Schulen ziehen die Notbremse

Smartphones sind im Schulalltag allgegenwärtig. Viele Schulen haben damit zu kämpfen. Kann man das Problem nur noch radikal lösen?
Mobile Technik ist in den Händen von Kindern und Jugendlichen omnipräsent und selbstverständlich tragen sie die auch in der Schule offen oder in der Hosentasche empfangsbereit durch Flure und Klassenräume. Wie zu Hause eben.
Beschränkende Regelungen jeglicher Art halten Kids und Teens für überflüssig und nervig und die sich dran halten, werden schnell als Schleimer oder Streber verlacht. Die Coolen stellen sich Versuchen, Verbote geltend zu machen, mit der Frage in den Weg, was denn so schlimm daran sei, wenn sie mit ihrem Smartphone durch den Schultag surfen.
Rasant nimmt allein die Beschallung durch alle möglichen Musikformate unter dem Druck von sich immer neu entwickelnden Möglichkeiten (z. B. In-Ear-Kopfhörer) hochfrequent zu. Wie sich ein Gehirn noch aufs Lernen programmieren soll, wenn es in zahllosen unterrichtsfreien Minuten auf den Empfang lauter Töne getrimmt wird, fragt sich der algorithmisch getaktete Nachwuchs nicht.
Spiele und soziale Medien
Dazu kommen unzählige Videospiele und natürlich die sozialen Medien, also affektgesteuerte Kurzmitteilungen im Minutentakt, abgefasst in jener Kryptografie, die vom Standardsprachgebrauch abweicht wie Netflix-Serien von der Realität.
Der Schüleralltag in Deutschland wird zunehmend geprägt von einer Klientel, die in Frei- und Mittagsstunden, und wenn unbeobachtet auch während des Unterrichts, unbekümmert daran arbeitet, ihre Konzentration und Lernfähigkeit zu strapazieren.
Eigenverantwortliche Regeln sind nicht zu kontrollieren
So sieht's medientechnisch aus in deutschen Schulen und weil Lehrende das immer häufiger nicht mehr mit anschauen wollen (können), sehen sie – wenn auch mit schlechtem Gewissen – darüber hinweg und retten sich ins Lehrerzimmer, um sich selbst mal kurz am Smartphone zu erholen … Wer sollte es ihnen nachsehen?
Die Regeln, die sich Lehranstalten unter dem Motto "eigenverantwortliche Schule" in zäher Konferenzarbeit selbst auferlegen, taugen für den Unterrichtsalltag nicht, weil sie – mit Rücksicht auf Schülerwillen und klagefreudige Eltern – zu viele Sonderbestimmungen und Relativierungen enthalten, was insgesamt nicht zu kontrollieren ist, wie Schulleiter Manfred Gehrke von der Theodor-Haubach-Schule in Berlin tagtäglich erfährt und daher das "beliebige Herumprobieren in jeder Schule" für falsch hält. Dies führt dazu, dass viele Lehrkräfte von Sanktionen absehen!
Lehrende wünschen sich einheitliche Regelungen von den Ministerien
Kein Wunder, dass sich Antoneta Berisha, Leiterin des Berliner John-Lennon-Gymnasiums, eine einheitliche Regelung für alle Schulen wünscht. Kollege Manfred Gehrke zögert keine Sekunde, ihr beizupflichten: "Aus meiner persönlichen Auffassung heraus ein klares Ja." Er würde sich ebenfalls ein generelles Handyverbot an Berliner Schulen wünschen.
Kehrtwendungen in europäischen Nachbarländern
Wie an der Theodor-Haubach-Schule oder dem John-Lennon-Gymnasium laufen die leidigen Diskussionen ums Handy schon sehr lange. Aufhorchen lassen insbesondere die Kehrwendungen der skandinavischen Länder, die viele Jahre als Vorbild für einen offenen Ansatz hinsichtlich der Integration von Handys und anderen digitalen Endgeräten galten. Seit letztem Jahr hört man dort andere Stimmen, die zusammengefasst auf diesen Nenner zu bringen wären: Wir haben es übertrieben!
Mattias Tesfaye, dänischer Minister für Kinder und Bildung, räumt ein, die Schulen hätten sich den großen Tech-Konzernen zu lange unterworfen, man sei als Gesellschaft zu "verliebt" gewesen in die Wunder der Digitalwelt, mit unabsehbaren Folgen für Konzentration, Lernfähigkeit und soziale Kompetenzen des ihnen anvertrauten Nachwuchses.
Konsequent werden die digitalen Uhren zurückgedreht, jetzt soll gesetzlich verboten werden, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Handys überhaupt in die Schule mitbringen.
Ebenso wie Dänemark rudert man in Schweden zurück und wenn man auf die europäischen Nachbarn um uns herumschaut, setzen immer mehr Länder auf den Trend, zur Verbesserung der Bildungsergebnisse wieder auf traditionellere, analogere Lehrmethoden zurückzugreifen.
Medienkompetenz muss kontrolliert erarbeitet werden
Medienkompetenz stellt sich nicht automatisch her, indem man das digitale Zauberding mit sich herumträgt und jederzeit ungefilterten Zugang zu allen Formaten offen sind. Der produktive Umgang damit muss erworben werden, und damit Themen wie Internetrecherche, Einführung in gängige Anwendungssoftware, kreative Tools und natürlich Gefahren, wie Cybermobbing,
Malware sowie ein Verhaltenskodex für soziale Medien etc. eingeübt werden können, braucht es kontrollierte Lernmodule, dosiert auf ein festes Kontingent an Unterrichtsstunden in der Woche.
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Generation Smartphone: Wischen können sie, lernen nicht
Die hessische Gymnasiallehrerin Emily Horbach, weiß aus Erfahrung, welche Fallen sich in der Unterrichtspraxis ergeben, wenn man neue Technologien auf eine gewinnbringende Art und Weise in den Unterricht integrieren möchte.
Deshalb plädiert sie wie immer mehr Lehrkräfte landauf landab dafür, den Lehrern:innen die Kontrolle über den Einsatz digitaler Technik zu belassen, um Schülern:innen in angewandten Methoden praktisch zu veranschaulichen, wie sie ihr Smartphone, Tablet oder Notebook sinnvoll und zielführend gebrauchen können.
Gestützt werden ihre Einschätzungen von einer aktuellen Studie, aus der sich ergibt1, "dass rund 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler der achten Jahrgangsstufe kaum über digitale Kompetenzen verfügen. Sie können demnach nicht gezielt nach Informationen suchen oder deren Seriosität einschätzen. Für eine sinnvolle Smartphone-Nutzung bräuchten sie Schulung und Anleitung".
Hessen als Vorreiter
Auf dem Weg zur besseren Kontrolle des Gebrauchs digitaler Technik will Hessen nun vorangehen. Auf der Kultusministerkonferenz der Länder im Dezember letzten Jahres überraschte Hessens Kultusminister Armin Schwarz seine Länderkollegen mit dem Vorschlag für ein bundesweit einheitliches Handyverbot an Schulen.
In der entsprechenden Pressemitteilung steht, dass die "private Verwendung von mobilen Endgeräten für Schülerinnen und Schüler im Schulgebäude und auf dem Schulgelände" untersagt werden. Für ältere Jahrgänge sollen "klar definierte Schutzzonen" eingerichtet werden, also Räume, in denen sie außerhalb des Unterrichts Zugriff aufs Handy haben dürfen.
Mitführen, aber nicht benutzen
Das hieße nicht, dass Smartphones und andere digitale Endgeräte nicht mitgeführt werden dürfen, sondern dass sie unter Anleitung einer Lehrerin oder des Lehrers Teil des Unterrichts sein können. Das käme im Übrigen dem nahe, was Frau Horbach sich für die Praxis wünscht.
Seit dem hessischen Vorstoß im Dezember 2024 geschieht etwas im Hinblick auf Handys in Schulen. Zumindest scheint es so. Allerdings ist die Herstellung eines bundesweiten Beschlusses zu dem Thema ungleich schwieriger als bei den genannten europäischen Nachbarn, denn Bildung ist in Deutschland Ländersache, und auf dem Gebiet lassen deren Minister:innen sich nicht die Butter vom Brot nehmen.
So gesehen kann man auf ein einheitliches Vorgehen lange warten. Immerhin haben einige von Schwarz' Kollegen:innen eingesehen, dass sich etwas ändern muss im Hinblick auf die viel zitierte Medienkompetenz bei Schülern und Schülerinnen.
Nur in der Ausgestaltung verbindlicher Leitlinien für den Handygebrauch gehen die Vorstellungen nach wie vor auseinander. So steht Hessen mit seiner klaren Entscheidung für ein generelles Handyverbot an allen allgemeinbildenden Schulen (ab Schuljahr 2025/26) allein da. Mit dieser Entscheidung geht das Land noch weiter als Bayern, wo ein Handyverbot 2023 gekippt wurde und de facto nur noch für den Grundschulbereich gilt.
Dem will, angestoßen durch die aktuelle Debatte, das Saarland bald folgen und ebenfalls für Grundschulen das Handy verbieten. Eine ähnliche Empfehlung hat jetzt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Wohlgemerkt, alles nicht auf einer gesetzlich so abgesicherten Basis, wie es in Hessen geplant ist.
Auch Baden-Württemberg will neuerdings die private Nutzung von Handys an Schulen einschränken. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) plant eine schulgesetzliche Regelung mit klaren Leitplanken für den Umgang mit Smartphones an Schulen.
Allein die Details stehen noch nicht fest. Aber wenn sie "klare, altersgerechte Regelungen" in Aussicht stellt, dann lässt das nicht darauf schließen, ob sie so weit gehen möchte wie ihr Kollege aus Hessen.
Öffentliche Debatte nimmt Fahrt auf
Immerhin steht das Thema so weit oben auf der Agenda wie lange nicht. Dementsprechend lebendig ist die öffentliche Aufmerksamkeit. Und wo Zuspruch ist, bleibt die Kritik nicht leise.
Dass die Bundesschülerkonferenz Handyverbote ablehnt, überrascht nicht, aber wenn auch Lehrerverbände und GEW dem ablehnend gegenüberstehen, sollte man genauer hinhören.
"Statt Smartphones aus dem Schulalltag zu verbannen, sollten Kinder und Jugendliche lernen, diese verantwortungsvoll und reflektiert zu nutzen", moniert die hessische GEW beispielhaft für ihre Organisation. Solche Sätze hört man von GEW-Vertreter:innen bundesweit.
Stutzig machen müssen solche Äußerungen deshalb, weil sie ausblenden, dass der gewünschte verantwortungsvolle Umgang mit Smartphone und Co. mithilfe der bisherigen flexiblen Regelungen der eigenverantwortlich handelnden Schulen in mehr als zehn Jahren eben nicht erzielt worden ist.
Zudem fällt an den Einlassungen von Lehrerverbänden grundsätzlich auf, dass zwar viel Begrüßenswertes gefordert wird, jedoch unisono Hinweise auf eine praktikable Durchführung im Unterricht fehlen. Wenn die GEW feststellt, dass es "Konzepte braucht, die auf Bildung, Prävention und Mitbestimmung setzen," wird dabei nicht plausibel belegt, warum Schüler:innen deshalb den ganzen Tag ihr Smartphone in Sichtweite und Körpernähe spüren müssen.
Wie wenig sie im Thema ist, offenbart die GEW-Landesvorsitzende aus NRW, Ayla Celik, wenn sie bei einer Anhörung konstatiert: "Statt das Mitführen der Geräte zu verbieten, müsse deren Nutzung durch klare Absprachen geregelt werden".2
Vogelwild wird's in den Plädoyers für Handys im Unterricht, wenn sich "Experten" melden, die Schule lange nicht live erlebt haben. Da hagelt es Mutmaßungen über mögliche Folgen von Verboten und wird rhetorisch kräftig geklotzt. Das Verbot wird zur Keule, Lehrer zu Handy-Polizisten, die nur einer Kapitulation vor der Realität Vorschub leisten würden.
Schüler:innen würden entmündigt und ihrer Zukunfts-Kompetenz beraubt. Ablenkungen durchs Handy während des Unterrichts seien vergleichbar unbedeutend wie Blicke aus dem Fenster. Forsch formulierte Forderungen werden idealistisch eingepackt, deren Umsetzung allerdings im Vagen gelassen wie Prophezeiungen aus der Glaskugel.