Amazonas: Warum die Widerstandskraft des Regenwaldes nachlässt

Der Amazonas-Gipfel hatte gute Absichten, doch Entscheidendes fehlt, um den Regenwald besser zu schützen. TR klärt drei Fragen zum Hintergrund.

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(Bild: Quick Shot / shutterstock.com)

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Von
  • Hanns-J. Neubert
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Anfang August trafen sich auf Initiative des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva die Staatschefs der acht Länder des Amazonas-Kooperationsvertrages ACTO in Belem – dort, wo 2025 die 30. Weltklimakonferenz stattfinden soll. Sie tauschten sich darüber aus, wie man diesen größten, noch zusammenhängenden Tropenwald vor dem Verschwinden retten könnte.

In der "Erklärung von Belem" vereinbarten sie in 113 Punkten eine Reihe von durchaus relevanten Maßnahmen zum Regenwaldschutz. Was aber fehlte, war ein verbindlicher, gemeinsamer Zeitplan. So blieb das Ergebnis der Zusammenkunft vage und unverbindlich. Nur Gastgeber Lula da Silva hatte für Brasilien ein Ziel ausgegeben, nämlich bis 2030 zumindest den illegalen Holzeinschlag zu beenden.

Kurz vor dem Gipfel vermeldete Lulas Umweltministerin Marina Silva immerhin einen Erfolg: Die Abholzung im brasilianischen Waldteil soll im Juli 2023 um 66 Prozent gegenüber demselben Monat des Vorjahres zurückgegangen sein. Aber auf der anderen Seite holzte Bolivien mehr ab als je zuvor. Allein 2021 fielen mit 3000 Quadratkilometern rund 0,7 Prozent seines Regenwaldanteils den Kettensägen zum Opfer.

Der Amazonas-Regenwald ist eines der besonders kritischen Elemente des Klimasystems. Über Millionen Jahre hinweg wuchs auf etwa sechs Millionen Quadratkilometern ein enormer Kohlenstoffspeicher heran. Schätzungsweise 150 bis 200 Gigatonnen Kohlenstoff lagern hier als Biomasse, die nicht mehr zum Treibhauseffekt beitragen können – so viel wie 25 bis 30 Prozent des Kohlenstoffs in der Erdatmosphäre.

Doch von dem ursprünglichen Wald sind inzwischen 31 Prozent verschwunden oder degeneriert: 17 Prozent wurden gerodet, 14 Prozent in Landwirtschaftsflächen umgewandelt.

Unter der Kettensägen-Politik von Lulas rechtsextremem Vorgänger Jair Bolsonaro erreichten die Rodungen im Amazonas-Regenwald mit fast 4.000 Quadratkilometern im ersten Halbjahr 2022 einen historischen Höchstwert. Das war mehr als die fünffache Fläche Hamburgs.

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Klimaforscher warnen: Die Fähigkeit des Amazonas-Regenwaldes als Kohlenstoffspeicher ging in den letzten 40 Jahren zurück. Während zweier starker Dürreperioden in den Jahren 2005 und 2010 wandelte sich der Wald vorübergehend sogar zu einer Kohlenstoffquelle, weil beim Zerfall vertrockneter Bäume mehr CO2 in die Atmosphäre gelangte, als die nachwachsenden Pflanzen aufnahmen.

Der gefürchtete Kipppunkt für den Amazonaswald scheint sich nach einer Studie von Forschern der Universität Exeter und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) sogar schneller zu nähern als gedacht. Danach hat die Widerstandskraft des Waldes seit den frühen 2000er-Jahren auf drei Vierteln der Amazonas-Regenwaldfläche nachgelassen. Nach Störungen, also nach feuchteren oder trockenen Wetterperioden, erholt sich der Wald hier nur noch äußerst langsam.

Zwei Übersichtsarbeiten, die im Januar 2023 in Science erschienen, überprüften vorhandene Studien, aktuelle Satellitendaten und bewerteten die Auswirkungen von Dürren neu.

Danach haben Brände, Landumwandlung, Abholzung und Wassermangel die Widerstandsfähigkeit von bis zu 2,5 Millionen Quadratkilometern des Amazonas-Waldes so geschwächt, dass diese Gebiete jetzt trockener, leichter entflammbar und verwundbarer sind als zuvor.

Dabei erfassten die Forscher nicht nur die direkten Folgen von Abholzungen, sondern versuchten auch Schäden abzuschätzen, die unter dem Blätterdach der Bäume verborgen bleiben und von Satelliten nicht gut zu erkennen sind. Dazu gehören Boden-Trockenheit oder Artenverluste in Gebieten, in denen Bodenschätze geschürft werden.

Denn das Amazonasbecken ist auch reich an Bodenschätzen. Vor allem Kupfer und Gold liegen unter dem Bäumen. Mit ihren altertümlichen Gewinnungsmethoden vergiften zahlreiche illegale Goldsucher Luft, Flüsse und Böden mit Quecksilber – und vertreiben oder töten Indigene, die dem Goldrausch im Wege stehen.

Mitten in einem Urwaldgebiet liegt auch Pitinga, eine der größten Zinn-Minen Brasiliens, 300 Kilometer nördlich von Manaus. In diesem Tagebau gewinnt man nebenbei auch Tantal, Niob und Uran.

Derart geschwächt könnte das Amazonasbecken sogar zu einer regelrechten Feuerfalle werden, wie eine weitere PIK-Studie zeigt, die einen Monat vor der Belem-Konferenz erschien. "Feuer kann der wichtigste Faktor sein, der das Amazonasgebiet nach massiver Entwaldung in einem Graslandzustand hält", erklärt deren Leitautor Markus Drüke. "Je nach Stärke des Klimawandels werden so in unseren Simulationen 56 bis 86 Prozent des Amazonaswaldes am Nachwachsen gehindert."

Rein theoretisch könnte sich verlorener oder geschädigter Wald nämlich wieder erholen. Das würde aber bis zu 250 Jahre dauern – vorausgesetzt, die Klimaerwärmung ginge zurück oder stabilisiere sich zumindest.

Gewiss, die "Erklärung von Belem" enthält einige wichtige Vereinbarungen für die engere Zusammenarbeit zum Schutz des Amazonasgebietes. So etwa die Einrichtung einer gemeinsamen Polizeizentrale in Manaus zur effektiveren grenzüberschreitenden Verfolgung illegaler Aktivitäten.

Aber bis wann die illegale Goldsuche unterbunden sein soll, ist unklar. Auch die Beendigung von Erdölförderprojekten ist nicht geregelt. Schließlich will das staatlich-brasilianische Unternehmen Petrobas nach wie vor in der Amazonasmündung weitere Öllagerstätten erschließen.

Im Abschlussdokument erinnern die Teilnehmer der Amazonas-Konferenz aber auch die Industriestaaten nachdrücklich an ihre nicht eingehaltenen Verpflichtungen. Dazu gehört, dass sie bis heute das Versprechen, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe bereitzustellen, nicht erfüllt haben. Auch die jährlichen 100 Milliarden Dollar für die Klimafinanzierung im globalen Süden und die 200 Milliarden pro Jahr für das Globale Rahmenwerk für biologische Vielfalt kommen nicht zusammen. Und schließlich werfen sie ihnen vor, ihre selbst gesteckten Treibhausgas-Minderungsziele nicht zu erreichen.

(jle)