Mindestens 717 Totgetrampelte beim diesjährigen Haddsch

Die starren Regeln der islamischen Wallfahrt begünstigen Katastrophen

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Bei der diesjährigen Haddsch-Wallfahrt in Mekka wurden gestern nach Behördenangaben mindestens 717 Pilger beim Ritual "Steinigung des Teufels" zertrampelt. Die Zahl der Verletzten liegt nach aktuellem Stand bei 863. Wenigstens 90 Tote stammen aus dem Iran, viele weitere sollen aus dem afrikanischen Staat Niger kommen. Bereits vor zwei Wochen waren in Mekka 109 Menschen ums Leben gekommen, als ein Kran in die Große Moschee kippte.

Die gestrige Katastrophe ist nicht das erste Unglück dieser Art: Vor neun Jahren gab es beim Haddsch 364 Tote, vor elf Jahren 251, vor siebzehn Jahren 118, vor achtzehn Jahren 343, vor 21 Jahren 370 und vor 25 Jahren sogar 1426. Damit fällt das Großereignis mit jährlich zwei bis drei Millionen Besuchern gegenüber vergleichbaren Events auf. Zum Münchner Oktoberfest kommen beispielsweise jedes Jahr gut sechs Millionen Besucher (die häufig betrunken und entsprechend schwer kontrollierbar sind) - aber eine Katastrophe gab es zuletzt vor 35 Jahren, als ein Terrorist eine Bombe zündete (vgl. Geheimdienstakten zum Oktoberfestattentat bleiben geheim).

Dass die Haddsch-Wallfahrt im Vergleich zu anderen Großveranstaltungen so gefährlich ist, liegt auch daran, dass die Regeln dafür im Mittelalter entstanden, als höchstens 40.000 Besucher nach Mekka kamen. Die Wahabiten, die in Saudi-Arabien herrschen, haben diese Regeln wegen ihrer religiösen Grundsätze nur sehr bedingt angepasst: So kann der Haddsch (der je nach Glaubensinterpretation mehr oder weniger eine Glaubenspflicht ist) auch heute ausschließlich während vier bestimmter Tage im Jahr absolviert werden. Der für Katastrophen anfälligste dieser Tage ist der Opferfesttag Eid al-Adha, der auch an diesem Donnerstag gefeiert wurde.

Die zeitliche Enge führt in Kombination mit festen Ritualen an festen Orten und auf festen Wegen dazu, dass es immer wieder zu Staus und Panikausbrüchen kommt - auch deshalb, weil viele Pilger keine Temperaturen über 40 Grad Celsius gewohnt sind und dehydriert umfallen.

Dem saudischen Gesundheitsminister Khaled al-Faleh nach kam es gestern zum Unglück, weil Pilger auf den Wegen 204 und 233 sich nicht an Zeitpläne hielten und Anweisungen ignorierten. In iranischen und libanesischen Medien wird der Hergang dagegen ganz anders geschildert: Danach soll ein Saudi-Prinz mit seiner Entourage und einer Eskorte aus etwa 200 Soldaten und etwa 150 Polizisten das Chaos ausgelöst haben.

Saudische Behörden bestreiten diese Version. Aber auch in Medien aus arabischen Ländern, die ein eher gutes Verhältnis zu den Saudis pflegen, kommen die Sicherheitsbehörden nicht gut weg: Sie kritisieren unter anderem den sehr bedingen Nutzen der für umgerechnet 893 Millionen Euro errichteten fünfstöckigen parkhausartigen Dschamarat-Brücke (die eigentlich die Sicherheit verbessern sollte und in deren Umgebung das Unglück geschah), und saudische Sicherheitskräfte, die vorwiegend faul herumgestanden seien und keinerlei Fremdsprachen beherrscht haben sollen. Ein regelmäßiger Besucher aus dem Sudan wird mit den Worten zitiert, der Haddsch sei heute noch schlechter organisiert als früher.