Hoffnung auf die universelle Grippe-Impfung

Mikrobiologen ist es erstmals gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln, der gegen mehrere Grippevirenstämme gleichzeitig wirksam ist. Sollte der Ansatz Erfolg haben, müssten nicht mehr jedes Jahr neue Impfstoffe gegen die rasch mutierenden Erreger produziert werden.

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Von
  • Lauren Gravitz

Mikrobiologen ist es erstmals gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln, der gegen mehrere Grippevirenstämme gleichzeitig wirksam ist. Sollte der Ansatz Erfolg haben, müssten nicht mehr jedes Jahr neue Impfstoffe gegen die rasch mutierenden Erreger produziert werden.

Seit Jahrzehnten sind Forscher auf der Suche nach einer dauerhaft wirksamen Grippe-Impfung. Sie soll nicht nur vor dem gerade grassierenden Virus schützen, sondern vor den neuen Varianten, die sich jedes Jahr entwickeln. Bisher war die Suche vergebens: Die Erreger mutieren zu schnell. Ein neuer Ansatz von Mikrobiologen um Peter Palese an der Mount Sinai School of Medicine in New York könnte vielleicht bald den Durchbruch bringen.

Der Impfstoff, den Paleses Gruppe entwickelt hat, war in Versuchen mit Nagetieren gleich gegen drei verschiedene Virenstämme wirksam. Eine Variante des H1N1-Virus – der die Schweinegrippe ausgelöst hatte – bekämpfte er nur schwach, während er gegen den H5-Subtyp der Vogelgrippe schon besser wirkte. Gegen den verbreiteten H3-Subtyp, der für die alljährlichen Grippewellen verantwortlich ist, bot das Mittel sogar einen umfassenden Schutz.

Zwar sind die Ergebnisse noch nicht allzu aussagekräftig. Die Fachwelt zeigt sich aber beeindruckt. „Das ist immer der Traum der Grippeforschung gewesen: eine breit wirksame Impfung statt der jährlichen Neuentwicklungen selbst für Subtypen desselben Virenstamms“, sagt Robert Webster, Grippeexperte am St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis. „Wenn der Stoff so gut ist, wie die Mäuseversuche nahelegen, ist das phantastisch.“

Gegen viele Infektionserkrankungen genügen Impfungen, deren Schutz bis zu Jahrzehnte anhält. Das Grippevirus hingegen hat sich als hartnäckiger Gegner erwiesen, der nicht so leicht zu schlagen ist. Um der menschlichen Immunabwehr zu entgehen, die das Virus sehr leicht am Eiweiß Hämagglutinin erkennt, mutiert der Erreger sehr rasch. Dadurch ändert sich die Gestalt des Hämagglutinins bei den verschiedenen Stämmen von Jahr zu Jahr.

Hämagglutinin erinnert ein wenig an einen dicken Lutscher – der "Stiel" steckt in der Virusoberfläche, der "Kopf" zeigt nach außen. Weil eine Infektion durch das Andocken des Kopfes an den Körperzellen ausgelöst wird, bildet das Immunsystems gegen diesen Teil des Hämagglutinins Antikörper. Sind die einmal gebildet, kann das Virus später keine erneute Infektion auslösen. Mutiert der Kopf aber, müssen neue Antikörper her – und damit auch neue Impfstoffe. Mit deren Produktion beginnen die Gesundheitsbehörden bereits sechs Monate vor der jährlichen Grippesaison. Welche Virenstämme und -subtypen bei der nächsten Runde besonders gefährlich werden könnten, versuchen sie aus neuen Virenvarianten in Asien zu schließen, die dort in der Regel früher auftauchen.

Der Impfstoff der Palese-Gruppe setzt nun an einem anderen Abschnitt des Hämagglutinin-Moleküls an: dem schlanken Stiel des Proteins. Er ist schwerer zugänglich und wird von Antikörpern nur selten angegangen. Deshalb mutiert dieser Teil langsamer. Mitunter bleibt er über zwei, drei Jahre unverändert – was bedeutet, dass eine Impfung, die hier ansetzt, länger wirksam sein kann.

Als Ausgangspunkt für den neuen Impfstoff diente der Palese-Gruppe ein Mäuse-Antikörper, der gegen verschiedene Grippevirenstämme wirksam ist. Es gelang den Forschern, diejenige Untereinheit auf dem stielartigen Hämagglutinin-Abschnitt zu identifizieren, an der die Antikörper ansetzen. Dieses Proteinstück synthetisierten sie dann als isoliertes Molekül. Spritzten sie es Mäusen in die Blutbahn, rief es dieselbe Abwehrreaktion des Immunsystems hervor wie das komplette Virus.

Während herkömmliche Impfstoffe langwierig in Hühnereiern produziert werden müssen, kann das neue Mittel im Labor synthetisiert werden. Die Produktion geht deshalb schneller und ist billiger. Und weil es auf den nur langsam mutierenden Teil des Hämagglutinins abzielt, hält der Impfschutz länger vor.

Gary Nabel, Direktor des Vaccine Research Center der US-amerikanischen National Institutes of Health, verfolgt seit einiger Zeit denselben Ansatz wie Palese. „Der Impfstoff ist wahrscheinlich in seiner jetzigen Form noch nicht sehr potent, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass Palese ihn noch besser machen wird“, sagt Nabel. „Ob das am Ende genügt, ist eine offene Frage. Paleses Daten deuten daraufhin, dass das Mittel nicht gegen alle Subtypen helfen wird, auch wenn es die Infektionen verzögert.“

Doch selbst wenn schon sämtliche Infektionen eines Subtyps verhindert würden, wäre das ein Fortschritt für Forscher und Patienten. Die Ärzte hoffen aber, einen Antikörper zu entdecken, der ihnen Zugang zu häufiger vorkommenden Stielteilen des Hämagglutinin-Moleküls verschafft – um dann diesen Teil als Wirkstoff nachzubauen. “Wenn das gelänge, wäre das wunderbar", sagt Nabel. Ansonsten könnte auch eine Kombination aus mehreren Antikörpern funktionieren, die jeweils nur gegen einen Teil der Virenvarianten helfen.

Palese und seine Kollegen wollen ihre Versuche nun an Tieren wiederholen, deren Immunsystem dem menschlichen ähnlicher ist. „Es ist eben einfacher, eine Maus vor Grippe zu schützen als Menschen“, sagt Palese. Für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem dürfte der neue Ansatz allerdings nicht so viel Schutz bieten. Denn der Impfstoff verhindert nur die weitere Ausbreitung der Viren im Körper, nicht die Infektion an sich, die ja über den Kopfteil des Hämagglutinins erfolgt.

„Das Mittel könnte in Zukunft für eine ergänzende Impfung gut sein“, sagt Terrence Tumpey, Mikrobiologe am der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta. Auf die herkömmlichen Impfstoffe werden wir wohl nicht verzichten können, weil sie auch eine Infektion verhindern.“

Das Paper:
Wang, T. et al., "Vaccination with a synthetic peptide from the influenza virus hemagglutinin provides protection against distinct viral subtypes", PNAS, 18.10.2010 (Abstract) (nbo)