Verdacht der Desinformation: Sahra Wagenknecht verklagt die ARD

Wagenknecht. Bild: Juergen Nowak/ Shutterstock.com
Politikerin zieht gegen ÖRR vor Gericht. Sie wehrt sich gegen die Aussage, sie betreibe einen Propagandakanal. Warum dieser Fall grundsätzliche Fragen aufwirft.
Eine mutmaßlich falsche Tatsachenbehauptung in der ARD-Sendung Caren Miosga beschäftigt nun die Gerichte. Die Vorsitzende der Partei BSW, Sahra Wagenknecht, hat den Sender nach einer offenbar unwahren Aussage über sie verklagt.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Debatte über Desinformation, journalistische Sorgfaltspflicht und der Programmauftrag gebührenfinanzierter Medien.
Die Diskussion um die Neutralität öffentlich-rechtlicher Medien ist nicht neu. Auch in anderen Talkshows wie "Anne Will" oder "Markus Lanz" stand die Unparteilichkeit der Moderatoren immer wieder in der Kritik.
Alle gleich behandeln
Besonders im Wahljahr, in dem Spitzenpolitiker wie Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU) oder Annalena Baerbock (Grüne) zu Gast sind, wird genau beobachtet, ob alle Gäste gleich behandelt werden.
Wichtige Fragen werden verhandelt
Die Erwartungen an die Ausgewogenheit sind hoch, schließlich geht es um Fragen, die für die Zukunft Europas entscheidend sind – von der Sicherheitspolitik bis zum Umgang mit Autokraten wie Putin.
Zugleich reiht er sich ein in eine schon länger schwelende Kontroverse über politische Parteinahme und mangelnde Neutralität von Moderatoren in politischen Talkformaten.
Hintergrund des aktuellen Eklats ist ein Auftritt der Journalistin Sabine Adler in der Sendung "Caren Miosga". Dort hatte Adler behauptet, Wagenknecht betreibe einen russischsprachigen Telegram-Kanal, über den sie sich "eins zu eins ans russische Volk beziehungsweise an Herrn Putin" richten würde.
Keine Belege für Aussage in „Caren Miosga"
Recherchen des BR-#Faktenfuchs ergaben jedoch, dass es für diese Aussage keine Belege gibt. Es existiert zwar ein russischsprachiger Telegram-Kanal zu Wagenknecht, Experten gehen aber davon aus, dass dieser nicht von ihr selbst oder ihrer Partei betrieben wird.
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Das hatte Adler wohl aber lediglich vermutet, ohne es hinreichend verifiziert zu haben. So verbreitete sie es in dem Programm der ARD mit fast vier Millionen Zuschauern als Fakt. Auf Nachfrage konnte sie keine Belege liefern.
Ein Hauch von Donald Trump
Das Ganze hat einen Hauch von Donald Trump und dessen Zurechtbiegung der Wahrheit. Nur dass Talkgast und Host von den deutschen Gebührenzahlern finanziert werden.
Wagenknecht widersprach auf X
Wagenknecht widersprach der Behauptung Adlers umgehend. Unter einem Post dazu auf X (früher Twitter) entbrannte eine hitzige Debatte zwischen ihren Unterstützern und Kritikern.
User forderten Richtigstellung
Viele forderten eine Richtigstellung oder rechtliche Schritte wegen Verleumdung. Die Vehemenz der Kommentare zeigte, welch unmittelbare Auswirkungen solche Vorfälle auf das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben können.
Gerade im aufgeheizten politischen Klima können solche Vorfälle das Vertrauen in die Medien nachhaltig erschüttern. Bürger erwarten von Journalisten, dass sie Aussagen von Politikern kritisch hinterfragen – egal ob es sich um Kanzler Scholz,
Oppositionsführer Merz oder die Grünen-Doppelspitze Baerbock/Habeck handelt. Stattdessen scheint hier mit zweierlei Maß gemessen zu werden. Während Wagenknecht hart angegangen wird, darf sich der ukrainische Präsident Selenskyj über Geburtstagstorten unterhalten. Das nährt den Verdacht einer Agenda, auch wenn die Gründe im Einzelfall nachvollziehbar sein mögen.
Emotionen statt Fakten – auf beiden Seiten
Auffällig ist, wie Telepolis im ersten Artikel über diesen Fall darstellte, dass beide Lager – Unterstützer wie Gegner Wagenknechts -– mit ähnlichen Mitteln agieren und einander Lügen, Propaganda und Fake News vorwerfen.
Ein rationaler, faktenorientierter Diskurs findet kaum statt. Stattdessen wird die Auseinandersetzung überwiegend emotional und mit Schuldzuweisungen geführt.
Häufige Kritik an Moderation
Doch der Fall Adler ist kein Einzelfall. Immer wieder sehen sich Moderatoren politischer Talkformate dem Vorwurf ausgesetzt, nicht neutral zu sein und bestimmte politische Positionen zu bevorzugen.
Markus Lanz etwa wird häufig dafür kritisiert, Gäste zu oft zu unterbrechen und ihnen seine Sichtweise aufzudrängen. Auch Caren Miosga selbst stand bereits in der Kritik, weil sie in einem Interview mit Wagenknecht angeblich zu oft ins Wort gefallen sei.
Unterschiede in der Frageführung bei Miosga
Miosga rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass Wagenknecht bei unangenehmen Fragen inhaltlich ausweichen und stattdessen vorgefertigte Botschaften loswerden wolle. Daher habe sie unterbrechen müssen. Ihre eigene politische Meinung habe in der Sendung nichts zu suchen, so Miosga, sie nehme lediglich eine Position ein, die das Gegenüber stelle.
Ein Interview mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj begann jedoch mit Fragen zu dessen Geburtstag und seiner Geburtstagstorte. Bei dem Grünen-Politiker Robert Habeck klang das Stellen des Gegenübers so:
Caren Miosga: Herr Habeck, wie darf ich Sie nennen: Spitzenkandidat, Kandidat für die Menschen in Deutschland oder Kanzlerkandidat von Bündnis 90/ Die Grünen?
Robert Habeck: Herr Habeck ist doch schon mal super.
Caren Miosga: (Lacht.) Warum so bescheiden?
Bei Adler nur affirmative Nachfrage
Im Fall von Sabine Adler versäumte es die Moderatorin, ihre fragwürdige Aussage selbst kritisch zu hinterfragen. Stattdessen ließ sie die Unterstellung unkommentiert stehen und fragte lediglich affirmativ nach.
Bis heute findet sich weder auf der offiziellen Homepage noch auf den Social-Media-Kanälen der Talkshow ein Hinweis auf das Dementi der Politikerin oder die faktische Widerlegung durch die Kollegen des Bayerischen Rundfunks.
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Die ARD als Anstalt des öffentlichen Rechts unterliegt nicht der Aufsicht des Deutschen Presserats. Nach dessen Regeln wäre hier eine Rüge zwingend. Ob der für die journalistische Qualität zuständige ARD Programmbeirat und die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) in diesem Fall korrigierend eingreifen werden, bleibt abzuwarten.
Telepolis hat bei der ARD um eine Stellungnahme gebeten und gefragt, wie man in Zukunft mit der Gefahr umgehen will, dass in Livesendungen unwahre Tatsachenbehauptungen verbreitet werden. (Hier Informationen, wie Telepolis mit Fehlern und Korrekturen umgeht.)
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Auch wollte Telepolis wissen, ob eine öffentliche Richtigstellung geplant ist und ob es Konsequenzen für die Journalistin Adler geben wird. Diese unterschiedlichen Fragen wurden pauschal mit Verweis auf den Rechtsstreit abgewiesen – eine bequeme Lösung.
Die Causa Wagenknecht gegen Adler ist symptomatisch für eine Entwicklung, die nicht nur die ARD betrifft.
Auch in anderen Talkshows – abgesehen sind vielleicht nur noch Formaten wie dem ZDF-Politbarometer oder RTL/ntv-Trendbarometer – wird der Ton rauer. CDU-Chef Merz, Bayerns Ministerpräsident Söder oder die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel – immer wieder beschweren sich führende Politiker über die Behandlung.
Je krawalliger die Debatte, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt man: Es scheint, als würden die Sender dem Druck der Einschaltquoten immer mehr nachgeben und Polarisierung in Kauf nehmen, von "Miosga bis "Maybrit Illner".
Der aktuelle Fall jedenfalls zeigt exemplarisch, wie schnell emotionale Schlagabtausche zwischen politischen Lagern sachliche Debatten überlagern können. Gerade Journalisten in öffentlich-rechtlichen Medien stehen dabei in der Verantwortung, durch sorgfältige Recherche und Faktenprüfung Desinformation zu vermeiden statt sie noch zu befeuern.
Zugleich müssen sie in Interviews und Diskussionen auf Ausgewogenheit achten und auch unbequeme Nachfragen stellen. Andernfalls drohen Glaubwürdigkeitsverluste und eine weitere Vergiftung des politischen Diskurses.
Die Debatte um Neutralität und Parteinahme in Talkshows dürfte mit dem jüngsten Vorfall noch an Fahrt gewinnen.