Zuviel von allem, vor allem an Geld

Exit aus dem Überfluss - Teil 1

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Wir haben Überfluss an Konsumgütern vor Augen, an Nahrungsmitteln, Nachrichten, Büchern, Ratschlägen, Verkehrsteilnehmern, Überfluss an Reklame, E-Mails und Spam, Überfluss an Papier, Plastik und Abfall, Überfluss an Musikdateien, Fitnesscentern, Netzanbietern, Schlankheitsdiäten, Börsentips. Überfluss an allem, was Geld bringt, zu Lande zu Wasser, in der Luft und im Internet.

Leben im Schlaraffenland

Ist Überfluss nicht auch etwas ganz Natürliches? Überfluss an Leben, Pflanzen, Tieren, Insekten, Parasiten, an Samen und Blüten, an Wasser und Wolken, an Fischen im Meer?

Halt! Das ist doch eine kitschige Idylle. Die Fische im Meer sind knapp geworden. Insekten in den Gärten werden jedes Jahr weniger. Menschen in der Sahelzone haben kein Trinkwasser. Aber wir spüren den Durst nicht und wir können es auch nicht nachempfinden. Wir leben im Überfluss und die Meldung von Hunger und Durst ist nur eine Nachricht von vielen, die uns beinahe stündlich in diesem Überfluss an Meldungen erreichen.

Für die schlechte Verteilung der Güter können wir nichts. Wir stehen ratlos vor Regalen und Stapeln von Mineralwasser in Plastik und in Glas, in Kisten und im Sechserpack, mit und ohne Kohlensäure oder medium-soft in drei Flaschenfarben; auch mit Zitrus-Geschmack, entweder klar wie Wasser oder zitronengelb. Doch welches Kind trinkt heute noch Wasser und Limo?

Saft ist angesagt. Saftschorle, Weinschorle, Radler, Fassbrause, Mehrfruchtmix aus Extrakten und Whisky mit echtem Gletschereis aus Grönland. Aber halt, stopp, aufgepasst! Die Gletscher in Grönland und das Eis am Nordpol schmelzen uns unter der Baggerschaufel weg. Wer leugnet da noch den Klimawandel?

Leben im Überfluss ist nicht gleich Leben im Schlaraffenland. Das Schlaraffenland ist nur ein Märchen, da werden all die Schattenseiten, welche die Bequemlichkeit und die Fülle mit sich bringen, verschwiegen. Der Überfluss in unserer unmittelbaren Nähe aber, das ist die Realität mit all ihren Folgen und allen Begleiterscheinungen.

Der Überfluss ist besonders aufdringlich beim Überangebot an Nahrungsmitteln, da können wir gar nicht wegschauen, weil wir etwas zu essen benötigen und schnell einkaufen müssen und jetzt stehen wir vor diesen riesigen Regalen. Fünf Meter Milchprodukte, mehr als hundert Käsesorten aus Holland, Schweiz, Italien, Bayern, Frankreich, Normandie, Schafskäse aus Griechenland, imitierter Schafskäse aus Deutschland, Ziegenkäse, gleich vier Sorten. Wo leben all diese Ziegen?

Halt, dieser Käse ist zu fett, 60% in der Trockensubstanz, schmeckt aber sehr lecker! Und aufgepasst, jetzt nicht mehr einkaufen, als wir essen können. Bitte nichts wegwerfen und auf das Haltbarkeitsdatum achten! Bei Limburger Käse ist es umgekehrt. Der schmeckt am besten, wenn das Datum schon überschritten ist. Wochenlang in den Kühlschrank legen, dann essen und verdauen, kaufen, essen und verdauen.

Viele Menschen haben zu viel gegessen. Viele essen ungesund. Frauen sind mit der Figur ihrer Männer unzufrieden und mit der eigenen erst recht. Dann machen wir eben Diät, eine Diät nach der anderen. Das Überangebot an Nahrungsmitteln und Diäten schafft Irritation. Keine Kohlehydrate, keine Fette, keine Glykose, kein Schweinefleisch, kein Milcheiweiß, keine Eier?

In den Regalen aber liegt Ringfleisch, Wurst, Fisch, Krakauer, Grillplatte, echte Salami, Salami aus Schwein, Kernschinken, Schlagsahne, ein Gang mit Süßigkeiten, Schokolade, Nüsse, Chips. Dazu um die Ecke der Getränkemarkt und ein Bio-Supermarkt mit der gleichen Fülle in anderen Verpackungsfarben.

Jeden Tag wird uns ein Sonderangebot in den Briefkasten gesteckt und die bebilderte Speisekarte des neuen Pizza-Schnelldienstes mit italienischen, griechischen, mexikanischen und asiatischen Spezialitäten. Bei Bestellungen ab sechzig Euro eine Flasche Wein gratis.

Wen wundert es, dass Konsumenten zu viel essen und dass zu viele genau das Falsche essen, fast immer zu viel Fleisch, zu viel Fett, zu viele Kalorien, zu wenig Ballaststoffe. Das liegt zum großen Teil am Überangebot, weil es so aufdringlich ist und weil wir so wenig Zeit haben, zu wenig Zeit, uns kritisch zu orientieren.

Aber Warum? Warum ein solches Überangebot und überall auch noch deftige Werbung. Wie sollen junge Konsumbürger, die vielleicht gerade erst zu Hause ausgezogen sind, sich da zurecht finden?

So viel mehr wie möglich

Es geht hier nicht mehr um Essen und Trinken gegen Hunger und Durst, um Kraft und Substanz für das körperliche Überleben zu sichern, es geht um etwas ganz anderes. Der Grund für den Überfluss ist der, dass sich in hundert Jahren, seit unserem Marken-Pionier Dr. August Oetker, eine Nahrungsmittel-Industrie entwickelt hat, die auf einem sogenannten Lebensmittelmarkt operiert.

Da gelten die Gesetze der Ökonomie, und die Firmen, die unsere Nahrung herstellen, zubereiten, liefern und verkaufen, tun das fast nur noch, um damit Geld zu verdienen. Wir essen nicht mehr nur, sondern wir konsumieren Food, also Lebensmittel. Häufig sind es Markenartikel. Es geht bei der industriellen Herstellung und Vermarktung nicht mehr um Befriedigung des Nahrungsbedarfs oder um gute Ernährung, sondern in erster Linie geht es, wie in jeder anderen Branche auch, um ökonomische Eckdaten:

Umsatz,
Wachstumsraten,
Marktanteile,
Gewinn-Maximierung.
Es geht ums Geld, nicht um Essen und Trinken.

Dem kann sich der Käufer, der Kunde oder Konsument nur schwer entziehen. Das Essen, genauer gesagt, das Kaufen von Lebensmitteln, unterliegt der Logik des Geldverdienens. Das ist eine grundlegende Veränderung unserer Kultur innerhalb weniger Jahrzehnte. Wie weit wir uns dabei von natürlichen Verhaltensweisen entfernt haben, ist durch einen Blick auf frei lebende Tiere in unserer Nähe leicht zu erkennen.

Die Ernährung der Spatzen auf dem Dach oder der Amsel im Garten und das Verhalten der Eichhörnchen in den Bäumen hat sich in der kurzen Zeit von hundert Jahren nicht sichtbar verändert. Sie picken Körner und suchen wie eh und je nach Nüssen, die sie selber versteckt haben, und sie scheinen dabei nichts zu vermissen außer den Nüssen, deren Verstecke sie nicht wiederfinden.

Der Mensch aber, der ebenfalls isst und trinkt, weil sein Körper sich von dem der Tiere kaum unterscheidet, der Mensch ist in den Fokus der Nahrungsmittel-Industrie geraten und die will in erster Linie Geld mit uns als Konsumenten verdienen. Für das Geldverdienen aber gilt schon lange eine sehr einfache Grundregel, die wohl jeder ohne viel Nachdenken bestätigen wird, auch wenn er sie nicht akzeptiert: Je mehr, desto besser.

Diese Regel gilt nicht für uns, die Käufer und erst recht nicht für das Essen. Je mehr, desto besser ist beim Einkauf falsch, das führt zum sinnlosen Geldausgeben. Es ist erst recht falsch beim Essen, denn das macht krank und dick, untätig und schlaff. Für das Überleben im Überfluss müssen wir Widerstand leisten gegen den Konsumdruck. Das kostet Kraft und Zeit, aber wir sparen auch Geld, haben weniger Stress und es macht die Konsumwelt ein wenig friedlicher.

Jeder junge Mensch in Afrika, Indonesien, Pakistan, Indien und Bangladesch, aber auch in den vielen arabischen Ländern, jeder, der ein Smartphone oder einen Computer besitzt, weiß heutzutage, wie es in New York, Kalifornien, Sydney oder Hamburg und Berlin aussieht. Man kennt die Automarken, weiß wie viel die kosten und dass fast jeder hier sich wenigstens einen Gebrauchtwagen leisten kann. Wir prahlen außerdem bei jeder Gelegenheit mit unserer Vollbeschäftigung, mit dem Wirtschaftswachstum und der Sättigung aller Wünsche im Überfluss.

Die anderen Kulturen haben auch einen Überfluss: Den Überschuss an jungen Menschen

Genau wie wir unsere Wirtschaft nicht stoppen können, können und wollen die armen Völker ihre natürliche Vermehrung nicht stoppen. Die Reichen lassen ihre Wirtschaft ins Unendliche wachsen. Die Armen vermehren sich selbst; sie steigern die Zahl der Menschen. Zur Zeit wächst die Menschheit jährlich um achtzig Millionen, soviel wie Deutschland Einwohner hat.

Beides lässt sich mit einem Auftrag Gottes begründen: Wachset und mehret euch und macht euch die Erde untertan. Sind diese beiden Trends deshalb sanktioniert und unantastbar? Beide Trends gehen unabhängig voneinander in die gleiche Richtung und laufen auf katastrophale Zustände hinaus.

Durch die globale Kommunikation aber sind die Menschen in der ärmeren Welt in Bewegung geraten. Die stärkste ihrer Bewegungen ist Flucht. Flucht und Migration können die Probleme der Welt aber nicht lösen, weil es zur Zeit jedes Jahr achtzig Millionen Menschen mehr gibt.

Auch das Wirtschaftswachstum kann die Probleme der Welt nicht lösen. Im Gegenteil: Wirtschaftswachstum ist selbst das Problem und Bevölkerungswachstum ist das andere Problem. Und es macht keinen Sinn, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Wenn Gott wirklich gesagt hat, wachset und mehret euch, dann ist Gott das Problem, beziehungsweise die Menschen, die immer noch an Religionen und Ideologie festhalten, obwohl sie sehen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann.

Eigentlich ist das eine gute Nachricht, dass es an Ideologie, Religion, Gewohnheit, Bequemlichkeit und Egoismus liegt. Wir müssen nur unser Denken ändern, dann können wir den Überfluss von Waren und Geld und den Überfluss an Nachwuchs soweit eindämmen, dass wir alle einigermaßen glücklich überleben.

Die daran anschließende Frage ist: Können wir überhaupt persönlich als Einzelperson, als steuerbegünstigtes Ehepaar, als Familie oder Flick-Familie, als kleine Gruppe, Firma, Belegschaft, Gewerkschaft, Verein, Online-Forum oder Partei, können wir etwas gegen die Zerstörung tun, die der Überfluss mit sich bringt?

Diese Frage soll hier mit einem deutlichen "Ja" beantwortet werden. Dazu ist aber erst eine Analyse des Systems erforderlich, damit wir an den richtigen Stellen ansetzen.

Hundert Millionen Millionen an Geld

Der Überfluss resultiert aus einem Überangebot. Das Überangebot dient der Steigerung von Umsatz und Rendite. Aber wieso sind die Ressourcen so leicht verfügbar, um all die Waren zu beschaffen, Fabriken zu bauen, die Herstellung in den Fabriken zu bezahlen, Waren zu transportieren, Supermärkte zu bauen oder Mieten zu bezahlen. Wieso ist das alles so leicht möglich, nur damit mehr produziert, mehr verkauft und noch mehr konsumiert wird?

Es liegt daran, dass Geld in großen Mengen so einfach zu bekommen ist und dann gilt die Spielregel, dass Geld in die Wirtschaft gesteckt wird und sich amortisieren muss. Geld ist in großen Mengen leicht verfügbar, nicht in kleinen Mengen, nicht in Haushaltsmengen. Die Menschen, die ihr ganzes Geld zum Leben brauchen, sind meistens knapp. Diejenigen, die ihr Geld mit Geld verdienen, haben Geld in Überfluss. Der große Überfluss an Waren resultiert aus einem Überfluss an Finanzen.

Dieser Tage bekam ich einen Brief von der Commerzbank, mit der ich nie zusammengearbeitet habe, man bot mir, ohne Anlass, zum neuen Jahr einen Kredit von 100.000 Euro an, um mein Geschäft auszubauen, das ich seit 10 Jahren schon nicht mehr betreibe. Die Commerzbank weiß nichts von mir, außer, dass ich Gewerbetreibender war und auf dem Papier noch bin.

Was sagt uns das? Mir sagt es, dass die Bank dringend nach Kreditnehmern sucht, genau so, wie Makler aus der Schweiz dringend nach Immobilien in Deutschland suchen, und das weist uns wieder darauf hin, dass irgendwo Geld in riesigem Überfluss vorhanden ist. 100.000 Euro sind dort Spielgeld.

Der Geldüberfluss auf dem Finanzmarkt ist so groß, dass ein Drittel oder ein Viertel des vorhandenen Geldes dazu reichen würde, alle Güter auf dem Markt, auch alle Immobilien, zu kaufen. Die globale Geldmenge beträgt, nach Schätzungen der maßgebenden Wissenschaftler, etwa 60 bis 100 Billionen. Es ist bei der Ungenauigkeit solcher Schätzungen egal, ob Dollars oder Euros, weil die sich im groben Wert kaum unterscheiden.

Es gibt also Geld in der Größenordnung von bis zu 100 Billionen, als Zahl 100.000.000.000.000 oder in Worten: Hundert Millionen Millionen. Diese Zahl ist für jeden, auch für Banker, Superreiche und Astrophysiker, im wörtlichen Sinne unvorstellbar, man kann sie weder zählen, noch im Kopf abspeichern. Für solche Mengen haben wir in der Sprache, außerhalb der Mathematik, das Wort unendlich. Unendlich ist eine Menge, die der Mensch mit seinem Verstand nicht erfassen kann.

Um die Situation zu überschauen, sagen wir uns am besten: Die globale Geldmenge ist unendlich groß. Im Gegensatz dazu ist der Planet, auf dem wir leben, nicht unendlich groß. Auch die Luftmenge, in der sich das CO2 verteilt und das Wasser im Meer, in das es sich lösen kann, sind nicht unendlich. Ebenso die Menge der Ressourcen an Öl, Kohle, Lithium und Seltenen Erden ...

Selbst die Menge der Menschen, meist sind es Frauen, die für geringste Löhne bis zur Erschöpfung arbeiten, ist nicht unendlich. Die Menge des bereits vorhandenen Geldes ist aber so groß, dass wir jeder dieser Fabrikarbeiterinnen, die billige Klamotten für uns nähen, eine Million Dollar schenken könnten, nicht als Kredit, sondern als Guthaben.

Unendlichkeit der Geldmenge bedeutet auch noch, dass sie ständig weiter und unkontrolliert wächst. Wie kann das sein, Herr Frankenstein?

Diese Frage wird im zweiten Teil beantwortet und es werden Vorschläge gemacht, wie wir als normale Hausbewohner, Reisende und Autofahrer gegen den aktuell am meisten diskutierten Überfluss, den an CO2, angehen können.

Der Essay verwendet Texte und Gedanken aus den beiden letzten Büchern von Rob Kenius: "Leben im Geldüberfluss" und "Überleben im Überfluss".