Von Mäusen und Sprachverarbeitung

Neue Studien legen ein neues Verständnis der menschlichen Sprachverarbeitung nahe - mit wichtigen Implikationen für die Arbeit an Künstlicher Intelligenz

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Von
  • Anita Chabria
Inhaltsverzeichnis

Viele Jahre lang betrachteten Kognitionswissenschaftler die Sprachverarbeitung im menschlichen Gehirn wie einen Computer: Buchstaben und Laute werden binär und Schritt für Schritt interpretiert - entweder hört man "Labrador" oder aber "Laptop". Eine neue Studie einer Forschergruppe um den Psycholinguisten Michael Spivey von der Cornell University kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Offenbar kann der menschliche Geist Sprache viel flüssiger erkennen.

"Bei der Sprachverarbeitung kommen verschiedene Teile des Gehirns zum Einsatz. Unsere Studie zeigt, dass sie ständig Teilergebnisse an die anderen Stufen weitergeben anstatt erst zu kommunizieren wenn der Prozess abgeschlossen ist", sagt Spivey, "das erinnert sehr stark an ein verteiltes neuronales Netz."

Verteilte Netzwerke kennt man auch aus dem Computerbereich. Allerdings verarbeiten neuronale Netzwerke in biologischen Systemen Informationen völlig anders: Computer führen ihre Berechnungen auch in verteilten Systemen weiterhin linear durch; das Gehirn dagegen kann mehrere fortlaufende Berechnungen gleichzeitig vornehmen. Die Information werden dabei auf nichtlineare Weise hin- und herbewegt, und das Netz organisiert sich selbst.

Ironischerweise zeigte Spivey ausgerechnet anhand eines Computermodells, wie sich die Sprachverarbeitung im Gehirn von der Arbeit im Rechner unterscheidet. Und dazu benutzte er das denkbar verbreitetste Computer-Gerät: eine Maus.

An der Studie, die Ende Juni in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht wurde, nahmen insgesamt 42 Studenten teil. Diese sollten mit einer Computermaus auf Zuruf jeweils das richtige von zwei Bildern anklicken, auf denen Gegenstände zu sehen waren. Manchmal zeigten die Bilder Objekte mit sehr unterschiedlich klingenden Namen wie "Candle" und "Jacket", manchmal glichen sich die Worte wie etwa "Candle" und "Candy".

Unterschieden sich die Namen der Gegenstände stark, führten die Testpersonen ihre Maus in einer direkten Linie zum korrekten Bild. Bei ähnlichen Begriffen dagegen bewegten sie die Maus langsamer und bogenförmig. Spiveys Hypothese: Bei ähnlich klingenden Begriffen beginnen die Testpersonen bereits mit der Interpretation, sobald der erste Teil zu hören ist. Bis zur Auflösung aber verharren sie in einem unentschlossenen Zustand - daher die Bogen-Bewegung.

Würde das lineare Computermodell der Sprachverarbeitung stimmen, so Spivey, hätten die Testpersonen drei Möglichkeiten gehabt: Entweder sie glauben irgendwann das Wort erkannt zu haben, entscheiden sich für das passende Bild und bewegen dann die Maus auf direktem Weg dorthin; oder sie machen bei der Aufnahme ähnlich klingender Wörter zunächst einen Fehler und korrigieren sich , sobald mehr Informationsabschnitte verarbeitet sind. Die letzte Möglichkeit: Die Testperson wartet so lange mit der Mausbewegung, bis sie ein ganzes Wort verstanden hat.