Mobile Stroke Unit beim Schlaganfall: Effekt lässt sich durch KI vorhersagen

Seite 2: Umwege kosten wertvolle Zeit

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Leider kostet der Umweg über die erste Klinik wertvolle Zeit. Die schweren, bedrohlichen Schlaganfälle, die eine Thrombektomie benötigen, könnten auf einer MSU direkt identifiziert werden. Auch die Thrombolyse kann an Bord begonnen werden. Auf diese Weise können diese Fälle direkt in das geeignete Zentrum gebracht werden, in dem zu diesem Zeitpunkt eine Thrombektomie durchgeführt werden kann.

Es gibt auch den Fall, dass bei der CT-Untersuchung in der MSU festgestellt wird, dass der Patient kein Gerinnsel, sondern eine Hirnblutung hat. Bei einer Hirnblutung ist es wiederum gut, wenn der Patient direkt in eine Klinik mit Neurochirurgie gebracht wird, in der auch operiert werden kann. Auch eine solche Abteilung gibt es nur in größeren Zentren. Eine MSU erlaubt hier eine schnelle Triage, also eine Prüfung, ob der Patient lieber in die nächstgelegene Klinik oder besser in das eventuell weiter entfernte größere Schlaganfallzentrum gebracht werden sollte.

Was die Technik betrifft, so ist das Herzstück einer MSU das CT an Bord. Darüber hinaus unterscheiden sich die MSU-Modelle dahingehend, ob noch ein eigenes Minilabor an Bord ist, ob ein Neurologe mit zum Team gehört und wie ausgebaut die telemedizinische Anbindung ist.

Wie wird die schnelle und effektive Diagnose durch die MSU sichergestellt, und welche Herausforderungen gibt es dabei?

Zum einen geht es darum, die CT-Diagnostik so schnell wie möglich durchzuführen und befunden zu lassen. Hier ist auch eine gute mobile Datenkommunikation notwendig, mit mindestens 4G-Standard. Zum anderen muss die MSU so schnell wie möglich beim richtigen Patienten sein. Das heißt, dass der Schlaganfall bei der Alarmierung der 112 durch telefonische Algorithmen mit bestimmten Stichworten so gut wie möglich erkannt wird. Und es heißt auch, dass die MSU an einem optimalen Standort stationiert sein sollte, von dem aus sie den größten Effekt auf das Einzugsgebiet hat. Hier setzt unsere Studie mit Plan D an.

Der Effekt hängt dabei von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel von der Bevölkerungsdichte und dem Altersprofil der Bevölkerung. Aber auch Faktoren wie die Entfernung zu den nächstgelegenen Kliniken und Rettungswagen und die Art und Schwere der Schlaganfälle, die in der Region zu erwarten sind, spielen eine Rolle.

Wo gibt es im Moment MSUs?

Es gibt mehr als 30 MSU-Projekte weltweit. Die meisten davon in den USA und in Europa, aber auch in Argentinien, Australien, China und Qatar. Allerdings ist eine MSU im Moment noch kein Fahrzeug, das man einfach so kaufen kann. Im Wesentlichen muss eine MSU erstmal entwickelt und meistens auch an die verschiedenen Bedarfe angepasst werden. Das ist noch kein Markt, bei dem Anbieter die Fahrzeuge in Serie produzieren. Aktuell baut da jeder mehr oder weinger sein eigenes Fahrzeug.

Worüber werden die CT-Bilder dann verschickt?

Über das normale Handynetz. Dafür gibt es spezialisierte, zugelassene Systeme, die den geforderten Standards an Datenschutz und Bildqualität genügen.

Sie haben mit Kolleginnen und Kollegen in Roskilde in Dänemark untersucht, welche Effekte eine MSU auf die Zeiten bis zur Schlaganfalltherapie haben würde. Warum ist es gut, sich hier zusammenzutun?

Die Zusammenarbeit kam auf Initiative von Roskilde zustande, die die Idee zu einem sogenannten "Cross Border Projekt" hatten. Dabei kommt uns zugute, dass die jeweiligen Regionen, um die es hier geht – also Ostholstein südlich des Fehmarnbelts und die Region Seeland nördlich davon – eine ähnliche Bevölkerungsdichte und -struktur aufweisen. Gleichzeitig war der Vergleich interessant, weil die dänische Region eine sehr zentralisierte Kliniklandschaft aufweist. Sie enthält eine große Primärklinik, die eine Thrombolyse durchführen kann und einen Patienten dann gegebenenfalls in ein Thrombektomiezentrum weiterverlegt.

In unserem Fall war das anders. Es gibt sieben solcher Primärkliniken mit sehr unterschiedlichen Fallzahlen, die aber eben oft näher am betroffenen Patienten liegen. Die Fragen waren also: Wo sollte eine MSU in der jeweiligen Studienregion am besten stationiert werden und wie wirkt sie sich auf die unterschiedlichen Strukturen innerhalb der Regionen aus? Die EU bietet für solche Projekte spezielle Förderungen an, sodass wir hier im Rahmen des Förderprogramms "Interreg5a" eine Unterstützung erhalten haben. Die Zusammenarbeit ist sehr erfreulich und wir lernen viel voneinander.

Wie sind Sie vorgegangen?

Zunächst einmal wollten wir den Pfad der einzelnen Patienten so genau wie möglich beschreiben. Hierfür hat eine Doktorandin, Susanna Bluhm, Rettungsdienst-Protokolle von Patienten analysiert, die in einem Primärkrankenhaus lysiert wurden und dann zur Thrombektomie verlegt wurden. Wichtig waren dabei die genauen Ortskoordinaten des Auffindeortes und des Primärkrankenhauses, außerdem die jeweiligen Anfahrts- und Abfahrtszeiten des ersten Transportes in das Primärkrankenhaus und des zweiten Transportes in das Thrombektomiezentrum.

Krankenhauslandschaften und Orte, an denen sich Patienten aufhalten, einmal für die deutsche Region (b) und die dänische Region (c). Blaue Punkte kennzeichnen einzelne Standorte von Schlaganfallpatienten, die im Thrombektomiezentrum der Universität zu Lübeck (Dreieck in der linken Karte) und im Thrombektomiezentrum der Universität Kopenhagen (Dreieck in der rechten Karte) behandelt wurden. Pluszeichen zeigen die Positionen der sieben Primärkrankenhäuser in Deutschland und des einzelnen Primärkrankenhauses in Dänemark. Die Patienten wurden zunächst in ein Primärkrankenhaus eingeliefert. Nach der ersten Bildgebung und gegebenenfalls einer Thrombolyse wurden sie mit einem Sekundärtransport in das Thrombektomiezentrum gebracht. Diese reale Situation wurde mit einem hypothetischen Weg der MSU verglichen. Das rote Krankenwagensymbol bezeichnet den mithilfe des "Nelder-Mead"-Algorithmus optimierten MSU-Standort.

(Bild: Royl et al.)

Weiterhin wurde festgehalten, wann die Thrombolyse und wann die Thrombektomie begonnen wurde. Am Schluss hatte die Doktorandin 80 Patienten in der deutschen Studienregion und 122 in der dänischen. Eingeflossen sind auch Alter, Geschlecht und die Schwere des Schlaganfalls, da sie einen Einfluss darauf haben, wie sich eine Beschleunigung der Therapie auf den Ausgang des Schlaganfalls auswirkt. So haben wir den Ist-Zustand beschrieben. In einem zweiten Schritt haben wir dann simuliert, wie viel Zeit eine MSU bis zum Beginn von Thrombolyse und Thrombektomie sparen würde.

Da kommt jetzt auch maschinelles Lernen ins Spiel?

Ja. Das Start-up Plan D hat uns hier unterstützt und mittels der "Nelder Mead"-Methode, einem KI-Verfahren, die komplexe Frage geklärt, wo die MSU stehen muss, damit sie – über alle Patienten hinweg – die größte Zeitersparnis und den größten Effekt für die Region mit sich bringt.

Das Ziel von Plan D war es zunächst, optimale Wege für eine effizientere Versorgung zu ermitteln. Dazu wurde das Schlaganfallrisiko mithilfe der Zensusdaten modelliert.

(Bild: Plan D)

Mit dieser Simulation konnten wir dann genau ausrechnen, dass innerhalb der deutschen Region die Thrombolyse im Mittel 7 Minuten schneller und die Thrombektomie 32 Minuten schneller starten konnte. In Dänemark war der Effekt noch größer. Bis zur Thrombolyse wurden 20 Minuten, bis zur Thrombektomie 43 Minuten eingespart. Das ist bei Schlaganfallpatienten sehr viel wertvolle Zeit. Es gibt Berechnungen, dass bei einem der häufigen schweren Schlaganfallarten mit jeder Minute ohne Therapie zwei Millionen Nervenzellen für immer zerstört bleiben.

Was heißt das konkret, wie kann man sich den Effekt einer MSU in Zahlen vorstellen?

Eine gängige gesundheitsökonomische Größe sind die "Disability adjusted life years", auch DALYs abgekürzt. Dahinter verbirgt sich die Anzahl von durch Behinderung oder Tod verlorenen Lebensjahren, die durch eine medizinische Maßnahme abgewendet werden. Es gibt sehr genaue Berechnungen, wie viel behinderungsfreie Lebenszeit eine Minute Zeitersparnis in der Schlaganfalltherapie rettet. Diese sind beeinflusst durch die Art der Schlaganfalltherapie – die Thrombektomie hat einen größeren Effekt als die Thrombolyse –, das Geschlecht, das Alter und die Schwere des Schlaganfalls. Der jährliche Gesamteffekt hängt dann wiederum davon ab, wie viele Patienten die MSU in einem Jahr behandelt. Wir haben ihn für einen variablen Bereich von Thrombolysen und Thrombektomien errechnet.

Auf der Grafik ist mit einem Punkt das maximale Budget eingezeichnet, das eine MSU in zwei bestimmten Regionen (Deutschland und Dänemark) kosten darf. DALYs (Disability adjusted life years) sind dabei die Anzahl der verlorenen gesunden Lebensjahre.

(Bild: Plan D)

In der deutschen Region kommen wir dabei auf etwa 9.4 DALY, in der dänischen auf 17.7 DALY pro Jahr. Nun kann man sich fragen, ob sich die Kosten rechnen. Da gibt es für jedes Land einen Schwellenbetrag. Dabei hat man sich darauf geeinigt, was der Effekt eines DALY kosten darf. Wenn man diesen Schwellenbetrag mit der Anzahl der DALY multipliziert, weiß man, was das maximale Budget ist, das einer MSU im Jahr bewilligt würde. In der untersuchten deutschen Region Ostholstein wären das 800.000 Dollar – sicherlich zu wenig wäre. In der dänischen Region kommen wir auf 1,7 Millionen Dollar, das kommt demgegenüber ganz gut hin.

Warum beantragen Sie für Ihre Region keine MSU?

Weil ich deren Einsatz mit den Zahlen im Moment nicht gut begründen kann. Mit 800.000 US-Dollar pro Jahr bekommen wir sicher keine MSU finanziert, da der Effekt einfach nicht groß genug ist. Im Gegensatz zur dänischen Partnerregion mit zentralisiertem System ist die Klinikdichte in unserer Region sehr hoch.

Update

Letzten Satz zu Plan D im ersten Absatz ergänzt.

(mack)