Nach Brexit: Von der Leyen für mehr militärische EU-Zusammenarbeit

Eurofighter Typhoon. Bild: Krasimir Grozev/CC BY-SA 3.0

"Wir haben lange Rücksicht nehmen müssen auf Großbritannien". Die Verteidigungsministerin und die neue Führungsrolle Deutschlands

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die deutsche Verteidigungsministerin präsentierte gestern das Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr. Dabei blinkte einiges auf, was in der Formel, Deutschland müsse militärisch mehr Verantwortung übernehmen, steckt. Der Führungsanspruch wurde deutlich.

Die Rolle Deutschlands habe sich verändert. In einer Welt, die von einer "Dichte und Parallelität der Krisen" gekennzeichnet sei, würden andere Erwartungen an Deutschland gestellt, erklärte sie auf der Pressekonferenz. Als Leitmotiv zückte sie öfter den Satz "Wir sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und zu führen".

Dafür gibt es nun einen Begriff: den "Münchner Konsens". Gemeint sind damit die Vorstöße in diese Richtung, die Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und sie selbst vor zweieinhalb Jahren auf der Münchener Sicherheitskonferenz gemacht haben.

Deutschland sei prinzipiell auf Bündnisse angewiesen, lautet ein Basissatz, von dem ausgehend die neue Positionierung erfolgt. Auffallend ist, dass es künftig nicht mehr nur um mehr Verantwortungsübernahme geht, sondern dass sich Deutschland nun auch offen zu einer Führungsrolle bekennt. Man wolle sich nicht größer darstellen als man ist, aber auch nicht kleiner, sagte von der Leyen. Ein Bündnis sei mit Gewinn fürs Ganze verbunden. Mit einem größeren Gewinn, könnte man ergänzen.

Fernziel: die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion

Deutlich wurde der Impetus zu Größerem, der in moderat vorgetragene Ausführungen eingekleidet wird, bei von der Leyens Bemerkungen zum Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Die Verteidigungsministerin ist nicht unglücklich über den Brexit.

Nach ihren Darlegungen wird mit dem Brexit eine Bremse gelöst für das Erreichen des Fernziels der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. In diesem Bündnis soll der Anspruch auf eine deutsche Führungsrolle zur Geltung kommen. "Wir haben lange Rücksicht nehmen müssen auf Großbritannien, weil Großbritannien konsequent diese Themen nicht wollte", bemerkte die Verteidigungsministerin zum Brexit. Der Lissabon-Vertrag biete genug Möglichkeiten (vgl. EU: "Eine schlagkräftige europäische Verteidigungsindustrie schaffen"), Großbritannien habe hier abgeblockt. Jetzt könne man diese Themen vorantreiben.

Getragen nach Auffassung von der Leyens von der Unterstützung der Bevölkerung. Ihrer Ansicht nach ist die EU für große Fragen zuständig. Die Frustration der Bürger über die EU erklärt sie sich damit, dass man bei den großen Fragen nicht weiterkomme. Dazu gehöre die Sicherheitspolitik. Von der Leyen ist sicher, dass es eine mehrheitliche Zustimmung in der Bevölkerung für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik gibt.

Die Initiative zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion soll von Deutschland und Frankreich kommen, ihr sollen sich dann andere Länder anschließen. Die Zusammenarbeit solle strukturiert sein, verlässlich konsequent, auf Dauer ausgerichtet, beschwört von der Leyen die deutschen Maßgaben. Als praktische Stationen nennt sie einmal die Einrichtung eines "zivil-militärischen Hauptquartiers", zum andere die Einrichtung eines europäisch verlegbaren Krankenhauses. Darauf folgend Rüstungsprojekte wie die Beschaffung gemeinsamer Tankflugzeuge oder die Euro-Drohne.

Das verlegbare Lazarett ist eine Antwort auf die Bedrohung durch Epidemien. Ersichtlich wird eine auffällige Mischung von Zivilem und Militärischem, typisch für die neue "facettenreiche" Konzeption der deutschen Armee. Die Grenzen zwischen militärischen und zivilen Einsätzen sind fließend. Die Bundeswehr ist mittendrin "vernetzt", wie ein häufig vorkommendes Schlagwort heißt. Es geht um "strukturierte Prozesse", so ein anderes Schlagwort.

Dabei wird das Militärische mehr ins Zentrum gehoben. So soll der europäische Verteidigungsministerrat, bisher eher eine Randveranstaltung, eine andere Bedeutung bekommen. Er soll "regelmäßig und ordentlich tagen", so von der Leyen. Die deutsche Handschrift mit dem Akzent auf Verlässlichkeit, ordentliche Struktur und Erfüllung von Pflichten, ist gut erkennbar. Von der Leyen hat, was die Betonung solcher Tugenden anbelangt, Gemeinsamkeiten mit Finanzminister Schäuble, der EU-Mitglieder häufig zu ihren Verpflichtungen aufruft.

Die nächste große Etappe auf dem Weg zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion ist die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit anderen Streitkräften, über das deutsch-französische Exempel hinaus. Am Weg zu diesem Ziel wird sich zeigen, ob nicht nur Großbritannien ein "Verlangsamer" war. Auch in anderen Ländern wie zum Beispiel in Frankreich dürfte es Misstrauen gegen deutsche Dominanzbestrebungen in einem europäischen Militärbündnis geben - weniger bei der Regierung Hollande, wahrscheinlich deutlicher in der der nächsten Regierung.