Vorsicht Kunde! - Verkehrte Welt – Vertrag mit einer Minderjährigen

Für die 13jährige Sabrina ist der 4. Juni ein Tag wie jeder andere. Dann allerdings bekommt die Schülerin Post. In der „Letzten außergerichtlichen Mahnung“ droht ihr die Firma Web.de.

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Familie B. hat ihren Internet-Anschluss bei einem lokalen Provider. Detlef B., seine Frau Claudia und die Töchter Sabrina (13) und Melanie (12) beschaffen sich Informationen aus dem Internet und nutzen die Möglichkeiten einer vernetzten Welt sowohl privat als auch beruflich beziehungsweise für die Schule. Natürlich werden auch E-Mails geschrieben. Dazu verwendet die Familie den Mail-Service ihres Internet-Providers.

Die 13-jährige Sabrina ist aktiv in den populären sozialen Netzwerken. Damit da nichts schiefgeht, hat Vater Detlef ein waches Auge auf die Aktivitäten der minderjährigen Töchter. Man spricht regelmäßig über die Möglichkeiten, aber auch über die Gefahren, die im Netz lauern. Abofallen, Abzocker und Schlimmeres – davor sind Sabrina und Melanie gewarnt. Den Töchtern Medienkompetenz zu vermitteln ist der Familie sehr wichtig. Als Jugendliche von heute sollen sie sich schließlich sicher im Internet bewegen.

Bis zum 4. Juni 2010 war die Netz-Welt für Familie B. in Ordnung. Dann störte ein Brief an Sabrina den Frieden: „Letzte außergerichtliche Mahnung“ stand da in fetten Lettern zu lesen. Web.de teilte in rüdem Ton mit, dass Sabrina bis spätestens 14. Juni 20 Euro an das Unternehmen zu zahlen habe, andernfalls werde man ohne weitere Benachrichtigung ein Inkassobüro zum Eintreiben der Forderung einschalten. Schließlich habe Sabrina auf die bisherigen Mahnschreiben nicht reagiert, hieß es in dem nicht signierten Brief weiter.

Schrecksekunde

Sabrina fiel aus allen Wolken und zeigte das Schreiben sofort ihrem Vater. Sie hatte noch nie etwas mit Web.de zu tun gehabt und erst recht keine Mahnungen von dem Unternehmen erhalten. Detlef B. las sich den Brief sorgfältig durch und befragte daraufhin die Tochter intensiv, ob sie sich nicht doch irgendwann bei Web.de angemeldet habe. Nein, war die klare Antwort von Sabrina. Vorsichtshalber untersuchten Vater und Tochter dann noch gemeinsam den PC der Tochter auf mögliche Spuren einer solchen Anmeldung. Doch es fand sich keinerlei Hinweis auf ein Web.de-Postfach.

„Da stimmt etwas nicht“, konstatierte Detlef B. und wies Web.de am 6. Juni per E-Mail darauf hin, dass die Familie nicht Kunde bei Web.de sei. Die Mahnung sei an seine 13-jährige Tochter gerichtet gewesen, die ohne Zustimmung der Eltern ohnehin keinen entsprechenden Vertrag im Internet schließen könne. Im Übrigen habe sei nie eine Rechnung oder eine Mahnung von Web.de eingegangen. Er weise die Forderung deshalb zurück.

Die Mail schrieb Detlef B. an die Adresse info@web.de, da er nicht einsah, wegen einer unberechtigten Forderung auch noch eine kostenpflichtige Telefon- oder Fax-Nummer zu kontaktieren. „Ich gebe doch kein Geld aus, um eine unberechtigte Forderung zurückzuweisen“, so der Standpunkt des Familienvaters.

Web.de bestätigte den Maileingang zwar mit einer automatisierten Antwort, doch vom Inhalt wolle man keine Kenntnis nehmen, schrieb der Computer. Kündigungen und Widerrufe, die an diese Adresse geschickt würden, hätten keine Rechtsgültigkeit, so der Antwortautomat. Es folgte ein Hinweis auf den Kundenservice, der unter der Rufnummer 09 00/1 93 23 30 zu erreichen sei – zu einem Minutenpreis von 1,86 Euro aus dem Festnetz. „Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Spaß und gute Kommunikation mit Web.de“, schloss die automatisch generierte E-Mail.

Per teurer Hotline sollte er sich also nach Auffassung von Web.de gegen deren unberechtigte Forderung wehren? Das kam für Detlef B. überhaupt nicht in Frage. Noch einmal schrieb er an info@web.de und stellte klar, dass es aus seiner Sicht keinen Vertrag und damit auch keine Grundlage für eine Forderung gebe. Auf diese Mail erhielt er nicht einmal mehr eine Eingangsbestätigung.

Eskalation

Der nächste Eskalationsschritt war absehbar: Am 29. Juni meldete sich der Bayerische Inkasso Dienst (BID) und forderte insgesamt 85,12 Euro von Sabrina B. Aus den von Web.de noch am 4. Juni geforderten 20 Euro war nun ohne weitere Erklärung eine sogenannte „Hauptforderung“ von 25 Euro geworden. Grundlage dafür sollte eine Rechnung vom 10. Juni 2010 ein, von der die Familie aber nichts weiß. Für „Mahnspesen + evtl. Bankrücklastschriftkosten“ von Web.de reklamierte man weitere 15 Euro und das Inkassobüro selbst genehmigte sich 45 Euro. Hinzu kommen noch 12 Cent „Verzugszinsen“.

Familie B. widersprach der Forderung unverzüglich über das Web-Portal des Inkassobüros und wies darauf hin, dass die Tochter Sabrina nie einen Vertrag mit Web.de abgeschlossen habe. Zudem sei Sabrina erst 13 Jahre alt und damit überhaupt nicht berechtigt, derartige Verträge abzuschließen. Das Inkassobüro möge bis spätestens 17.6.2010 schriftlich bestätigen, dass das Verfahren eingestellt sei.

Am 2. Juli traf tatsächlich ein weiterer Brief vom Inkassobüro ein. Doch statt der erwarteten Einstellung des Verfahrens forderte das Unternehmen die Familie nun auf, bis spätestens 12.Juli eine Kopie der Geburtsurkunde der Tochter zu übermitteln. Andernfalls werde man weitere Maßnahmen einleiten, drohte der BID. Einen Beleg für die Rechtmäßigkeit der Forderung von Web.de blieb die Inkassofirma dagegen schuldig.

„Muss ich wirklich die Geburtsurkunde meiner minderjährigen Tochter an ein Inkassounternehmen senden, nur um mich gegen unberechtigte Forderungen zu wehren?“ Detlef B. konnte das nicht glauben und wandte sich an die c’t-Redaktion.

Klarer Fall

Für uns ist der Fall klar: Wenn Web.de eine Forderung gegen die Familie durchsetzen will, muss die Firma erst einmal das Zustandekommen des Geschäfts mit ihrem Vertragspartner belegen. Da Verträge über ein E-Mail-Postfach üblicherweise im Internet geschlossen werden, ist das gar nicht so einfach – schließlich gibt es hier keinen „unterschriebenen Vertrag“, sondern bestenfalls ein ausgefülltes Online-Formular, das theoretisch irgendwer mit x-beliebigen Daten ausgefüllt haben kann.

Problematisch ist insbesondere der Registrierungsprozess bei Web.de: Da keine direkte persönliche Verifizierung des Vertragspartners möglich ist, müsste das Unternehmen geeignete Maßnahmen ergreifen, um sich von der Korrektheit der eingegebenen Daten zu überzeugen. Auf Nummer sicher ginge man etwa mit einem Verfahren wie „Postident“. Hier muss sich der Vertragspartner in einer Postdienststelle ausweisen und so seine Identität bestätigen. Hätte Sabrina tatsächlich einen Vertrag abgeschlossen, wäre spätestens hierbei auch aufgefallen, dass es sich um eine Minderjährige handelte.

So eine aufwendige Identitätsüberprüfung ist allerdings teuer, weshalb viele Unternehmen darauf verzichten. Oft wird nur die Korrelation zwischen Name und Adresse geprüft, manchmal auch nur die Existenz der eingegebenen Anschrift. Kommt es hier etwa zu Identitätsmissbrauch, so hat der Dienstleiter in der Regel das Nachsehen, da er ja beweisen muss, dass er wirklich mit der im Anmeldeformular genannten Person einen Vertrag geschlossen hat, was im Zweifel jedoch unmöglich ist.

Beweispflicht?

Im Fall von Sabrina B. ist es eigentlich unerheblich, dass die 13-Jährige gar keine juristisch wirksamen Laufzeitverträge ohne die explizite Zustimmung der Eltern abschließen kann. Denn Web.de kann ja nicht einmal belegen, dass überhaupt ein Vertrag geschlossen wurde und mit wem.

Doch wie steht es generell um die Beweispflicht in Sachen „Minderjährigkeit“? Müssen die Eltern wirklich Belege für die Minderjährigkeit ihrer Tochter an das Inkassounternehmen senden? Steht dem Inkassobüro tatsächlich zu, eine Kopie der Geburtsurkunde zu fordern? Klare Antwort: Nein. Die Eltern sind hier gar nicht in der Beweispflicht. Die Familie hat zwar eine Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Tatbestandes, diese geht jedoch nicht so weit, dass sensible Dokumente durch die Welt geschickt werden müssten. Das Inkassounternehmen muss sich schon mit der Zusicherung der Eltern zufriedengeben, dass die Tochter minderjährig ist und zudem gar keinen Vertrag mit Web.de abgeschlossen hat.

Die Forderung des BID, eine Kopie der Geburtsurkunde zu übersenden, gehört also zu den üblichen Einschüchterungsversuchen von Inkassounternehmen. Diese fordern von den Angemahnten oft Dinge, zu denen der vermeintliche Schuldner gar nicht verpflichtet ist. Sehr beliebt ist etwa bei Fällen von Identitätsmissbrauch die Forderung, der Betroffene möge Anzeige bei der Polizei erstatten und dann die Bestätigung der Anzeigeaufnahme nebst Polizeitagebuch-Eintragsnummer an das Inkassobüro übermitteln. Darauf muss sich niemand einlassen. Als Betroffener kann man zwar Anzeige gegen Unbekannt erstatten, doch da das in der Regel zu keinerlei Ergebnis führt, kann man es genauso gut auch lassen.

Skurrile Reaktionen

Angesichts der recht klaren Rechtslage fragt man sich natürlich, warum Web.de und das Inkassobüro BID die Familie B. so unter Druck setzen. Wir baten deshalb die beiden Unternehmen um Stellungnahme. Warum, wollten wir vom BID wissen, fordert man von der Familie die Geburtsurkunde der Tochter? Die einfache Erklärung der Eltern sollte hier doch für eine Einstellung des Verfahrens ausreichend sein. Zudem wollten wir wissen, warum der BID keinerlei Belege für den angeblichen Vertrag an Familie B. übermittelt. Interessant erscheint uns auch die Frage, wieso aus einer Forderung von ursprünglich 20 Euro plötzlich eine Rechnung über gut 85 Euro wird. Besonders die pauschal angesetzten „Mahnspesen“ von Web.de und vom BID erscheinen auf den ersten Blick überzogen.

Bei Web.de interessierte uns zunächst, inwieweit hier überhaupt eine Identitätsprüfung bei der Anmeldung eines kostenpflichtigen E-Mail-Postfachs stattfindet. Darüber hinaus wollten wir auch wissen, wie Web.de die angeblich an die Familie B. übermittelten Rechnungen und Mahnungen zugestellt hat und welche kostenlosen Möglichkeiten es gibt, sich gegen unberechtigte Forderungen zu wehren.

Kurz nach unserer Bitte um Stellungnahme kam Bewegung in den Fall: Das Inkassobüro versuchte zunächst, einer Stellungnahme mit Hinweis auf den Datenschutz aus dem Weg zu gehen – eine beliebte Masche der Inkasso-Branche. Wenn es um das eigene Geschäftsgebaren geht, gibt man sich gern zugeknöpft. Im vorliegenden Fall zog die Ausrede „Datenschutz“ allerdings nicht: Familie B. schickte, wie vom BID verlangt, per Fax eine Datenfreigabeerklärung. Doch obwohl die Familie damit die Voraussetzungen für eine Aufklärung des Falles geschaffen hatte, kam vom „Manager Risk System“ und BID-Handlungsbevollmächtigten Volker Romankiewicz nur eine knappe Mitteilung: Man habe den Fall inzwischen auf Wunsch von Web.de eingestellt. War für diesen ohnehin überfälligen Schritt wirklich eine Datenfreigabeerklärung erforderlich?

Auch Web.de bekleckerte sich im ersten Anlauf nicht gerade mit Ruhm: Eine Mitarbeiterin des Kundenservice meldete sich bei Herrn Detlef B. – man werde aufgrund eines Hinweises der Pressestelle aktiv, verkündete sie. Recht resolut forderte sie den Familienvater auf, eine Geburtsurkunde der Tochter beizubringen, um so deren Minderjährigkeit zu belegen. Andernfalls könne man den Fall nun mal nicht schließen. Detlef B. lehnte das wie schon bei der Anfrage des Inkassobüros konsequent ab. Schließlich sei hier nicht er beweispflichtig, sondern Web.de. Doch die Dame vom Kundenservice zeigte wenig Einsehen: Der Vertrag sei wohl durch die Eingabe eines falschen Geburtsdatums zustande gekommen, sagte sie. Wie die Daten von Sabrina B. ins System von Web.de gelangt seien, lasse sich nicht mehr nachvollziehen.

Weitere Angaben dazu könne sie aber aufgrund des Datenschutzes nicht machen. Der Vertrag habe aber aus Sicht von Web.de Bestand, so die Servicemitarbeiterin. Detlef B. wurde es nun zu bunt. Seine Tochter habe sich nie bei Web.de angemeldet und sei zum Abschluss eines solchen Vertrags im Internet auch gar nicht befugt, stellte der Vater klar. Wenn Web.de partout darauf bestehe, dass seine minderjährige Tochter ohne Zustimmung der Eltern einen Vertrag im Internet abgeschlossen habe, könne die Firma das Verfahren ja fortsetzen. „Ich werde das so im System vermerken“, ließ die Servicemitarbeiterin wissen und verabschiedete sich.

Versteckspiele

Die Reaktion von Web.de-Pressesprecher Michael d’Aguiar auf unsere Bitte um Stellungnahme glich in frappierender Weise der des Inkassounternehmens: Man könne sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zum Fall von Sabrina B. äußern. Auch hier übermittelten wir die Datenfreigabe der Familie und erhielten das Versprechen, bis zum Redaktionsschluss doch noch Konkretes zum Fall der Minderjährigen zu erfahren. Doch löste der Pressesprecher sein Versprechen nicht ein. So bleibt es bei allgemeinen Erklärungen von Web.de.

Immerhin hat der Pressesprecher eingeräumt, dass es bei Web.de keinerlei Verifizierung der bei der Anmeldung via Web-Formular von Kunden gemachten Angaben gibt. Anmeldeberechtigt seien nur Volljährige, doch gebe es laut d’Aguiar auch keine Altersverifikation. Man gehe davon aus, dass die vom Kunden gemachten Angaben der Wahrheit entsprächen. Rechnungen und Zahlungserinnerungen versende Web.de ausschließlich per E-Mail an das Web.de-Postfach des Kunden. Erst die außergerichtliche Mahnung werde per Post an die vom Kunden angegebene Adresse geschickt.

Eine Erklärung, was sich bei Sabrina B. genau hinter dem Posten „Mahnspesen des Gläubigers + evtl. Bankrücklastkosten“ auf dem Inkassoschreiben verbirgt, blieb der Web.de-Sprecher schuldig. Damit kann man nur mutmaßen, wie aus ursprünglich fünf Euro Mahngebühr nun plötzlich der dreifache Betrag geworden ist. Möglicherweise setzt Web.de hier einfach willkürlich einen Pauschalbetrag an, der im Zweifel auch Rücklastschriftkosten enthält, die im konkreten Fall aber gar nicht angefallen sein können.

Immerhin bestätigte auch Web.de die Stornierung sämtlicher Forderungen gegenüber Familie B. Zu einer Entschuldigung für die unbotmäßige Belästigung konnte sich das Unternehmen allerdings nicht durchringen.