sieben Tagen ab Beschwerdeeingang.

Schafft ein Anbieter das nicht, droht ihm ein Bußgeld in Höhe von 50 Millionen Euro. Die Digitale Gesellschaft geht davon aus, dass diese Höhe "zu einer höchst proaktiven Löschpraxis der Anbieter führen [dürfte], die im Zweifel stets zu Lasten der Meinungsfreiheit gehen wird". Das ist unter anderem deshalb problematisch, weil Gruppen dadurch gezielt "missbräuchliche Beschwerden" nutzen können, "um missliebige Inhalte zu unterdrücken". "Aus den USA sind solche Fälle" Netzpolitik.org zufolge "im Zusammenhang mit der Black-Lives-Matter-Bewegung bekannt".

Ähnlich schätzt Dr. Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbandes Bitkom die Auswirkungen ein: Die "vielen Unbestimmtheiten des Gesetzesvorschlags", "unrealistisch kurze Fristen" und die "hohen Bußgelder" werden seinen Worten nach "dazu führen, dass Plattformbetreiber Inhalte im Zweifelsfall eher löschen werden". Diese "Löschorgie" werde "auch viele nicht rechtswidrige Inhalte betreffen". Hinsichtlich der Schwierigkeiten, mit Vorwürfen wie "Beleidigung" und "Verleumdung" umzugehen, erinnert Rohleder an die langen Auseinandersetzungen um Jan Böhmermanns "Schmähgedicht". "Wie", so der Verbandsvertreter, "sollen private Unternehmen innerhalb kurzer Zeit Entscheidungen treffen, die selbst Gerichten nach langwieriger und sehr sorgfältiger Prüfung nur mit Mühe gelingen und die trotzdem umstritten bleiben?"

Anbieter müssten Speicherung verhindern, aber dauerhaft Speichern

Außerdem fordert der Gesetzentwurf in § 3 Absatz 2 Nummer 6 und 7, dass ein Anbieter "sämtliche auf den Plattformen befindlichen Kopien des rechtswidrigen Inhalts ebenfalls unverzüglich entfernt oder sperrt und wirksame Maßnahmen gegen die erneute Speicherung des rechtswidrigen Inhalts trifft". Außerhalb der Plattform muss der Anbieter die entfernten Inhalte nach § 3 Absatz 2 Nummer 4 allerdings "zu Beweiszwecken [ohne Fristangabe - also dauerhaft] im Inland speicher[n]". Historiker, die einmal die Zensurgeschichte des frühen 21. Jahrhunderts aufarbeiten wollen, wird das freuen - Datenschützer weniger.

Die offensichtliche und nicht offensichtliche Rechtswidrigkeit bezieht sich nach § 1 Absatz 3 auf Vorschriften, die das Gesetz in einem Katalog aufführt: § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen), § 86a StgB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten), § 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole), § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), § 126 StGB (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten), § 130 StGB (Volksverhetzung), § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten), § 166 StGB (Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen), § 185 StGB (Beleidigung), § 186 StGB (Üble Nachrede), § 187 StGB (Verleumdung), § 241 StGB (Bedrohung) und § 269 StGB (Fälschung beweiserheblicher Daten).

Für den Berliner Juraprofessor Niko Härting‏ ist dieser Katalog "kunterbunt und kaum nachvollziehbar". "Warum", so fragt er, "soll eine 'Fälschung beweiserheblicher Daten' zu einer Löschpflicht führen, nicht jedoch eine 'Verletzung von Privatgeheimnissen' (§ 303 StGB)?" Und "warum sollen Beiträge gelöscht werden, die eine 'Bedrohung' enthalten, nicht jedoch pornographische Inhalte, die Minderjährigen zugänglich sind (§ 184d StGB)?" "Pornoanwalt" Marco Dörre verweist zu Letzterem auf eine Stelle in der Begründung des Gesetzes, in der es heißt, man habe "insbesondere die Pornografie […] nicht aufgeführt, da diese Straftaten im Internet bereits effektiv verfolgt werden."