"Innovatoren unter 35" 2018: Die Morgen-Macher

Seite 3: Strömungen und KI-Weisheit

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Katharina Kreitz

Richtig glauben konnte es Katharina Kreitz nicht, als sie im Jahr 2014 die E-Mail-Anfrage eines Formel-1-Rennstalls öffnete. „Das war gerade mal eine Woche nachdem unsere Webseite online gegangen war“, sagt die Maschinenbauingenieurin und Gründerin des Start-ups Vectoflow.

Seither bietet Vectoflow als einer der ersten Hersteller Strömungsmesssonden aus dem 3D-Drucker an. Mit diesen kugelschreiberförmigen Düsen werden Geschwindigkeit, Richtung und Struktur einer an der Sondenspitze anliegenden Strömung gemessen. Eingesetzt werden sie nicht nur in Rennwagen, sondern „überall, wo es strömt“, wie Kreitz sagt, darunter in Flugzeugen, Windkraftanlagen oder der Ventilation von Gebäuden.

Traditionell wurden die Sonden aus mehreren Stahlröhrchen per Hand verschweißt. Das machte sie verhältnismäßig klobig. „Das hat dazu geführt, dass manche Hersteller ihre Messaufgabe an die zur Verfügung stehenden Sonden angepasst haben und nicht umgekehrt“, amüsiert sich Kreitz.

Mit ihren Sonden dagegen erschließt Kreitz sprichwörtlich neue Nischen. „Mit 0,9 Millimeter Durchmesser bieten wir die kleinste Sonde der Welt an“, sagt sie. Damit könne man etwa die Grenzschicht der Strömung über einer Tragfläche vermessen. Oder die Sonde dank der neu verfügbaren Materialien im heißen Gas im Innern von Triebwerken einsetzen. Oder als Geschwindigkeitsmesser für Drohnen verwenden.

Seit jener verheißungsvollen E-Mail jedenfalls trudeln in Kreitz’ Postfach immer neue Spezialanfragen ein. Im Jahr 2017 hatte Vectoflow einen siebenstelligen Umsatz und konnte bereits einen ersten Gewinn verzeichnen. Gegen den Strom zu denken lohnt sich.

Christian Zenger

Die Kryptografie hat ein Problem. „Alle heutigen Verfahren werden irgendwann von Quantencomputern gebrochen“, sagt Christian Zenger, IT-Sicherheitsexperte und Nachrichtentechniker an der Ruhr-Uni Bochum. Doch mit seinem Unternehmen Physec will Zenger eine Rettung bieten. Und die wirkt, als wäre sie aus einem James-Bond-Film abgeschaut.

Zenger nutzt unvorhersehbare elektromagnetische Veränderungen in den Geräten zur Verschlüsselung. Sie entstehen beispielsweise durch kleinste Bewegungen in und um einen Sender und schlagen sich in der Struktur der Signale nieder, die er aussendet. Gleiches geschieht im Empfangsgerät. Der Trick ist nun, dass beide Geräte ein gekoppeltes physikalisches System bilden, sobald eine aktive Datenverbindung zwischen ihnen existiert. „Deshalb können wir diese elektromagnetischen Veränderungen auf beiden Seiten auslesen und daraus alle paar Sekunden einen neuen gemeinsamen Schlüssel generieren“, sagt Zenger. Der Clou dabei ist, dass ein Angreifer nicht Teil des physikalischen Systems ist und die elektromagnetischen Veränderungen nicht von außen auslesen kann. Und was sich nicht auslesen lässt, kann auch kein Quantencomputer knacken.

Mit dem gleichen Ansatz lässt sich ein Fingerabdruck für jedes Gerät in einem Kommunikationsnetz erzeugen, ein entscheidender Vorteil für das Internet der Dinge. Greift jemand in das Gerät physikalisch ein, würde sich das sofort aus der Ferne fest-stellen lassen. Auf dieser Grundlage arbeitet Physec derzeit unter anderem mit der Harvard University an einer Technologie, die die nukleare Abrüstung verifizieren soll, ohne dass Kontrolleure dafür nötig sind.

Richard Ahlfeld

Entscheiden künstliche Intelligenzen bald auch darüber, wie neue Produkte aussehen müssen, um sich gut zu verkaufen? „Früher haben die meisten Ingenieure das für Blödsinn gehalten“, sagt Richard Ahlfeld, Gründer des Start-ups Monolith aus London. „Ich wollte aber wirklich wissen, ob man sie dafür einsetzen könnte.“ Also schrieb Ahlfeld, damals Student am Imperial College in London, kurzerhand eine Doktorarbeit in den Ingenieurswissenschaften über die Frage. Das war zwischen 2014 und 2017. Das Glück sei dabei auf seiner Seite gewesen, sagt Ahlfeld. „Dank der guten Kontakte des Imperial College haben mir Rolls-Royce, McLaren und sogar die Nasa die Tore geöffnet und in allen Details gezeigt, wie sie ihre Produkte und Bauteile entwickeln.“ Aus dieser Doktorarbeit heraus ist die Idee für Monolith gewachsen.

Die Namensgleichheit zur künstlichen Intelligenz aus „2001: Odyssee im Weltraum“ ist kein Zufall. Ahlfeld war schon immer großer Science-Fiction-Fan.

Das Unternehmen spezialisiert sich auf die Analyse archivierter Designdaten, die auf den Servern großer Unternehmen bisher weitgehend ungenutzt herumlagen. „In diesen Datenbanken schlummert oft ein jahrzehntealter Wissensschatz darüber, wie man neue Designs von Beginn an optimieren kann“, sagt Ahlfeld. Die Daten umfassten neben 3D-Simulationen physikalischer Eigenschaften oft auch den Markt- oder Anwendungserfolg eines Produkts.

Zum Beispiel beim Kosmetikriesen L’Oréal, der kürzlich ein Proof of Concept bei Monolith in Auftrag gegeben hat. „Seit Jahren verlieren die großen Spieler der Kosmetikindustrie jedes Jahr rund ein Prozent Marktanteil an Start-ups“, sagt Ahlfeld. Das liege vor allem daran, dass kleine Unternehmen ihre Designs und ihr Marketing schneller auf Marktnischen anpassen. Was aber L’Oréal im Gegensatz zu Start-ups besitzt, sind Daten über bereits käufliche Shampooflaschen, Puderdosen und Wimperntusche-Röhrchen.

Die Software von Monolith sucht nun nach verborgenen Mustern, die den Erfolg eines Produkts vorhersagen können. Nach der Analyse kann der Anwender die Eigenschaften eines 3D-Modells manipulieren und sehen, welchen Einfluss die Veränderungen etwa auf den Verkaufserfolg haben würden. Bei L’Oréal hat Monolith beispielsweise herausgefunden, dass eine Shampooflasche in einem bestimmten Design besser rot sein sollte. Der Nasa konnte Monolith helfen, das strukturelle Design für die Marsrakete SLS schneller und genauer zu validieren.