Telefonterror - Wenn der Aufzug drei mal klingelt

Mitternacht - Familie T. schläft friedlich in ihrer Berliner Wohnung. doch der Frieden ist trügerisch: Immer wieder wird die Familie von seltsamen Anrufen aus dem Schlaf gerissen.

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Mitternacht - Familie T. schläft friedlich in ihrer Berliner Wohnung. Plötzlich ist es vorbei mit der Ruhe: Das Telefon klingelt. Am Anderen Ende der Leitung meldet sich "Objekt Nummer 9280" . Mehr erfährt der aus dem Schlaf gerissene Familienvater nicht, denn legt "Objekt 9280" nach der ansage sofort auf. Eine knappe halbe Stunde später wiederholt sich das Spiel: Dieses mal reißt "Objekt Nummer 60721" die Familie aus dem Schlaf.So viel ist klar: Familie T. aus Berlin hat ein Problem. Auf ihrem Telefon landen seit Jahren Notrufe von Fahrstühlen im gesamten Bundesgebiet. Doch abstellen kann diese Belästigung anscheinend niemand: Der Betreiber der Fahrstühle beteuert, dass seine Notrufeinrichtungen korrekt arbeiten. Schuld sei der Telefonnetzbetreiber. Doch der verweist Familie T. nach einer Leitungsprüfung zurück an den Aufzugbetreiber. Die Leitungen sind ok, der Fehler müsse woanders liegen...

Notrufsysteme in Aufzügen sind wichtig. Wenn aber die Notrufe immer wieder statt in der Alamzentrale bei einer unbeteiligten Familie landen und die dafür Verantwortlichen nicht für Abhilfe sorgen wollen, kann man schon von Telefonterror sprechen.

Es begann romantisch: Anno 2000 lernte Jochen T. seine jetzige Frau kennen. Das Paar heiratete 2003 und zog in eine gemeinsame Wohnung. Mit im Gepäck der frisch gebackenen Ehefrau: Ihre alte Telefonnummer. Die wollte Frau T. gern behalten, schließlich war sie seit 1995 unter dieser Rufnummer für Freunde und Bekannte zu erreichen.

Leider waren es aber nicht nur Freunde und Bekannte, die sich unter der Berliner Rufnummer meldeten. Mitunter erhielt Frau T. auch mysteriöse Anrufe: "Objekt Nummer 60659" murmelte eine schwer verständliche Männerstimme nach Annahme des Gesprächs zu allem möglichen und unmöglichen Zeiten aus dem Telefonhörer. Da keine Telefonnummer übermittelt wurde, war Frau T. zunächst ratlos, wer oder was hinter diesen Störungen steckte.

Im September 2003 häuften sich die Anrufe: Immer wieder rief dieselbe Stimme an. Jochen T., von Beruf Service Techniker einer Firma für Gebäudemanagement Software, wollte der Sache auf den Grund gehen und beantragte eine Fangschaltung. Tatsächlich ging der Telekom der penetrante Anrufer ins Netz: Von einem Anschluss mit Berliner Rufnummer wurde binnen zwei Tagen zehnmal bei Familie T. angerufen -- zu beliebigen Tages- und Nachtzeiten. Eigentümer des Anschlusses ist eine Grundstücksverwaltungsgesellschaft. Doch unter zu diesem Anschluss registrierten Anschrift war die Firma nicht zu erreichen.

Spurensuche

Bei einer Ortsbesichtigung fiel Jochen T. ein Fahrstuhl der Firma Schindler ins Auge und ein Verdacht keimte auf. Ein Anruf bei der im Fahrstuhl angegebenen Servicenummer brachte Aufklärung: Bei den in den mysteriösen Anrufen genannten Nummern handelte es sich um Objektnummern von Fahrstühlen. Immer wenn ein Fahrstuhl eine Störung hat oder der Alarmknopf gedrückt wird, erklärte man Herrn T., wird automatisch die Notrufzentrale angerufen. Die Rufnummer der Zentrale glich der von Familie T. bis auf eine Ziffer, nämlich "6" statt "5".

Aber viel weiter brachte ihn diese Erkenntnis nicht. So landet zwischen 2003 und 2007 immer mal wieder ein Fahrstuhlnotruf bei Familie T., die darauf brav die Notzentrale der Firma Schindler anrief und die fehlgeleitete Alarmmeldung weitergab. Doch besonders dankbar für diese Hilfe schien man bei der Aufzugsfirma nicht zu sein. Immer wieder musste sich Jochen T. anhören, dass es eigentlich gar nicht sein könne, dass ein Aufzugs-Alarm bei ihm lande. Immerhin versprach die Alarmzentrale, für Abhilfe zu sorgen.

Doch es besserte sich nichts. Schließlich beschwerte sich Jochen T. per E-Mail und Thomas O. von der "Schindler Shared Services GmbH" aus Berlin nahm sich nun der Sache an. Er informierte Jochen T. darüber, dass die Alarmsysteme in den betroffenen mit dem längst veralteten Impulswahlverfahren arbeiteten. Möglicherweise verschlucke das einzelne Wählimpulse. Thomas O. versprach, dass "die Geräte bei nächster Gelegenheit überprüft und eventuell instand gesetzt werden".

Hingehalten

Doch auch weiterhin klingelte hin und wieder das Telefon und übermittelte eine Objektnummer. Ab August 2005 begann Jochen T., die störenden Anrufe zu protokollieren. Als ihn im Februar 2008 wieder einmal der Anruf eines Aufzugs aus dem Schlaf riss, nahm sich Jochen T. vor, einen weiteren Anlauf zu unternehmen. Er forderte die Firma Schildler per E-Mail auf, das Problem doch endlich abzustellen. Doch das Unternehmen verlegte sich nun aufs Aussitzen: Die E-Mails wurden nicht beantwortet und seiner Bitte, das telefonische Abhilfeversprechen schriftlich zu bestätigen, wurde nicht entsprochen.

Ab April 2010 wurde die Situation für Familie T. unerträglich: Der Aufzug mit der Nummer 60721 rief nun täglich mehrmals an; erstmals wurde dabei auch die Telefonnummer übermittelt. Allerdings gelang es Jochen T. nicht, Informationen über den Inhaber der Nummer aufzutreiben. Am 18. April 2010 erstattete er deshalb eine Anzeige bei der Polizei. Doch als der bearbeitenden Dienststelle klar wurde, dass ein Automat hinter dem Telefonterror steckte, verfolgte sie die Anzeige nicht weiter. So wandte sich der Familienvater an die Bundesnetzagentur. Doch die Behörde reagierte nicht auf seine Beschwerde.

Erneut beantragte Familie T. eine Fangschaltung. Mit deren Ergebnis gelang es Jochen T., den Betreiber des Aufzugs 60721 aufzuspüren: Es war die "Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften" in Suderburg. Endlich hatte Jochen T. einen Ansprechpartner. Telefonisch setzte er sich mit der Hausverwaltung der Uni in Verbindung. Man versprach, bei der Firma Schindler Druck zu machen. Tatsächlich hörten die Anrufe von Objekt 60721 daraufhin auf.

Abgewimmelt

Doch zur Ruhe kam Familie T. danach noch lange nicht, denn nun meldeten sich die Objekte "873", "660", "927", "9280", "60459" und "9280". Offenbar wollte die Firma Schindler ihr Problem nicht lösen. Am 6. Mai 2010 beauftragte die Familie deshalb eine Rechtsanwältin, sich der Sache anzunehmen. Diese forderte das Unternehmen auf, sicherzustellen, dass Familie T. nicht mehr durch Anrufe von Schindler-Aufzügen belästigt werde. Ferner verlangte sie eine Unterlassungserklärung und stellte dem Unternehmen die Kosten für die Fangschaltung und für ihre Tätigkeit in Rechnung.

Die Rechtsabteilung des Aufzugsherstellers bat zunächst um eine Fristverlängerung, um das Problem analysieren zu können. Knapp einen Monat später traf dann ein mehrseitiges Schreiben ein. In umständlichen Worten erklärte der Anwalt des Unternehmens im Prinzip nur Folgendes: Man habe bei den überprüften Aufzügen keine Fehler feststellen können. Wenn es zu fehlgeleiteten Störungsmeldungen gekommen sei, so liege das wohl an der Deutschen Telekom, in deren Vermittlungsstellen vereinzelt Wählimpulse verschluckt würden. So etwas geschehe nur sehr selten und müsse von Familie T. wohl oder übel hingenommen werden. Schindler könne deshalb keine Unterlassungserklärung abgeben. Um der Familie entgegen zu kommen, sei man aber -- ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und aus Kulanz -- bereit, die Anwaltskosten und die Kosten für die Fangschaltung zu übernehmen, wenn die Familie die Angelegenheit damit als erledigt betrachte.

So wollte sich die Familie aber nicht abspeisen lassen. Schließlich ging es nicht vorrangig darum, irgendwelche Kosten erstattet zu bekommen, sondern um die ungestörte Nachtruhe. Es folgten noch weitere Schriftwechsel zwischen den Anwälten, doch in der Sache bewegte sich die Firma Schindler nicht. Schuld sei nun mal die Deutsche Telekom. Da die in den Wählgeräten der Aufzüge eingesetzte Impulswahltechnik erst in der Mitte des Jahrzehnts -- also 2015 -- abgeschafft werde, solle sich Familie T. doch besser einfach um eine neue Telefonnummer bemühen.

Neuer Terror

Eine Zeitlang war es ruhiger, doch im März 2011 spielte wieder ein Aufzug der Firma Schindler verrückt: Das Objekt mit der Nummer 9548 meldete sich mehrfach in kurzen Abständen. Wieder versuchte Familie T., mit Anwaltshilfe dem Telefonterror ein Ende zu machen, doch bei der Firma Schindler schaltete man nun auf stur: Schuld sei die Telekom, man selbst könne nichts machen. So bat Jochen T. die c't-Redaktion um Hilfe.

Offenbar ist Familie T. nicht die einzige Berliner Familie, die unter den fehlgeleiteten Notrufen von Schindler-Aufzügen leidet: Mindestens noch zwei weitere Rufnummern erhalten nach Recherchen von Joachim T. regelmäßig Anrufe von Aufzügen, weil auch diese Rufnummern bis auf einzelne Ziffern der Rufnummer der Schindler-Notrufzentrale entsprechen. Auffällig ist dabei stets, dass anscheinend einzelne Wählimpulse verlorengehen. So wird auch mal aus einer "7" eine "6" oder aus einer "8" eine "7". Deutet das womöglich auf Verschleißerscheinungen an mechanischen Komponenten der Impulswahlgeräte hin?

Auf unsere erste Nachfrage hin äußerte sich die Firma Schindler ebenso wie gegenüber Familie T.: Die Ursache für die gelegentlichen Fehlverbindungen liege außerhalb ihres Verantwortungsbereichs. Nach Aussage des Leitungsnetzbetreibers könne es vereinzelt vorkommen, dass Wählimpulse verloren gingen und so aus einer "6" eine "5" würde. Man wolle sich aber mit der Familie T. in Verbindung setzen, um diese beim Wechsel der Rufnummer finanziell zu unterstützen.

Nanu? Das Impulswahlverfahren ist zwar ein überholtes, aber immer noch zuverlässig arbeitendes Wahlverfahren. Das hier auch bei korrekter Funktion der Wähleinrichtung im Telefonnetz mal aus einer gewählten "6" eine "5" werden kann, war uns neu. Wir baten also die Deutsche Telekom um eine Erklärung.

Fehler nicht bekannt

Dr. Lorenz Steinke von der Deutschen Telekom beantwortete unsere Anfrage wie folgt: "Die in Ihrer Anfrage genannten Wählautomaten in Aufzügen arbeiten gemäß Ihren Angaben nach dem sogenannten Impulswahlverfahren (IWV). Dieses Verfahren wird von den Vermittlungsstellen der Deutschen Telekom erkannt und gemäß den geltenden Protokollen der ITU unterstützt. Über viele Jahre war das IWV Standard-Signalisierungsverfahren in der Bundesrepublik und wird auch heute noch von vielen Endgeräten (zum Beispiel sogenannten Wählscheibentelefonen) genutzt. Vermittlungsfehler in Verbindung mit diesen Endgeräten sind uns trotz der Vielzahl der täglich hiermit hergestellten Verbindungen nicht bekannt.

Die Deutsche Telekom kann hingegen keine Aussage darüber treffen, ob die mechanischen Wählautomaten in den fraglichen Aufzügen auch nach langjährigem Dauereinsatz noch die Spezifikationen des IWV hinsichtlich Signaltaktung und -stärke einhalten."

Im Klartext: Die Fehlerquelle dürfte hier wohl eher bei den in die Jahre gekommenen Wählautomaten in den betroffenen Aufzügen liegen. Wäre die Firma Schindler bereit, die Rufnummern und Adressen der betroffenen Fahrstühle offenzulegen, könnte die Telekom dort gezielt nachmessen, ob die Geräte noch innerhalb der IWV-Spezifikation arbeiten oder nicht. Da die Firma diese Angaben allerdings bislang zurückgehalten hat, bleibt der Familie T. nur der mühsame Weg, die Störer einen nach dem anderen per Fangschaltung zu ermitteln. Danach könnte man die Telekom gezielt mit Messungen beauftragen -- ein langwieriges, teures und vor allem überflüssiges Verfahren, da doch die Firma Schindler genau weiß, in welchen Aufzügen noch alte Wählgeräte verbaut worden sind.

Ausweichlösung

Mit diesen Erkenntnissen versehen intervenierten wir erneut bei dem Aufzughersteller. Doch dort zeigte man sich wenig beeindruckt von der Stellungnahme der Telekom. Zwar räumte man ein, dass es zwei Fälle von defekten Aufzügen gegeben habe, in denen es zu gehäuften Anrufen bei Familie T. gekommen sei. In diesen beiden Fällen hätte man aber schnellstmöglich für einen Austausch der betroffenen Systeme gesorgt. Die übrigen, von der Firma Schindler als "sporadisch auftretende Fehlverbindungen" bezeichneten Anrufe beträfen unterschiedliche Endgeräte. Die genaue Ursache für die hier aufgetretenen sporadischen Fehler könne man nicht benennen.

Um zukünftig Störungen durch fehlgeleitete Notrufe zu unterbinden habe man präventiv bei einem weiteren Aufzug das Wahlgerät ausgetauscht. Zudem optimiere man die Überwachung der Notrufgeräte weiter. Das würde eine frühzeitige Identifizierung von Gerätedefekten ermöglichen. Mit der Familie T. stehe man derzeit in Verhandlung um eine für beide Seiten tragbare Lösung zu finden.

Auch wenn das Unternehmen sich nicht weiter zu dieser "Lösung" äußern wollte dürfte das Ganz wohl darauf hinauslaufen, dass Frau T. nun doch ihre Rufnummer aufgibt und dafür eine Entschädigung in angemessener Höhe erhält.