Türkei: Erdogans größte Angst sitzt hinter Gittern

Istanbuls ehemaliger Bürgermeister Ekrem Imamoglu gilt als aussichtsreichster Gegenkandidat bei den nächsten Wahlen
(Bild: Kemal Aslan/Shutterstock.com)
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Mit Imamoglu ließ Erdogan seinen mächtigsten Gegner verhaften. Massenproteste sind die Folge. Was die Wirtschaft, die kurdische Frage und Deutschland damit zu tun haben.
Ekrem Imamoglu ist als Bürgermeister der 16-Millionen-Metropole Istanbul, dem politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Türkei, suspendiert worden. Seine politische Zukunft und seine persönliche Freiheit stehen auf dem Spiel, aktuell droht ihm der Ausschluss von der Kandidatur bei den nächsten Präsidentschaftswahlen.
Vorausgegangen war eine Untersuchungshaft für den kemalistischen CHP-Politiker. Offiziell begründet wurde dies mit zwei getrennten Ermittlungsverfahren, die am vergangenen Mittwoch zur Verhaftung des 54-Jährigen geführt hatten. Wie die Tagesschau berichtet, wird ihm Korruption und die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.
Mit allen Mitteln zum Ziel
Beweise fehlen bislang: Im Kern geht es zum einen um die Nähe der CHP zur kurdischen Partei DEM, der wiederum eine Nähe zur in der Türkei als terroristisch eingestuften kurdischen Arbeiterpartei Abdullah Öcalans, der PKK, nachgesagt wird. Einen Tag vor seiner Inhaftierung wurde Imamoglu zudem sein Diplom der Universität Istanbul aberkannt.
Ein Diplom ist in der Türkei zwingende Voraussetzung für eine Präsidentschaftskandidatur ist. Dies ist in Artikel 101 der türkischen Verfassung verankert: "Der Präsident der Republik wird aus den Reihen der türkischen Staatsbürger gewählt, die das vierzigste Lebensjahr vollendet haben, über eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügen und die Voraussetzungen für die Wählbarkeit als Abgeordneter erfüllen".
Interessanterweise halten sich die Spekulationen über die abgeschlossene Hochschulausbildung von Präsident Erdogan seit Jahren. So soll Erdogan die Marmara Universität 1981 abgeschlossen haben. Die Marmara Universität wurde in ihrer heutigen Form jedoch erst 1982 gegründet.
Doch schon zuvor hatte sich die Schlinge um Imamoglu zugezogen: Seit Jahren sammelt die Staatsanwaltschaft eifrig Anklagepunkte, mal wegen Korruption, mal wegen Beleidigung von Amtsträgern.
Bezirksbürgermeister in Istanbul und im kurdischen Osten wurden verhaftet, die Inhaberin einer CHP-nahen Schauspielagentur musste ins Gefängnis. Vorläufiger Höhepunkt ist die Verhaftung von Imamoglu selbst.
Erdbeben mit Folgen
Seit Imamoglu und 80 weitere ihm nahestehende Angeklagte in das Hochsicherheitsgefängnis Silivri gebracht wurden, bebt die politische Landschaft des muslimischen Landes. Sieben Tage in Folge gehen Zehntausende von Ankara bis Izmir auf die Straße, es kommt zu den größten Demonstrationen seit den Gezi-Park-Protesten 2013. Polizei und Sicherheitsorgane antworten mit unverminderter Härte.
Innerhalb von 5 Tagen wurden 1133 Personen wegen "illegaler Aktivitäten" festgenommen, so der türkische Innenminister. Die Proteste scheinen anzuhalten.