Genschere gegen Erbkrankheit

Seite 2: Heilungsansätze mit Stammzellen

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Neben CRISPR Therapeutics arbeiten noch weitere Forscher an Therapien. Kinderarzt Matthew Porteus von der Stanford University School of Medicine will zum Beispiel das mutierte HBB-Gen selbst korrigieren. Porteus, der zu den Mitgründern von CRISPR Therapeutics zählt und dem wissenschaftlichen Beirat des Unternehmens angehört, arbeitet unabhängig von dem Biotech-Start-up an einem eigenen Ansatz. In seinem Setting müssten nicht mal alle defekten Blutzellen durch gesunde ersetzt werden, um die Krankheit zu heilen. Patienten zeigen laut Porteus bereits keine Symptome mehr, wenn der Anteil der Sichelzellen unter 30 Prozent sinkt. Im Labor erzielte sein Team bei den Stammzellen von erkrankten Patienten Korrekturraten zwischen 40 und 70 Prozent.

Voraussetzung für all diese Heilungsansätze mit Stammzellen wäre aber eine zuvor erfolgte, eventuell auch weniger starke Chemotherapie für den Patienten, kommentiert Mitchell Weiss vom St. Jude Children's Research Hospital in Memphis. Die würde benötigt, um Platz für die modifizierten Stammzellen zu schaffen, sagt der Forscher, der als Hauptautor einer Studie im Fachmagazin "Nature Medicine" mit seinem Team einen ähnlichen Ansatz wie CRISPR Therapeutics, aber unabhängig von den anderen Teams verfolgt.

Erste Studien mit Menschen sind geplant. Bis zu ihrem Start wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Immerhin ist das Vorhaben bereits so konkret, dass die amerikanische Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) herausfinden will, was Patienten, aber auch deren Eltern und Ärzte über die neue Technologie denken. Die Studie, für die rund 150 Personen befragt werden sollen, wird demnächst starten. Studienleiter Vence Bonham, ein Forscher am National Human Genome Research Institute, hofft, dadurch "klinische Studien zweckdienlicher und respektvoller gegenüber den Bedenken der Gemeinschaft" machen zu können. Denn bisher seien Einschätzungen und Sorgen seitens der Patienten kaum berücksichtigt worden.

Biree Andemariam, Direktorin des New England Sickle Cell Institute at the University of Connecticut Health Centers, rechnet vor allem mit Misstrauen – insbesondere unter den schwarzen Patienten. Sie könnten zögern, an klinischen Studien teilzunehmen. Der Grund sind skandalöse Vorkommnisse in der Vergangenheit wie die Tuskegee-Syphilis-Studie: Sie wurde ohne Zustimmung und Wissen der afroamerikanischen Probanden durchgeführt. Die erkrankten Teilnehmer erhielten zwischen 1932 und 1972 keine Behandlung, selbst als es schon wirksame Medikamente gab. So wurde das Projekt zu einem berüchtigten Beispiel für Rassismus. "Das Tuskegee-Experiment ist in vielen Köpfen noch sehr frisch, obwohl es schon Jahrzehnte her ist", sagt Andemariam.

Sie ist allerdings überzeugt, dass mit der richtigen Aufklärung das nötige Vertrauen aufgebaut werden kann. Denn als Andemariam sich mit ihren erwachsenen Patienten über das therapeutische Potenzial von CRISPR unterhielt, war das Echo sehr positiv: "Sie sind fasziniert und finden, es klingt wundervoll", berichtet die Forscherin.

Sollte eine auf CRISPR basierende Gentherapie für die Sichelzellanämie auf den Markt kommen, lautet eine der zentralen Fragen, wer sie erhalten wird. Denn abgesehen von den 100000 amerikanischen Patienten leben die meisten Betroffenen in den Ländern südlich der Sahara in Afrika, zum Beispiel in Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo oder Uganda. Der Preis einer CRISPR-Therapie könnte daher für 90 Prozent der Patienten weltweit unerschwinglich sein. Selbst die bereits existierende Behandlung mit Hydroxycarbamid, die ein bis zwei Dollar pro Tag kostet, können sie oft kaum bezahlen, berichtet Isaac Odame vom Hospital for Sick Children in Toronto, der sich auf die Krankheit spezialisiert hat und aus Ghana stammt.

Für die restlichen zehn Prozent aber wäre die Gentherapie ein Segen. Der Maler Nazaire erhielt vor Kurzem eine sogenannte Apherese, eine Art Blutwäsche, bei der ein Teil der kranken roten Blutkörperchen durch gesunde ersetzt wird. Das reduzierte seine Schmerzen. Aber die Wirkung könnte mit der Zeit nachlassen. Er sieht deshalb in CRISPR ein Versprechen auf ein besseres, längeres Leben: "Ich denke, dass man das nutzen sollte. Wenn Sie mit etwas konfrontiert sind, das lebensbedrohlich und zum Verzweifeln ist, dann wollen Sie, dass dagegen etwas unternommen wird."

(bsc)