Ohne App geht nix: Ein rechtlicher Blick auf den Digitalzwang

Seite 4: Versorgung nur für Online-Kunden?

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Der Hamburger Gas- und Stromanbieter Lichtblick bot Online-Verträge an. Er verwendete dabei unter anderem die folgende Klausel: "Diese Lieferverträge sind reine Online-Verträge, das heißt, die Kommunikation erfolgt ausschließlich über elektronische Kommunikationswege." Dagegen ging der VZBV vor; er verklagte Lichtblick und verlangte, die erwähnte Bestimmung nicht mehr zu verwenden.

Die Klage war erfolgreich. Das Landgericht (LG) Hamburg entschied, dass Lichtblick zur Unterlassung verpflichtet sei. Grund: Die verwendete Klausel sei intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Es sei für Verbraucher nicht ersichtlich, ob sie etwa eine Kündigung auch in herkömmlicher Form schriftlich per Brief einreichen könnten. Überdies würde ein solches Vorgehen auch solche Verbraucher unangemessen benachteiligen, die ihren Vertrag online abschließen. Sie müssten bei Erklärungen, etwa einer Kündigung, Anfechtung oder eines Rücktritts, immer die Möglichkeit haben, eine strengere Form zu wählen als die elektronische – etwa die Schriftform. Das ergebe sich als Umkehrschluss aus § 309 Nr. 13 BGB: Dieser erklärt AGB-Klauseln, die das Anzeigen oder Erklären an bestimmte Formen und Zugangswege binden wollen, für unwirksam.

In einem steuerrechtlichen Fall ging es 2019 um einen Steuerpflichtigen, der als Physiotherapeut tätig war. Er verfügte in seiner Praxis zwar über einen PC und Telefon, jedoch über keinen Internetanschluss. Für seine Steuererklärungen und Gewinnermittlungen füllte er die von der Finanzverwaltung bereitgestellten Formulare manuell aus. Doch nach Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung wollte das Finanzamt das nicht mehr akzeptieren. Es forderte ihn auf, die Erklärungen online zu übermitteln, und drohte ein Zwangsgeld von 200 Euro an. Daraufhin beantragte der Physiotherapeut, von dieser Verpflichtung befreit zu werden. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, woraufhin der Mann vor Gericht zog und Erfolg hatte: Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg entschied, dass das Finanzamt den Kläger von der Verpflichtung zur elektronischen Erklärungsabgabe für das Streitjahr freistellen müsse. Die von der Finanzverwaltung dagegen eingelegte Revision wies der Bundesfinanzhof (BFH) zurück: Die elektronische Übermittlung sei für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich unzumutbar, denn er könne nur mit erheblichem finanziellem Aufwand die technischen Voraussetzungen zur Datenfernübertragung schaffen. Als Kleinstunternehmer habe er lediglich Einkünfte von 14.534 Euro erzielt. Man müsse auch berücksichtigen, dass er für die Übermittlung nicht nur eine Internetverbindung benötige, sondern auch die notwendige Hard- und Software anschaffen und pflegen müsse.

Bereits 2012 hatte der BFH in einem anderen Fall jedoch klargestellt, dass er die Pflicht der Unternehmer zur digitalen Übermittlung der Umsatzsteuervoranmeldung grundsätzlich als verfassungsgemäß ansieht. Immerhin, so die Richter, enthalte die Vorschrift ja eine Härtefallregelung: Danach kann das Finanzamt auf Antrag darauf verzichten, die Umsatzsteuervoranmeldung elektronisch übermittelt zu bekommen, wenn der digitale Weg für den steuerpflichtigen Unternehmer mit einer unbilligen Härte verbunden ist (§ 18 Abs. 1 Satz 2 UStG). Das Gleiche gilt für die Einkommensteuerklärung (§ 25 Abs. 4 Satz 2 EStG).